|| 22 || Spannungen

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Sergio Pedrotti

«Vielen Dank, Louis, du kannst nun gehen», verabschiede ich mich von einem Soldaten der Mafia, der der nächste potenzielle Kapitän werden und Caspers Platz einnehmen könnte. Dies war nun schon das fünftzehnte Gespräch, das ich heute mit potenziellen Kapitänen führte! Und mit jedem Mal sank meine Laune und meine Besorgnis wuchs.

Casper war einer unserer besten Kapitäne. Er bereitete nie Probleme, war selten krank, betrachtete die Mafia als erste Priorität und erledigte seine Aufgaben sorgfältig und schnell. Er war für viele Soldaten zuständig, bildete teils sogar welche aus und nahm auch anderweitig viele Aufgaben an. Er war ein guter Verhandler, der ebenfalls wusste, wie man mit Zahlen und Finanzen umgeht. Ich kannte ihn nur wenig, da ich mir seiner Treue bewusst war und es für unnötig hielt, ihn im Auge zu behalten. Ohnehin war er nicht sehr gesprächig und hatte meines Wissens nach kaum bis gar keine Freunde. Dennoch scheute ich mich nicht, ihn ab und an nach einer zweiten Meinung zu fragen, gerade wenn es um größere Deals ging.

Unerachtet dessen, ob sein Mörder von seiner Bedeutung für die Mafia wusste, stellt sein Verlust eine Bedrohung dar. Insbesondere wenn man betrachtet, welch Gegenwind Avyanna in den letzten Wochen erhielt. Sämtliche Mafiosi warten nur darauf, dass wir einen Fehler begehen, eine Schwachstelle offenbart wird.
Wir befinden uns in schwierigen Zeiten.

«Ich danke Ihnen sehr, Mister Pedrotti», reißt mich Louis aus meinen Gedanken. «Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören.» Dabei lächelte er so breit, als wäre er sich sicher, der Job gehöre ihm.
«Sicherlich», murmele ich missmutig. Wieso sind alle Anwärter auf die Stellung als Kapitän so unnütz? Keiner der bisherigen Mafiosi wies genug Kompetenz, Autorität und Verständnis für die Aufgaben auf. Sie mögen ausgezeichnete Soldaten sein, aber als Kapitäne würden sie spätestens nach zwei Tagen vor einem Burnout stehen.

Wenn es so weiter geht, wird auch das Burnout auf mich nicht mehr lange warten.

Nachdem Louis die Tür hinter sich geschlossen hat, lehne ich mich seufzend an meinen Schreibtischstuhl. Ich stütze meine Ellbogen auf dem Tisch ab, lasse meinen Kopf in meine Hände fallen, wobei ich meine Hände in meinen Haaren vergrabe. Ich schließe meine Augen, versuche meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Eine kleine Stimme in meinem Kopf flüstert mir zu, ich solle aufspringen und schreiend den Tisch umstoßen, alle Gegenstände zertreten oder an die Wand werfen.

Meine Hand verkrampft sich, mein Atem wird flach. «Beruhige dich, Sergio», murmele ich mir selbst zu. «Einen Ausraster wird dich nicht weiterbringen. Nur für weitere Probleme sorgen.» Ich darf die Kontrolle nicht verlieren. Ich kann mir keine Fehler erlauben. Ich muss mich beherrschen. So schwer es auch sein mag.

Doch das schlechte Gewissen lastet noch immer schwer auf mir – so schwer, dass ich es nicht eine Sekunde lang vergessen kann. 

Schwer seufzend lehne ich mich zurück an die Stuhllehne. Wie von selbst greife ich nach meinem Handy, wähle Cassians Nummer und rufe ihn an.
Er nimmt beim zweiten Klingeln ab. «Hey, ist alles in Ordnung? Wieso rufst du an?»
Sofort nachdem ich den Klang seiner Stimme höre, entspanne ich mich. «Hast du Zeit? Ich muss meinen Kopf frei bekommen.»
«Ich wünschte, ich könnte dir helfen, einen Ersatz für Casper zu suchen.» Cassian seufzt. «Aber leider kann ich dir weder dabei helfen, noch mit dir heute ausgehen. Ich habe gerade selbst Stress. Leandro ist noch mit Avyanna unterwegs und gerade hat uns ein wichtiger Lieferant abgesagt.»

Ich presse meine Lippen zusammen, mein Körper spannt sich wieder an. «Ich verstehe. Stressige Zeiten.» Gerade in diesem Moment vibriert mein Handy, als eine Nachricht eintrifft. Eine Faust umklammert mein Herz. Furcht erschwert mir das Atmen. «Allerdings sieht es so aus, als müsstest du dennoch deinen Arbeitsplatz verlassen.» Schwer atme ich ein und wieder aus. «Avyanna hat eine Notfallsitzung einberufen.»

«Verdammt.» 





Avyanna Salvatore

«Was ist geschehen?», fragt Sergio geradeheraus. Eine Sorgenfalte gräbt sich in seine Stirn, seine Lippen sind dünn und sein Kiefer angespannt.
Mayra fügt hinzu: «Wieso hast du uns zu einer Notsitzung einberufen?»

Ich lasse meinen Blick über die hier versammelten schweifen. Leandro sitzt mit einem ernsten Gesichtsausdruck neben mir. Cassian hat sein Pokerface auf, dass er bei geschäftlichen Treffen gerne zur Schau stellt. Daneben sitzen Sergio und Mayra.

Ich sage: «Wie ihr wisst, haben wir zuvor Jason einen Besuch abgestattet.» Alle hier Anwesende nicken.
«Was habt ihr herausgefunden?», erkundigt sich Mayra.
«Ist Jason des Verrats schuldig?», hackt Sergio mit besorgtem Unterton nach.

Leandro wirft ein: «Wenn ihr Avyanna ausreden lassen würdet, hättet ihr eure Antworten bereits erhalten.» Sein Blick bleibt etwas zu lange an Sergio haften.

«Entschuldigt», meint Sergio, dem Leandros Blick nicht entgangen ist. «Ich fürchte nur, wir können es uns nicht leisten, einen weiteren Kapitän zu verlieren. Ich habe bereits Schwierigkeiten einen Ersatz für Casper zu finden.»
Leandro nickt, als würde er seine Entschuldigung annehmen, jedoch ist sein Blick kalt, erhärtet. Nimmt er es Sergio übel, dass er meine Autorität in Frage stellte? Oder ist Leandros Verhalten auf Misstrauen zurückzuführen? Traut er Sergio nicht mehr?

Ich werde nach dem Meeting mit Leandro reden müssen. Spannung und ungenügendes Vertrauen innerhalb des eigenen Teams können Schwierigkeiten zur Folge haben und zurzeit habe ich nun wirklich kein Nerv für weitere Probleme. Als ob wir nicht schon genügend hätten!

«Jedenfalls», lenke ich die Aufmerksamkeit auf mich zurück, «haben wir ernsten Grund zur Annahme, dass Vincenzo versuchte Kontakt mit Jason aufzunehmen.»
Sergio flucht. Mayra schürzt missbilligend ihre Lippen, bevor sie mit ihrer Zunge schnalzt.
«Worauf stützt ihr diesen Verdacht?», fragt Cassian nach. Daraufhin erläutert Leandro, wie Jason vermutlich log und wir anschließend seinem ehemaligen Hausmädchen einen Besuch abgestattet haben.

Cassians Stirn ist in Falten gelegt. «Die Dame wusste nicht den Namen des Anrufers? Nur das Geschlecht?»
Ich kneife meine Augen zusammen. «Denkst du, es hätte jemand anderes sein können?»
Sergios Augen weiten sich. «Wer außer Vincenzo sollte es sein?»

Cassian antwortet: «Ronaldo Ancelotti.»

Miguels Vater? Auf diese Idee kam ich noch nicht, allerdings scheint sie nicht allzu abwegig. Schließlich ist auch er einer unserer Hauptverdächtigen in Caspers Mordfall. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Caspers Mörder derselbe ist, der Jason angerufen hat. Derselbe, der dafür sorgte, dass die Namensliste samt Koordinate in Vincenzos Büro (nicht) gefunden wird.

Nichtsdestotrotz verstehe ich nicht, wie Ronaldo in diese Geschichte hereinpasst.
Sein Name steht nicht auf der Liste der Käufer. Wieso also sollte ihn diese Liste interessieren? Gibt es noch eine zweite Liste? Oder hatte er ein ganz anderes Motiv Casper umzubringen? Aber welches?

Leandro runzelt seine Stirn. «Was sollte Ronaldo von Jason wollen?»
«Das sollten wir Jason befragen», meint Mayra.
Ich nicke. «Dorian ist bereits auf den Weg, ihn zu holen.»

Hoffentlich finden wir dann mehr heraus.

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