|| 24 || Die Macht

1.6K 61 17
                                    

Avyanna Salvatore

«D-D-Das kö-könnt ihr ni-nicht machen!», stottert Jason. Schweiß bricht aus seiner Stirn. Sein Leib zittert. «Ihr könnt mich nicht töten!»

«Doch», entgegnet Leandro. «Das können wir sehr wohl.»
«Ist das dein erster Tag als Mafiosi?» Meine Augen liegen auf Jason. Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. «Oder wieso behauptest du solch einen Bullshit?»

«Aber ich bin unschuldig!», wimmert Jason.
«Wie oft denn noch?» Ich verdrehe meine Augen. «Dein Leben liegt in unserer Hand und ich würde dir sehr ans Herz legen, mit den Fakten herauszurücken, bevor mir die Geduld ausgeht.»

Beinahe entsetzt stelle ich fest, dass die Rolle des ungeduldigen Bösewichtes mir mehr Freude bereitet, als gedacht. Aber das macht mich noch nicht zu einem Bösewicht, richtig? Denn schließlich bin ich auf der guten Seite. Ich möchte den Mörder finden und bestrafen. Das ist, was gute Menschen machen. Aber macht mich der Mord am Mörder zu einem besseren Menschen?

Woher kommen auf einmal die Zweifel? Ich habe schon oft gemordet und sie nie bereut. Ich töte für die richtigen Motive.

Doch glaubt das nicht jeder? Dass er für die richtigen Motive tötet?

Nein, ich handele lediglich, wie Mafiosi angeblich ihren Capo dei capi wollen. Jemand, der durchgreifen kann. Jemand, der sich vor Konsequenzen nicht fürchtet. Jemand, der stark genug ist, alle anderen Mafiosi in Schach zu halten. Ohne einen starken Capo dei capi würde das ganze System zusammenbrechen. Es gäbe mehr Kriege, als Familias und mehr Tote als Mafiosi.

Ich töte, um den Frieden zu bewahren.

Mafiosi behaupten ich wäre eine schwache Frau, die von Emotionen getrieben wird. Dann werde ich diesen Schwachköpfen wohl beweisen müssen, dass ich mehr bin, als „nur eine Frau".

Dennoch hielt ich es nicht für möglich, wie erregend die Rolle des allmächtigen Bosses sein könnte. Das Gefühl von Kontrolle und Macht ist besser als jede Droge.
Selten habe ich dieses Gefühl gespürt. Ich wurde (und werde noch immer nicht) als Mafia Boss akzeptiert. Mächtig fühlte ich mich schon lange nicht mehr, denn wie soll man sich mächtig fühlen, wenn mich nicht einmal meine eigenen Leute als machtgebende Führungskraft akzeptieren?

Erst als Lorenzo Russo meine Macht vor allen infrage stellte und ich ihn zum Kampf herausforderte, habe ich verstanden, dass sie mich nicht als Boss akzeptieren werden, wenn ich nicht als solchen auftrete.

Das war der Tag, an dem ich erkannte, dass Macht erst Spaß macht, wenn man sich auch mächtig fühlt.

Seit ich Capo dei capi bin, hatte ich noch keine Gelegenheit meine neue Position wertzuschätzen. Der Titel ist mehr Fluch als Segen.
Ich will so nicht länger weiterleben.

Manchmal, wenn alles dunkel und betrübt erscheint, muss man sich auf die kleinen Momente, wenn die Sonnenstrahlen die Wolkendecke durchbrechen, konzentrieren. Momente, die einen erinnern, dass es nicht nur Dunkelheit gibt. Momente, die einen erinnern, dass jede Dunkelheit vergeht.

Das Gefühl der Macht mag umgeben sein von Düsternis – Düsternis der Seelen, die ich bestrafen muss – aber kein Licht kann ohne Dunkelheit erstrahlen. Sterne müssen von der Dunkelheit der Nacht umzingelt sein, dass ihr Licht erstrahlen kann. Tagsüber, da geht ihr Licht unter. Nur nachts, da strahlen sie.

Jason beharrt: «Ich habe Ihnen doch schon alles erzählt!»
«Ach ja?» Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. «Ich wusste ja gar nicht, dass du uns erzählt hast, dass Vincenzo dich kontaktiert hat.»
«Eigenartig», murmelt Leandro. «Das muss auch mir entgangen sein.»
Jasons schluckt schwer. Er öffnet seinen Mund, schließt ihn dann jedoch wieder, als wüsste er nicht, wie er sich rechtfertigen solle. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Sergio kaum merklich zusammenzuckt. Cassian sieht ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt