|| 31 || Die Lichtung

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Sergio Pedrotti

Ich liebe Cassian.

Doch bevor ich diese Worte zu ihm sage, müssen wir weitere Hindernisse überwinden. Zuerst muss ich meine Sünden beichten und er muss sie verzeihen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und ich bin bereit diesen mit ihm zu gehen, so steil der Weg auch sein mag.
Cassian hat recht. Ich ertrinke im Selbstmitleid, dabei muss ich nur nach seiner Hand greifen und mir helfen lassen.

Nur bin ich es nicht gewöhnt, Hilfe von anderen anzunehmen. Wenn überhaupt bin ich es, der die Hilfe anbietet. Allerdings ergeht es Cassian nicht anders. Auch er musste sein Leben lang auf sich selbst aufpassen, die Dinge alleine in die Hand nehmen. Zwar waren seine Eltern nie wie meine auf Reisen, jedoch waren sich dennoch nicht für ihren Sohn da, wie Eltern es sein sollten.

Sich körperlich nah zu sein, heißt nicht gleich sich seelisch nah zu sein.

Nebeneinandersitzend sehen wir beide hoch zu den Sternen. Dort oben, da soll meine Familie sein. Wie zu oft frage ich mich: Sind sie im Himmel oder brennen sie in der Hölle?
Ich kenne meine Eltern zu wenig, um diese Frage zu beantworten. Sie waren mehr Bekannte, die ab und an vorbeikamen und Geschenke brachten, bevor sie wieder monatelang verschwanden. Falls sie doch mal für ein paar Wochen zuhause sein sollten, da machte das kaum einen Unterschied. Sie stürzten sich in Büroarbeit, als vergaßen sie, dass ich existiere.

Vielleicht wollten sie es auch einfach vergessen.

Avyannas Eltern, Silvestro und Diane, beteuerten zwar stets, dass meine Eltern immerzu, wenn sie auf Reisen waren, angerufen und sich nach mir erkundet hätten, aber komischerweise haben sie nur selten mit mir persönlich reden wollen.

«Sergio?», erklingt Cassians Stimme nervös.
Ich drehe meinen Kopf zu ihm, dankbar für die Ablenkung. Aber als ich seinen Blick sehe, da erkenne ich, das etwas nicht stimmt. «Was bedrückt dich?»
Es dauert ein paar Sekunden, bis er zu reden beginnt. «Vorhin da habe ich mit Leandro gesprochen», fängt er zögerlich an. «Da hat er erwähnt, dass-» Kurz stockt sein Atem, als würde er es nicht wagen, weiterzusprechen. «Er erwähnte, dass du früher eine andere Einstellung gegenüber Avyanna hattest.» Schwer seufzt er, als würde eine Last von seinen Schultern fallen, nun, da er es ausgesprochen hat.

Für einen Moment setzt mein Gehirn aus, verarbeitet keine Signale, fasst keinen Gedanken. Sowohl mein Atem wie auch mein Herzschlag stocken. Erst als die Angst mein Herz umklammert, prasseln die Gedanken auf mich ein.

Ohne ein Wort zusagen stehe ich auf, blicke ihn kurz an. Dann laufe ich los, Richtung Wald. Ich drehe mich nicht um, laufe einfach weiter, wissend, dass Cassian mir gleich folgen wird.

«Mister Pedrotti?», erklingt eine Frauenstimme. Ich bleibe stehen, drehe kurz meinen Kopf zu der Frau um. «Ihr Tisch ist fertig.»
«Vielen Dank», antworte ich laut genug, dass die Bedienung mich hören kann. «Wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen.» Ohne auf ihre Reaktion zu warten, laufe ich weiter.

«Warte!», ruft Cassian. «Halt! Wo gehst du hin?» Eilige Schritte. «Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!!»
Ich antworte ihm nicht, gehe einfach weiter, laufe mitten in den Wald. Ein kleiner Pfad führt uns an hohen Eichen und Buchen, an Wildblumen und Felsen vorbei. Der herbe Waldgeruch steigt mir in die Nase. Je tiefer wir in den Wald eindringen, desto dunkler wird er. Schließlich ziehe ich mein Handy hervor, mache die Taschenlampenfunktion an. Cassian folgt meinem Beispiel.

«Verratest du mir, wo wir hingehen?»
Wieder antworte ich ihm nicht. Stattdessen gehe ich vom Pfad ab, bahne mir einen Weg durch die Steine, Zweige und abgesägten Baumstämmen. In einem etwas langsameren Tempo folgt er mir wenige Schritte hinter mir. Ich bücke mich, als ein tiefer Ast uns im Weg ist. Kurz darauf steige ich über einen kleinen Felsen. Ein rauschender Bach ertönt aus der Ferne. Eine Eule heult.

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now