Besuch

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„Kein Aber! Alle bleiben sitzen und Essen auf. Wir verschwenden hier nichts, nur weil wir Besuch bekommen", sagte der Alte abfällig grinsend in die Runde und schaute mich erwartungsvoll von oben herab  an.

Besuch, dachte ich? Chris! Woher wussten sie?
Mit einem Mal konnte ich es auch hören. Logisch Wolfsohren waren wesentlich besser, weshalb sie es bereits schon vor Minuten wahrgenommen hatten. Jetzt war es auch für mich gut zu hören. Dieses tiefe Brummen und Flappen eines tieffliegenden Hubschraubers, wie in den Filmaufnahmen zum Vietnamkrieg.

Das konnte nur Chris sein!
Chris kam, um mich zu holen!
Chris holt mich aus dieser Hölle!
Ich schaute von meinem Teller auf und sprang aufgeregt auf.

„Nikolas, sofort hinsetzen! Ich habe die Tischzeit noch nicht aufgehoben. Auch für dich nicht!", brüllte der Alpha aufgebracht dominant über den Tisch hinweg, so dass alle zuckten und den Kopf eingeschüchtert und verängstigt einzogen.

Mich durchzuckte in dem Moment schlagartig böse stechende Schmerzen. Höllische Kopfschmerzen rasten von meinem Nacken in die Augenhöhle.

Was war das denn? War das, weil der Alpha es einfach so befehlen konnte und mein Körper darauf reagierte?

Ich krümmte mich auf meinem Platz und griff mir den Kopf. Schlagartig brach brach mir der Schweiß aus. Ich wollte zu Chris. Aber das ging nicht. Ich konnte mich mit einem Mal nicht bewegen. Alles in mir drängte mich, mich wieder setzen zu wollen.

Warum konnte ich mich dem nicht wirklich widersetzen? Warum hatte er diese Macht über mich? Ich war kein Werwolf. Ich war kein Tier! Ich war ein Mensch! Ich musste mich wehren.

Unter starken Schmerzen schaffte ich es mich zu bewegen.

Sofie griff alamiert nach meinem Arm. „Bleib!"

Ich schaute sie überrascht an. „Es ist Chris! Ich muss zu ihm!"

Sie schüttelte warnend den Kopf. „Lass es. Du hast ihn noch nicht wütend erlebt."

Ich schaute angewidert zu dem Mann, der völlig ruhig weiter auf seinem Fleisch herumkaute. Eigentlich sah er vollkommen normal aus. Aber ich wusste, dass in ihm ein riesiger gefährlicher Wolf steckte, mit dem man rechnen musste. Ich als Mensch würde es nicht mal zur Tür schaffen, würde ich versuchen zu fliehen.

Ich war nur ein Mensch und saß hier am Tisch mit siebzehn Werwölfen, die sich innerhalb von Sekunden wahrscheinlich auf einen Wink des Alpha hin in Kampfmaschinen verwandeln konnten, wenn er den Befehl dazu gab. Ich bedeutete keinem von ihnen etwas. Ich war nur ein Stück Fleisch für sie alle. Würde ich hier sterben, würde außer meiner Mutter wahrscheinlich keiner um mich trauern. Ich senkte entgeistert meinen Kopf. Auf was hatte ich mich da eingelassen? Wie konnte ich glauben, dass Chris um mich kämpfen würde? Er hatte eine Firma mit mehr als fünftausend Mitarbeitern. Ich war nur eine Person und dann auch nur ein Mensch. Er hatte seine eigenen Verpflichtungen. Was sollte er mit einem Rudel anfangen und mit mir? Hier draußen in der Wildnis? Ich brachte nur Chris in Gefahr. Ich war solch ein Vollidiot und Egoist!

So setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl und schaute unter gesenkten Augenlidern in die Runde. Die meisten hatten aufgehört zu Essen und lauschten auf die Geräusche. Bei Joshua hatte ich das Gefühl, dass er am liebsten unter dem Tisch verschwinden würde wollen. Er wusste, dass ihm von beiden Seiten Gefahr drohen könnte. Er hatte wirklich Scheiße gebaut und das würde Chris ihm übelnehmen.

Ich hörte den Hubschrauber laut über uns bedrohlich dröhnen. Ich lauschte. Es war nicht nur ein Hubschrauber. Es waren mindestens zwei.... Ein dritter? Vier?

Die Menschen am Tisch wurden unruhig und flüsterten miteinander.

Der Alpha zischte: „Ruhe, ich habe die Tischzeit nicht aufgehoben."

Alle blieben folgsam am Tisch sitzen. Jedoch war allen das Essen vergangen. Wir lauschten auf die überlauten bedrohlichen Geräusche.

Wir hörten wie die Hubschrauber landeten unter ohrenbetäubenden Lärm. Einige Jüngere hielten sich die Ohren zu. Wolfsohren waren empfindlich.

Mit einem Mal ging die Eingangstür auf. Chris erschien im eleganten Wintermantel mit schwarzen Lederhandschuhen und einem schwarzen Schal und klopfte sich den Schnee von den Schultern. Seine Augen trafen mich sofort und ich schaute ihn wahnsinnig erleichtert, aber auch ängstlich an. Er zeigte jedoch keine Regung. Seine Gesichtszüge blieben kalt.

Alle starrten ihn an. Jeder konnte die Anspannung im Raum mit einem Schlag vibrierend spüren.

„Hallo Chris", brummte der Alpha laut schmatzend. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir den einsamen Wolf mal aus seinem Bau locken könnten und hier in unserer elusteren Gruppe mal je wiedersehen, nachdem du dich still und heimlich verdrückt hattest." Wütend schaute er auf. „Also, was verschafft mir die Ehre?"

Chris schaute sich in der riesigen Halle um, während er entspannt die Lederhandschuhe auszog, in seine Manteltasche steckte und den Mantel öffnete. „Hallo Alpha. Mensch, hier hat sich in den letzten Jahren wirklich nichts verändert. Ist das Dach immer noch undicht? Er kam näher an den Esstisch, um den immer noch alle abwartend angespannt herumsaßen.

„Das Essen sieht immer noch mager aus. Wo ist der Begrüßungschampagner, oder hätte ich ein wenig Hundefutter mitbringen sollen?"

„Was willst du?", peitschte der Alpha verbal über den Tisch hinweg.

Alle zogen ihre Köpfe verschreckt ein und versuchten sich unsichtbar zu machen.

„Ach, ich dachte ich mache mal einen Besuch bei meiner Familie!"

So süffisant hatte ich Chris Stimmlage noch nie gehört.

„Besucher melden sich vorher höfflicherweise an oder werden eingeladen. Ich kann mich nicht erinnern, dass du eingeladen wurdest."

Chris grinste und schaute auf Joshua, der immer noch versuchte sich so klein wie möglich zu machen: „Joshua hatte indirekt eine Einladung ausgesprochen, indem er einfach etwas mitgenommen hatte was mir gehört hatte und ich glaube nicht, dass du mich einladen wolltest, nachdem du mich einmal verloren hattest."

„Wie verloren? Du... Du hast dich mir widersetzt, mich schwer verletzt und bist einfach abgehauen und hast mich den Halbwüchsigen und Schwachen hier draußen gelassen!", wütete der Mann über den Tisch hinweg.

Chris grinste ihn an. „Ach, woran lag das wohl? Lag es wirklich nur an mir?" Er legte fragend den Kopf ein wenig schief.

Der Alpha stand auf und knurrte wütend, während der Speichel nur so durch den Raum flog: „Du meinst also es war meine Schuld? Es lag an mir, dass hier alles so schief verlief? Wozu hatte ich dich ausgebildet? Wer sollte mein Nachfolger werden?... Aber egal, wozu die alten Sachen wieder aufwärmen. Also was willst du hier?"

Der eisige Hauch des Alphawolfs (BoyxBoy)Where stories live. Discover now