|| 23 || Verdrängte Gefühle

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Cassian Natale

Ich mache mir Sorgen um Sergio.

Seit Caspers Tod steht er unter enormen Druck. Nein, eigentlich fing es viel früher an. Ab dem Zeitpunkt, an dem Najada getötet wurde und der Mafia Krieg seinen Lauf nahm, hatte er selten Zeit zum Aufatmen. Damals kannte ich ihn kaum. Ich weiß nicht, wie er sich vor dem Krieg verhielt und ob er sich seitdem verändert hat, jedoch ist mir bewusst, dass er nun kurz vorm Burnout steht.

Mein Blick liegt auf Sergio, der neben mir in der Notfallsitzung sitzt. Gerade ist jeder in eigenen Gedanken versunken und wartet darauf, dass Dorian mit Jason ankommt.
Ein Schatten liegt auf Sergios Augen, unter denen Augenringe liegen. Seine Gesichtszüge sind schlaff, wie seine Körperhaltung, und seine Mundwinkel zeigen nach unten.

Die Gespräche mit möglichen Anwärtern für Caspers Posten rauben ihm den letzten Nerv. Sergio war zwar nicht mit Casper befreundet, doch schon als wir seinen Leichnam entdeckten, war es, als würde Sergios letztes Seil reißen. Ob Casper nur die Spitze des Eisbergs ist? Weiß er nicht mit seinen Gefühlen umzugehen? Hat Caspers Tod ihn aus der Bahn geworfen, einfach weil es zu viel war? Oder stand er Casper näher, als ich denke?

Keiner dieser Vorstellungen gefällt mir. Allerdings ist es mir nicht möglich, sein Verhaltenswechsel zu ignorieren. Sergio versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Nichtsdestotrotz bemerke ich die Veränderung. Ich bemerke, wie in seinen Augen Verzweiflung steht. Ich bemerke, wie sein Lächeln immer etwas zu breit ist, fast schon gezwungen wirkt. Ich bemerke, wie seine Körpersprache seine Anspannung widerspiegelt. Ich bemerke seine tiefen Augenringe. Ich bemerke, wie er öfters meine Nähe sucht, doch dann, wenn wir alleine sind, er in seine Gedanken abtrieftet, mich kaum wahr zu nehmen scheint.

Wie kann ich ihm nur helfen?

Leider bin auch ich kein Experte, wenn es darum geht, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Im Gegenteil. Ich bin Meister im Verdrängen.

Nur nachts, da bin ich meinen Gefühlen ausgeliefert. Ich mag es nicht über meine Gefühle zu sprechen. Das habe ich nie gelernt. Ich gehe mit ihnen alleine um, ohne dass jemand davon mitbekommt. So wurde es mir seit Kindheit beigebracht. Nie Schwäche zeigen, nie Emotionen zulassen.
Immer der perfekte Junge sein, der verzweifelt um die Aufmerksamkeit und Liebe seines Vaters kämpft, aber nie gesehen wird.

Nur wenn mein Vater mich rief, Bier aus dem Kühlschrank zu holen, existierte ich für ihn. Oder wenn er vor seinen Freunden mit meiner schulischen Leistung angab. Nur vor seinen Freunden war er stolz auf mich. Sonst, wenn wir alleine waren, und ich ihm von meinen Erfolgen erzählte, nickte er nur knapp und brummte, dass ich ihn nicht länger belästigen und stattdessen mich nützlich machen sollte.

Später dann, da spielte er mir ab und an väterliche Nähe vor. Er wuschelte etwas zu stark meine Haare, lächelte mich etwas zu breit an und lobte etwas zu enthusiastisch meine Talente. Noch im selben Atemzug hat er mich dann um Geld. Geld für sein Bier, seine Zigaretten, für Wetten und Spiele. Ich war stolz ihm helfen zu können; ihm endlich nützlich zu sein – nach all den Jahren, in denen ich nichts außer eine Last, eine Bürde und gelegentlich eine Trophäe war. Ich genoss, wie er mich, nachdem ich ihm mein gespartes Geld lieh, drückte und seine Liebe für mich bekundete. Ich war überglücklich.

Nur wenige Tage später bereute ich es. Ich gab mir die Schuld für Papas Wutanfälle, für Mamas blaue Flecken und für das Weinen meiner Schwester.

Wir gerieten in Schulden. Mein Taschengeld konnte uns nicht retten. Ich musste meinen Kampfsporten aufgeben. Ich suchte mir eine Arbeit, trainierte alleine im Garten, versuchte meine Noten aufrecht zu halten und setzte alles daran, meine Familie zusammen zu halten. Gleichzeitig ging ich meinem Vater bestmöglich aus dem Weg, was kaum möglich war, da er mich beinahe täglich suchte, mich nach Geld anbettelte und ein Nein nicht gelten ließ. Schläge wurden zur täglichen Gewohnheit. Ich hätte mich währen können. Ich kannte genug Techniken. Doch ich ließ es über mich ergehen. Ich wollte meinen Vater nicht noch mehr reizen. Dann hätte er seine Wut an meiner Mutter oder vielleicht gar an meiner Schwester ausgelassen. Das durfte ich nicht zulassen.

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now