Kapitel 7

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Ich starrte bewusst auf meinen leeren Teller während wir auf Maria und Lucia warteten. Ich spürte genau die Blicke der vier Jungs auf mir während sie sich lautstark unterhielten.

„Bist du bei deinem Vater raus geflogen?", fragte Tito, woraufhin ich erschrocken darüber, dass er mich ansprach, den Kopf hob.

„So ähnlich.", murmelte ich. Lucia setzte sich schwatzend neben mich. Sie erzählte natürlich die Zwiebel-Geschichte, was dafür sorgte, dass ich auch noch rot anlief. Komischerweise wünschte ich mir jetzt, dass ich bei Miguel in seinem winzigen Haus wäre...

„Ihr verunsichert das arme Mädchen!", schimpfte Maria, die mein Unbehagen bemerkt hatte. „Sie weiß doch gar nicht, wo sie hier gelandet ist."

Ich sah die Frau verwirrt an. Was meinte sie damit? Sie ging auf meinen verwunderten Blick ein.

„Das hier", sie deutete auf die muntere Runde am Tisch, „Wir alle, sind eine Familia."

„Was?", fragte ich ganz klug.

„Eine Familia, Schatz."

„Eine Familie also. Schön.", murmelte ich. Wollte sie mich jetzt auch auf den Arm nehmen? Alle lachten natürlich, außer mir.

„Die ganze Stadt steht unter dem Schutz der Familia.", begann Tito geduldig zu erzählen. „Das hier sind Mano und Fernando.", er deutete auf die beiden Männer, die ich bisher noch nicht kannte. „Chico ist mein Bruder, die beiden sind unsere Cousins."

„Schön.", sagte ich wieder, noch immer verstand ich überhaupt nichts.

„Du musst wissen, dass es hier Bandenkriege und Rivalitäten zwischen den verschiedenen Familias gibt. Eine Familia ist keine Familie, wie du sie dir vorstellst. Die Verwandten gehören zwar dazu, aber auch enge Freunde der Familie, so wie dein Vater."

„Also seid ihr eine Gang, ja?", fragte ich verwirrt. Wieder lachten alle. Haha, ja, lustig! Lacht die arme, ahnungslose weiße Tussi, die von ihrer Mutter verstoßen wurde ruhig aus!

„Nein, keine Gang. Wir sorgen dafür, dass andere Familias aus unserer Stadt draußen bleiben. Wir sorgen für den Schutz der Menschen hier."

„Wieso müsst ihr sie schützen? Sind die anderen Familias gefährlich?"

„Natürlich. Es ist ein ewiger Krieg. Es geht um die Größe des Gebiets, um Waffen und den Handel mit...!", erklärte Tito, doch Chico unterbrach ihn barsch.

„Das reicht jetzt!"

Mein Blick huschte zu dem mysteriösen Kerl, der seinen Bruder streng anschaute. Tito verstummte augenblicklich, schenkte mir jedoch noch ein kleines Lächeln. Ich war etwas verwundert, dass er sich einfach so den Mund verbieten ließ. Doch andererseits verstand ich es auch. Chico war wirklich angsteinflößend.

Ich war froh, dass ich nach dem Essen nicht mehr beim Aufräumen helfen musste. Maria hatte mich nach oben geschickt, sodass ich in Ruhe duschen und meine Sachen auspacken konnte. Als ich in Lucias Zimmer ankam setzte ich mich zuerst auf die helle Couch, die gegenüber von einem Fernseher stand. Tausend verschiedene Gedanken rasten durch meinen Kopf, ich verstand noch immer nicht wirklich, was Tito mir erklären wollte. Ich musste unbedingt später Lucia darüber ausfragen. Ich hatte das komische Gefühl, dass ich hier in einer ziemlich seltsamen Situation gelandet war...

Ich hatte gerade eine gemütliche Shorts und ein Top übergezogen als Lucia ins Zimmer kam.

„Hast du ausgepackt?", sie strahlte mich an während sie sich einfach ihre Klamotten auszog. Ich räusperte mich. „Ja."

„Ich bin todmüde. Das war echt ein langer Tag.", stöhnte sie während sie im Badezimmer verschwand um sich die Zähne zu putzen.

„Wem sagst du das...", murmelte ich so leise, dass sie es nicht hörte. Ich kramte meine Bodylotion aus meinem Kulturbeutel und begann damit, meine Beine einzucremen. Der angenehme und vertraute Duft nach Vanille stieg in meine Nase und augenblicklich fühlte ich mich etwas besser.

„Du, Lucia?", fragte ich. Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete kritisch einen kleinen Pickel, der auf ihrer Stirn war.

„Hm?"

„Das, was Tito vorher erklärt hat... ich komme da nicht mit."

Sie kicherte, drehte sich jedoch weg von ihrem Spiegelbild und schaute mich an.

„Das verstehe ich, es ist kompliziert."

„Wieso hat Chico ihn unterbrochen?"

Lucia räusperte sich, dann kam sie zurück ins Zimmer und setzte sich neben mich auf die Couch.

„Ich weiß selbst nicht genau, was die Jungs den ganzen Tag machen. Manchmal sind sie tagelang unterwegs, ich habe keine Ahnung wo.", damit beantwortete sie mir meine nächste Frage gleich.

„Jedenfalls weiß ich, dass wir mit den Bandenkriegen die hier herrschen und ohne die Jungs ziemlich aufgeschmissen wären. Andere Familias gehen mit den Frauen fremder Familias nicht gerade... gut um.", sie kniff ihre Augen zusammen während meine Neugier wuchs.

„Sie entführen sie, vergewaltigen sie... dann bringen sie sie um."

„Oh.", ich war ehrlich gesagt mehr als geschockt und verstand jetzt vielleicht eher, warum Miguel mir verboten hatte, allein hier herum zu laufen. Klar, Chico, Tito und die anderen waren hier aber sie konnten ja auch nicht überall gleichzeitig sein. Plötzlich schoss mir ein ziemlich erschreckender Gedanke durch den Kopf.

„Was ist mit den Jungs hier? Sind sie auch grausam zu Frauen von anderen Familias?"

Lucia zögerte kurz.

„Nicht alle, nein. Aber einige schon."

„Was... was ist mit Chico? Und Tito?", fragte ich. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, dass Tito eine Frau vergewaltigen oder umbringen könnte. Oder überhaupt jemanden. Er war so nett.

„Sie alle haben schon Menschen getötet, Jamie. Aber nur zum Schutz der Familia. Hier ist es manchmal einfach... notwendig. Ich weiß, das ist schwer zu verstehen. Aber Chico oder Tito würden genauso wenig wie Mano und Fernando Frauen vergewaltigen."

Sofort schoss mir Juans psychotischer Blick in den Kopf und ich war mir sicher, Juan würde es tun. Plötzlich kicherte Lucia. „Für diese Art von Verlangen haben sie Chicas."

Und wieder blieb mein Mund offen stehen. Chicas?

„Sind das Nutten?", fragte ich und war beinahe genauso entsetzt beim Gedanken daran, dass Tito oder Chico sich eine Nutte nehmen würden.

„Nein... Naja... es sind Schlampen. Sie würden alles dafür tun, um die Aufmerksamkeit von einem der Jungs zu bekommen. Sie lassen sich nicht bezahlen, sie schlafen freiwillig mit ihnen."

„Was?", rief ich aus. Wie konnten Frauen sich nur so gehen lassen? Das war peinlich!

„Du wirst früh genug ein paar von ihnen kennen lernen. Hier steigen ständig Partys, auf denen Chicas natürlich nicht fehlen dürfen."

Ich schwieg und dachte, dass ich eigentlich überhaupt nicht scharf darauf war diese armen Frauen zu treffen. Lucia streckte sich ausgiebig während sie gähnte.

„Lass uns jetzt schlafen. Ich bin sowas von müde!", mit diesen Worten tapste sie zu ihrem Bett und ließ sich auf die Matratze fallen. Ich ging ihr hinterher und machte mir es neben ihr gemütlich. Irgendwie mochte ich Lucia, sehr sogar. Wir erzählten noch eine Weile von belanglosen Dingen wie ihrem Studium oder San Diego. Irgendwann schliefen wir dann ein.



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