118 - genius wreck

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5. September 1996

"Hervorragend, Miss Evans! Einwandfreie Leistung", meinte Slughorn hochzufrieden als er meinen Trank bewertend betrachtete. "Das gleiche Talent wie ihre Mutter. Sie war ein richtiges Genie in Zaubertränke, unsere Lily!" Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen. "Ausgezeichnet, ausgezeichnet!", murmelte er noch, als er sich bereits wieder entfernte und sich Elles Zaubertrank zuwandte, den er ebenfalls bestätigend betrachtete. Zaubertränke war, wie sich herausstellte, noch ziemlich das einzige Fach, bei welchem ich weiterhin meine üblichen Leistungen erbrachte. Dies und die Tatsache, dass ich Lily Evans Tochter war, machte mich wohl oder übel zu Slughorns Lieblingsschülerin.

Nach unserer letzten Stunde am Nachmittag setzte ich mich auf eines der Sofas im Gemeinschaftsraum und las einige Kapitel in Verwandlung für Fortgeschrittene, die McGonagall uns aufgetragen hatte. Wenig später traten die sechst Klässler in den Gemeinschaftsraum. Hermine liess sich neben mir nieder und stöhnte erschöpft auf. "Was ist los?" Hermine schaute nur mit funkelnden Augen zu meinem Bruder. Harry liess sich gegenüber von uns auf das Sofa fallen. "Sie ist nur eifersüchtig, weil ich besser als sie in Zaubertränke bin", grinste er. Ich schaute ihn skeptisch an. "Seit wann bist du gut in Zaubertränke?" Fragend schweifte mein Blick zu Hermine. "Du betrügst, das ist nicht fair!" fuhr Hermine ihn an. "Das ist nicht betrügen", gab Harry zurück. Eine Aufklärung erwartend schaute ich die beiden an. "Er hat ein Buch mit Notizen von einem Zaubertränkegenie!" erklärte Hermine. "Ich kann nichts dafür, dass ich das gebrauchte Buch des 'Halbblutprinzen' verwenden muss." Des 'Halbblutprinzen'? Hermine erkannte meinen stutzenden Blick, zuckte jedoch nur augenverdrehend mit den Schultern.

Harry räusperte sich erneut. "Übrigens, Malfoy hatte am Montag im Zaubertränkeunterricht fast geweint, als er den Duft des Amortentia wahrnahm. Ich könnte schwören, Tränen in seinen Augen gesehen zu haben." Da ich nicht wusste, was das sollte, schaute ich ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Hermines Blick durchlöcherte ihn bedrohlich. "Sein frustrierter Blick als mir Slughorn das Fläschchen Felix Felicis überreichte war unbezahlbar", versuchte er sich zu retten. Er trug ein unsicheres Lächeln auf den Lippen. "Nicht hilfreich", fauchte Hermine. Ich seufzte mit einem gemischten Gefühl aus Amüsement und Bedauern und lehnte mich zurück, um mich wieder auf meine Buchseiten zu konzentrieren. Doch meine Gedanken waren überall, ausser bei dem Kapitel, das ich eigentlich hätte lesen sollen.

"Miss Evans", durchbrach McGonagall einige Minuten später meine Gedanken. Ich blickte von meinen Buchseiten hoch. "Kann ich kurz mit ihnen sprechen?" Als Antwort legte ich das Buch zusammenklappend ab, stand auf und folgte ihr hinaus aus dem Gemeinschaftsraum auf den Flur.

Ich schaute Professor McGonagall fragend an. Sie erwiderte meinen Blick besorgt. „Ihre Freunde und Klassenkameraden machen sich Sorgen, Miss Evans." Ich runzelte die Stirn. „Und viele Lehrerkollegen tun dies auch, inklusive mir. Sie scheinen energielos und abwesend. Und es tut mir leid dies zu erwähnen, aber sie bringen nicht mehr die Leistungen, die wir von ihnen gewohnt sind." Ich wich ihrem Blick aus, erwiderte jedoch nichts. Enttäuschung machte sich in mir breit.

„Ich weiss, das ist vielleicht etwas persönlich, aber ich fühle mich verpflichtet dies trotzdem anzusprechen." Sie legte eine kurze Pause ein. „Essen sie genug, Evans?" Ich nickte zögernd, wusste jedoch, dass sie mir das nicht abnahm. „Und behalten es auch bei sich?" Ich schwieg, was Antwort genug für sie war. Ihr Blick füllte sich mit Sorgen. „Sie müssen ihre Ernährung wieder in den Griff bekommen", sagte sie leise. „Sie scheinen beinahe zu zerbrechen." Ihre Stimme war bloss noch ein ernstes Flüstern. Tränen schossen in meine Augen, doch ich versuchte sie so gut es ging weg zu blinzeln. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich wusste nicht wie. Das ganze hatte viel tiefere mentale Ursachen, als ich mir eingestehen mochte.

McGonagall räusperte sich erneut. „Sie müssen ihre Macht wieder erlangen, Evans." Sie legte eine Hand auf meine Schulter, doch ich hatte meinen Blick noch immer auf den Boden gerichtet. „Sie wissen, welche Bedeutung sie für uns, sowie auch für den dunklen Lord haben. Er will sie auf seiner Seite haben. Wenn sie nicht lernen, ihre Macht zu beherrschen, sind sie ein leichtes Opfer. Sie sind eine der begabtesten jungen Hexen, die ich je unterrichtet habe. Sie habe diese Macht noch immer, sie müssen es nur wieder zulassen."  Das war einfacher gesagt als getan. Ich spielte an meinem Pulloverärmel herum, wusste nicht was ich sagen sollte.

Dann seufzte sie leise und nahm ihre Hand wieder zurück. „Ich habe mit ihrem Vater gesprochen - " Nun drehte ich meinen Kopf wieder ihr zu und erwiderte ihren Blick kritisch. „Er wird ihnen helfen ihr Trauma zu bewältigen und ihre Macht zu verstärken." Ich schaute sie einen Moment irritiert an, schüttelte dann ungläubig den Kopf. „Wie will er das anstellen? Ich bin bereits kaputt-" McGonagall atmete zischend ein. „Sie sind nicht kaputt, Evans. Sie müssen sich bloss erholen", erwiderte McGonagall leicht erschüttert. Ich liess die Schultern sacken. „Wie lange soll ich mich denn noch erholen?" Rhetorisch zog ich die Augenbrauen hoch „Jeder hat das Gefühl, dass ich ohne schwerwiegende Schäden davon gekommen bin. Ja, ich habe drei Cruciatus-Flüche überlebt und noch einen klaren Geist, aber sehen sie mich an. Es hat mich mental zerstört." Ich schaute sie mit Tränen in den Augen an. „Mich und nicht meine Energie", fügte ich leise mit bebenden Lippen hinzu. Das war das Problem - nicht meine fehlende Macht. Ich spürte die enorme Macht, die in mir herrschte - die durch den Cruciatus-Fluch ausgelöst wurde und ich hielt es kaum aus. Sie drückte mich nieder, denn ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich war mental mit all den Gefühlen und der Macht, die das Trauma ausgelöst hat, überfordert. Professor McGonagall schluckte und schaute mich mit grossen Augen an.

„Lass es zu, Faye" hörte ich meinen Vater hinter ihr sagen. „Lass sie zu- deine Macht und deine Gefühle."  Ich schüttelte verdrängend den Kopf. Tränen stiessen mir erneut in die Augen, doch dann konnte ich es nicht mehr zurückhalten. Ich tat genau das, worum mich mein Vater bat. Ich liess die Gefühle zu, die mich seit Wochen niederdrückten. Und mit ihnen liess ich die in mir fliessende Macht emporsteigen.

Ich erhob mich leicht, spürte wie die Macht mir erst unkontrolliert entwich, wie Wind um mich herum wehte und einige Bilder von den Wänden riss. Doch mit jedem Atemzug beruhigte ich mich und mit mir sie, bis eine gewisse Harmonie zwischen uns herrschte. Ich fühlte mich seit langem wieder lebendig.

Ich taumelte schwer atmend einige Schritte zurück. Mein Vater griff nach meinem Arm, um mich zu stützen. Ich schaute in die fassungslosen Gesichter von ihm und Professor McGonagall. In beiden lag leichte Besorgnis, aber ich erkannte auch Erleichterung. Erleichterung und Hoffnung. Und von diesem Moment wusste ich, dass ich es schaffen konnte. Dass alles gut kommen würde. Von diesem Moment an ging es mir jeden Tag etwas besser.

Faye Lily Evans - The Girl Who LovedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt