|| 13 || Ein Gefangener im eigenen Körper

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Avyanna Salvatore

«Es tut mir so leid.» Mit diesen Worten begrüßt mich Miguel zum ersten Hochzeitsplanungstreffen.

Während ich Miguel von seinem Zimmer abhole, sprechen sein Vater und meine Mutter im Wohnzimmer der Ancelotti Villa.
Seit Miguels Koma ist er an einen Rollstuhl gefesselt. Zwar schafft er es mittlerweile wieder auf seinen Beinen, die lediglich aus zerbrechlichen Knochen und dünner oranger Haut zu bestehen scheinen, zu stehen, jedoch klappt er nach nur wenigen Schritten in sich zusammen. Seine Muskeln sind abgebaut, fast verschwunden, als wären sie nie dagewesen. Wenn ich ihn nun anschaue, sehe ich nicht ihn, sondern eine gealterte, schwache Version von ihm.

Er ist ein Schatten seiner selbst. Physisch wie auch psychisch.

Insbesondere nach den Tagen des Aufwachens war er kaum wiederzuerkennen. Sein Äußeres war eine schwache, dünnere und faltigere Version von ihm. Es tat – und tut noch immer – weh ihn so zusehen.
Doch das erste Mal, als ich nach seinem Erwachen in seine Augen sah, schmerzte mehr.
Es war ein Schmerz, den man weder in Worte fassen kann, noch will.

Glückstränen liefen meine Wange herab, als ich ihn zum ersten Mal nach seinem Koma besuchte. Es war kein Stein, sondern ein ganzer Berg, der von meinen Schultern genommen wurde. Miguel war wach. Er lebte. Ich hatte wieder Hoffnung geschöpft. Hoffnung, dass alles wieder gut werden würde. Dann traf mein Blick auf seinen.
Erst verstand ich nicht, wollte nicht verstehen, doch dann traf die Erkenntnis mich mit einer Wucht, die mich einen Schritt zurückstolpern ließ.
In seinen Augen lag keine Freude, kein Glück. In seinen Augen zeichnete sich nichts ab, außer Irritation und Panik.
Er erkannte mich nicht.

Mein bester Freund erkannte mich nicht. Er hat mich vergessen, als hätte es mich nie gegeben.

Die Ärzte hatten mich davor gewarnt, allerdings habe ich ihnen nur halbherzig zugehört. Wochenlang hatte ich mir ausgemalt, wie unser erstes Treffen nach seinem Koma sein würde. Ich habe mir ausgemalt, wie seine Augen sich weiten würden, ein Lächeln sich auf seinem Gesicht abzeichnet und Tränen seine Wange herunterfließen. Ich wusste, dass er nicht reden würden können, geschweige denn bewegen. Jedoch hatte ich verdrängt, dass nicht nur sein Körper beschädigt war, sondern auch sein Gehirn, sein Gedächtnis.

In die Augen eines geliebten Menschen zu blicken, wissend, dass sie sich nicht an dich erinnern, ist ein Schmerz, den man nie vergessen wird.

Besonders, nach dem man so lange auf diesen Moment gewartet hat. Eine halbe Ewigkeit musste ich um sein Überleben bangen und dann war es mir nicht einmal möglich, ihn in die Augen zu blicken, ohne vor Schmerz schreien zu wollen.

Es war eine Sache, von einem geliebten Menschen vergessen zu werden, aber eine ganz andere, mit deiner bloßen Anwesenheit diese Person in Angst und Schrecken zu versetzen.

Ich stand da, unfähig etwas zu sagen oder zu tun. Ich starrte ihn mit großen Augen an. Dies allein jagte ihm eine solche Angst ein, dass er vermutlich vor mir abgehauen wäre, wenn er es gekonnt hätte.

Selbst wenn es ihm körperlich möglich gewesen wäre, hätte er nicht fliehen können. Er war ans Bett gefesselt. Wortwörtlich. So desorientiert wie er war, hat er mehrmals versucht die Geräte und Schläuche, die ihm am Leben hielten, aus dem Körper zu ziehen.

Das Gerät, das seine Herzfrequenz aufzeichnete, piepte. Sein Herz schlug zu schnell, er atmete zu kurz. Er war zu aufgeregt, zu panisch. Ich erwachte aus meiner Starre, versuchte ihn zu beruhigen. Ich erklärte, wer ich bin, erzählte ihn von gemeinsamen Erlebnissen, in der Hoffnung er würde sich erinnern. Seine Augen huschten von links nach rechts, als würden sie einen Fluchtweg suchen.

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now