|| 46 || Verräter

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Sergio Pedrotti

Ich bin ein Verräter.

Ich habe Avyanna verraten.
Ich habe Cassian verraten.
Und ich habe Vincenzo verraten.

Dieselbe Wut, die ich wochenlang innerlich selbst verspürte, wird nun von außen auf mich gerichtet. «Du dreckiger Verräter!» Vincenzo funkelt mich an, die Hände zu Fäusten geballt, die Schultern angespannt, bereit für einen Kampf.

Ich verdränge nicht länger meine Gefühle, wie ich es den ganzen Tag getan habe. Ich heiße meine Gefühle willkommen. Den Selbsthass, die Wut, die Verzweiflung. Sie stürzen auf mich ein, wie eine alles vernichtende Welle. Ich konzentriere mich auf meine Wut und auf meinen Willen, alles wieder zurechtzurücken. Ich nutze meine Gefühle. Ich nehme sie an, mache sie zu einem Teil von mir und heiße die feurige, zerstörerische Kraft in mir willkommen.

Ich schaue an mir herunter, als würde ich nach etwas suchen. Dann blicke ich kalt Vincenzo in die Augen. «Noch bin ich sauber.» Ich lächle leicht. «Doch gleich, da werde ich dreckig sein. Besudelt mit deinem Blut.»

Mein Blick haftet auf Vincenzo, während ich es nicht für einen Bruchteil wage, Cassian oder Avyanna anzuschauen. Ich kann sie nicht anschauen. Ich kann es einfach nicht. Nicht, wenn ich verraten und enttäuscht habe. Die Menschen, die mir am Wichtigsten sind. Die Menschen, denen ich versprach, sie zu beschützen und lieben bis zu meinem Tod.

Ich hatte zu große Angst.

Ich wusste, Vincenzo würde mich töten, wenn ich seine Aufgaben nicht erfülle. Ich wusste, Vincenzo würde mit meinem Tod nicht aufhören. Ich wusste, jeder Schritt, jedes Wort, könnte in einem Blutbad enden, das mehr kostet, als nur mein Leben.

Vincenzo lacht auf. Kalt und gestört. Ein Lachen wie aus Horrorfilmen. Er lacht wie ein Soziopath, weil er einer ist.

Vielleicht ist er auch ein Psychopath. Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Es spielt auch keine Rolle. Ihn wenigen Minuten ist er tot.

Noch nachdem Vincenzos Lachen sich zu einem stillen Grinsen verwandelt, hallt sein Lachen von den Wänden. Er zieht einen Dolch hervor. «Das einzige Blut, dass auf dir kleben wird, Sergio, ist deines.»

Während auch ich einen Dolch aus meinem Waffengürtel ziehe, erwidere ich sein Grinsen. «Hochmut kommt vor dem Fall.»
Doch ich realisiere zu spät, dass nicht nur er hochmütig gesprochen hat – sondern auch ich.

Aber die Guten gewinnen immer, nicht wahr?
Das Gute siegt über das Böse.
Das ist, was uns von Klein auf beigebracht wurde.
Nur wurde uns auch gelehrt, dass der Weihnachtsmann unsere Geschenke bringt.

Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. «Achtung!», schreit Cassian. Gerade noch rechtzeitig, weiche ich Vincenzos Angriff aus. Mein Arm schnellt nach vorne, bereit ihm ins Gesicht zu schlagen und seine Nase zu brechen, jedoch hatte er dieselbe Idee, nur zielt er nicht auf mein Gesicht, sondern auf meine Magengrube. Ich mache einen Satz nach hinten, weiche seinem Schlag aus. Wir funkeln uns an, umkreisen uns.

Rogelio, einer der Bodyguards von Vincenzo, zieht unbemerkt seine Pistolen, in jeder Hand einer. Währenddessen blicken die anderen zwei Sicherheitsmänner fragend und verzweifelt Vincenzo an, der ihnen zuvor befohlen hat, nicht einzugreifen, bis er es sagt.

«Jetzt!», brülle ich.

Peng! Peng!
Peng! Peng!

Jeweils zwei Patronen graben sich in die Köpfe der zwei Sicherheitsmänner. Bevor sie auf den Boden aufprallen, sind sie tot.

Es hat nicht viel gekostet, Rogelio auf meine Seite zu ziehen. Vincenzo überließ es mir, den letzten Sicherheitsmann auszuwählen, als Preis für Cassians Gefangenschaft. Ich wählte Rogelio, einen Serienmörder. Seine Mutter ist schwerkrank, seine Familie hat einen Schuldenberg von seinem spielsüchtigen Vater geerbt und er sowie seine Schwester können sich die Universität nicht länger leisten. Rogelio würde alles für Geld tun – auch Vincenzo zu hintergehen, jedoch nur unter zwei Bedingungen. 

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now