|| 48 || Das letzte Wort

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Cassian Natale

«Ich muss zu ihm!», schreie ich. Zumindest glaube ich, dass ich schreie. Blut rauscht in meinen Ohren, meine Kehle kratzt vor Trockenheit, heiße Tränen vermischen sich mit trockenen Tränen auf meiner Haut.

«Es tut mir leid. Sie müssen hier warten, Mister Natale.» Trotz der sichtlichen Genervtheit der Krankenschwester versucht sie, ruhig mit mir zu sprechen. «Sie können nichts für ihn tun.»
Ich bin satt ihre Stimme zu hören, ihr Gesicht zu sehen und ihre anfänglich mitleidigen, nun genervten Blicke zu sehen. Ich möchte zu Sergio. Ich muss zu Sergio.

«Er hat mein Leben gerettet!» Ich kann ihn nicht alleine lassen. Ich muss zu ihm, selbst wenn ich nur seine Hand halten kann. Ich muss zu ihm und bei ihm sein, selbst, wenn das bedeutet, mitanzusehen, wie sie ihn aufschneiden und operieren. Ich muss bei ihm sein, selbst wenn ich mit anzuhören muss, wie die Ärzte sich hektische Befehle zu werfen, und letztlich die Geräte piepsen und immer lauter piepsen, bis sie still werden und die Stille seinen Tod verkündet.

Das wird es sein.

Still.

Nach seinem Tod wird mein Leben still sein und Farben werden farbenlos. Alles wird grau werden. Denn ohne ihn, ist alles nichts. 

Was bringt es mir, meine Lieblingslieder zu hören, exquisites Essen zu probieren und die Sterne zu beobachten, wenn ich es nicht mit ihm teilen kann?

Wenn er stirbt, sterbe ich auch.

Ich werde weiter auf der Erde wandeln, wie ein gefangener Geist, um Leandros Willen. Aber mit Sergios letztem Atemzug endet auch mein Leben.

«Sie können nichts für ihn tun», wiederholt die Krankenschwester.

Wieso? Ich wurde gefangen genommen und konnte nichts tun. Ich musste zusehen, wie Sergio Vincenzo bekämpft und ich konnte nichts tun. Sergio beschützte mich vor den Schüssen und ich konnte nichts tun.
Es ist wie in alten Tagen, als mein Vater vor meinen Augen Mama schlug, nur um mir eine Lektion zu erteilen.

Ist das die Art vom Universum zu sagen, dass man nicht immer die Kontrolle haben kann? Dass man Schlechtes manchmal zu lassen muss? Aber wieso? 

Wieso muss ich ihn sterben lassen, wenn er mich nicht sterben ließ.

Verdammt, wie ich wünschte, ich wäre es, der auf dem Operationstisch liegt!

Die Krankenschwester dreht ihren Kopf, als schnelle Schritte ertönen. Ich schaue nicht hin. Ich möchte nicht sehen. Ich möchte nicht denken, nicht fühlen. Ich möchte meine Augen schließen und mich in der Düsternis verlieren, bis nur Sergios Stimme mir den Weg zurück zeigen kann, und egal wo er ist, dort werde ich auch sein.

Aber ich kann nicht. Für Sergio und für Leandro. Ich kann Leandro nicht alleine lassen.

Ich muss leben.
Sergio muss leben.
Wir müssen leben.

«Cassian!» Jemand rüttelt mich an den Schultern. Ich schlage meine Augenlider auf. Wann habe ich sie geschlossen? Wann bin ich auf die Knie gefallen? «Hörst du mich, Cassi?» Leandro. Er kniet vor mir.
Ich sehe ihn nicht an. Ich schließe meine Augen.
«Cassian!»

Das war Sergios letztes Wort. 

Er keuchte meinen Namen, als er blutend auf dem Boden lag, das Gesicht immer bleicher werdend. Während er mich rief, um bei ihm zu seinen, sein womöglich letzten Sekunden an seiner Seite zu verbringen, stach ich auf seinen Mörder ein. Rogelio hätte auf unserer Seite sein sollen. Er hat doch die zwei anderen Sicherheitsmänner getötet. Er hätte Sergio nicht anschießen sollen. So sollte es nicht ablaufen.

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now