Ruhe vor dem Sturm

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„Nikolas", hörte ich eine Stimme an meinem Ohr und eine Hand, die mir sacht über das Gesicht strichen. Ich öffnete die Augen und schaute in das vereiste Gesicht von Joshua, an dessen Geschichtsschutz sich Eiszapfen gebildet hatten. „Geht es dir gut?"

Ich konnte nicht antworten. Mir ging es gar nicht gut. Ich driftete wieder weg in diese schmerzfreie Dunkelheit, die mich angenehm umschloss.

--o--

Dumpf hörte ich ein lautes Kreischen, als die Ketten des Schneemobils durchdrehten. Irgendetwas musste passiert sein! Mit einem kräftigen Schlag, der meinen Körper kurz stauchte, rutschte der Anhänger seitlich durch den Schnee. Ich war hellwach, das Adrenalin schoss durch meinen Körper, meine Fingerspitzen kribbelten. Mit einem Mal verlor ich die Skibrille und mein Mund und meine Augen füllten sich schmerzhaft mit eisigem Schnee, als der Anhänger schlagartig stehen blieb und in einer Schneewehe stecken blieb. Ich konnte nicht mehr atmen. Alles um mich herum wurde schwarz. Hektisch ruderte ich mit den Armen. Scheiße, ich war festgeschnallt, ich konnte mich nicht befreien. Ich bekam keine Luft mehr. Es war so kalt. Gott, Chris, das war es! Es war sinnlos!

„Nikolas, Nikolas!" hörte ich Joshuas verzweifelte Stimme, welche sich mit dem knautschenden Geräusch des Schnees vermischte als er mich freibuddelte.

Ich schnaufte, Luft, Luft und hustete. Endlich konnte ich wieder atmen, dann wurde mir schwarz vor Augen.

Ich wurde wieder wach, als ich hochgehoben wurde. Ich schlug meine Augen auf. Joshua schaute besorgt auf mich herab. Sein Gesicht war von der Schneebrille bedeckt und seine Fellgesäumte Mütze umrundete sein vereistes Gesicht. Es war Nacht und der wirbelnde Schnee um peitschte uns beißend. Ich hatte kein Gefühl mehr in Händen und Füßen. Mir war eisig kalt. Meine Augen brannten.

„Nikolas, Gott sei Dank bist du wach. Ist alles in Ordnung?" brüllte er gegen den Sturm an, der uns wütend umtoste.

Ich hoffte es und nickte, während ich hustete.

„Wir sind in der Nähe einer kleinen Hütte. Der Sturm ist zu stark. Ich konnte die Schneewalze nicht sehen. Der Anhänger ist hin."

Er trug mich gegen den anstürmenden beißenden Wind zu einer kleinen Holzhütte aus ganzen rohen Kieferstämmen ohne Fenster, die neben einer runden Garage aus Wellblech stand, wie ich noch im Schnee und der Dunkelheit gerade noch so erkennen konnte. Ich hörte wie ein Generator hustend angeworfen wurde.

Sofie hielt die Tür auf und fragte besorgt: „Alles in Ordnung?" Sie schaute zweifelnd auf mich, während sie versuchte gegen den Sturm die Tür wieder zuzudrücken.

Ich nickte. „So ganz bin ich mir nicht sicher. Mir ist eisig."

Sie sagte: „Ich habe den Generator angeworfen. In der Garage sind Benzinvorräte. Damit halten wir die nächsten Tage durch. Essen ist auch eingelagert. Wir haben ein Funkgerät. Es ist in zehn Minuten warm."

Joshua legte mich auf eines der zwei vorhandenen Betten und begann mir meine Handschuhe auszuziehen, während ich mich umschaute. Wir waren in einer kleinen Hütte aus rohen Holzbohlen gelandet. Eine nackte Leuchtstoffröhre erhellte den Raum, während in einer Ecke ein Heizlüfter laut glühend Luft einblies. Zwei roh gezimmerte Betten standen je an einer Wand und in der Mitte stand ein alter Holzofen mit einem schwarzen Metallschornstein, vor dem Sofie kniete und Holzscheite hinein stapelte, die sie durch eine zweite Tür, die wahrscheinlich in die Garage führte, zuvor hereingebracht hatte.

Eine kleine offene Küche mit einem Tisch und zwei Stühlen war vorhanden und ein breites Regal an einer Wand auf dem ein Funkgerät und einige Vorräte in großen Plastikbehältern gestapelt waren.

Joshua schaute auf meine fast weißen Hände und versuchte meine Hände mit seinen zu wärmen, während er darauf blies: „Nikolas, schön, dass du wieder bei uns bist. Du warst nicht mehr ansprechbar. Ich mach dir gleich ein heißes Bad. Wir haben in der Garage ein kleines Bad. Du bist ein Eiszapfen."

„Haben wir es geschafft?", fragte ich hustend. Mir brannten die Lippen, als wieder Wärme hindurchfloss.

„Er schüttelte den Kopf. Wir wären fast in einer Schneewehe steckengeblieben. Sorry...Wir sind noch circa eine Stunde von unserer Lodge entfernt. Aber das Wetter ist einfach zu beißend und wir konnten nichts mehr sehen. Die Anhänger machen die Schneemobile noch langsamer. Wir sind in einer vorgelagerten Schutzhütte unserer Lodge, die im Sommer für Jäger unterhalten wird, untergekommen. Hier können wir bleiben, bis der Sturm vorbei ist. Also entspann dich. Ich wecke dich, wenn das Wasser warm ist."

Ich nickte und schlief wieder ein.

--o--

Es knackte und knirschte als Sofie das Funkgerät anwarf. „Wir sind in der Jagdhütte am Bärenmarsch. Bei uns ist alles in Ordnung. Wir kommen, wenn der Sturm vorbei ist."

Die Antwort kam leise rauschend aus dem Äther. „Gut, wir hatten uns schon Sorgen gemacht. Chris hatte schon angerufen und nachgefragt. Habt ihr einen Menschen mit Namen Nikolas dabei?"

Sofie lächelte in den Raum, während Joshua seinen Finger auf den Mund legte. Sie zog die Stirn zusammen. „Nee, warum?" fragte sie ins Funkgerät.

Es rauschte: „Eigenartig. Er war sich ganz sicher und wollte auch herkommen. Aber durch den Sturm kommt er wohl nicht durch. Er war ziemlich angefressen und hat wohl mit Joshua ein Hühnchen zu rupfen. Aber egal, meldet Euch, wenn ihr loskommt. Hier ist sonst nichts los."

„Roger, wir melden uns. Out" Sofie grinste und stellte das Funkgerät wieder aus. „Also haben wir noch ein paar Tage unsere Ruhe bis der wirkliche Sturm los bricht, gegen den der Blizzard hier ein Witz sein dürfte."

Joshua verzog die Mundwinkel nach unten.

Der eisige Hauch des Alphawolfs (BoyxBoy)Where stories live. Discover now