|| 38 || Schwindelgefühl

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Avyanna Salvatore

«Avyanna!»
«Avyanna!»
«Ich werde dich finden! Halte durch!»

Mehrere Geräusche kommen zu mir durch, manche laut, manche leise, manche schrill, manche dumpf, aber diese tiefe Stimme übertönt all die anderen Laute.
Diese Stimme, sie kommt mir bekannt vor.
Wieso ruft mich jemand? Wo bin ich?

Jemand pfeift ohrenbetäubend laut. Noch lauter, noch verzweifelter ruft die Stimme: «Sucht Avyanna! Sucht euren Capo dei capi!»

Mein Kopf pocht, mein Hals kratzt. Meine Augenlider sind schwer, so schwer. Mit der rechten Wangenseite liege ich auf dem kalten, dreckigen Boden. Etwas Schweres, Großes liegt auf mir, drückt mich nieder. Etwas klebt an meiner Körperseite.
Nun schreien mehrere Stimmen meine Namen.
Ich huste. Leise und krächzend.

«Avyanna!»
Leandro. Das ist Leandros Stimme!
Hustend versuche ich mich zu bewegen, aufzustehen und ihn zu mir zu winken. Allerdings schmerzt mein Körper. Es schmerzt überall. Ich weiß nicht, woher der Schmerz kommt. Ich blinzele gegen die Dunkelheit an. Husten. «Leandro», stöhne ich leise.

«H-H-hilfe», krächzt eine kindliche Stimme. Ihre Stimme geht fast unter, so laut ist es hier.
Ich blinzele. Ich erkenne nichts. Mein Sichtfeld ist unscharf. Unter Anstrengung und stechenden Kopfschmerzen schaffe ich es, meine Augen aufzumachen.
«Wir, wir brauchen... Hilfe», haucht die kindliche Stimme.
Mehrmals blinzele ich und kneife meine Augen zusammen. Erst nach Sekunden schärft sich meine Sicht.

Um mich herum ist das reinste Chaos. Zerstörte Schränke, Holzdielen, Gartengeräte, zersprungene Blumentöpfe, nasse Erde, einzelne Blütenblätter. Keinen Meter von mir entfernt liegen zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge.

Das Mädchen liegt auf dem kleinen Jungen. Das vielleicht zwölfjährige Mädchen hat ihren Arm um den höchstens achtjährigen Jungen gelegt, drückt ihn an ihre Brust, als versuche sie ihn zu beschützen. Ein breiter Holzschrank liegt auf ihrem Rücken, drückt sie und den Jungen auf den mit Blumenerde beschmutzten Boden. Blumentopfscherben liegen zerstreut um sie. Der Junge, der Platzwunde an der Stirn hat, scheint bewusstlos. Seine Augen sind geschlossen und sein Mund steht leicht offen, als würde er schreien.

Das Mädchen wiederum sieht mich mit verquollenen roten Augen und zitternden Lippen an. Ihr verwaschen gelbes, zerlöcherte Kleid ist an einigen Stellen dunkelrot gefärbt. Blut. Erst auf dem zweiten Blick erkenne ich, dass ihre Haare nur braun sind, weil Erde sie verdreckt. Nur wenige Strähnen lassen das helle Blond erahnen. «Hilfe», fleht das Mädchen mich an. Himmelsblaue Augen füllen sich mit Tränen und ihre Stimme zittert. «Joe.» Sie schluchzt. «Er wacht nicht auf.» 

Mein Herz zieht sich zusammen. Bei dem Gedanken, der Junge könnte nie wieder aufwachen, verkrampft sich alles in mir. «Alles wird gut», leiere ich dahin, denn etwas anderes fällt mir gerade nicht ein. Mit schmerzverzogenem Gesicht versuche ich mich vom Boden abzustützen, um aufzustehen, doch es will mir nicht gelingen. Was auch immer auf mir liegt, ist zu schwer.

«Avyanna!», brüllt Leandro.
«Leandro!», rufe ich so laut wie möglich zurück. Meine Stimme ist kratzig, kaum wiederzuerkennen.
«Avyanna! Warst du das? Ich bin gleich bei dir!» Seine Stimme überschlägt sich beinahe vor Aufregung. «Alle dorthin! Ich habe ihre Stimme gehört! Sucht sie! Rettet euren Capo dei capi!»

«Joe», weint das Mädchen. «Wach auf, Joe!»

«Ärzte!» Hustend versuche ich meinen Arm hoch zu strecken. Ein stechender Schmerz rast durch meinen Arm und Schulter. Gerade mal ein paar Zentimeter kann ich meinen Arm hochhalten, weiter geht es nicht. Stöhnend lasse ich meinen Arm auf dem Boden aufklatschen. «Wir brauchen Ärzte!»

Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt