Kapitel 40

239 19 7
                                    

Die Luft im Raum gefror zu Eis. Wir alle schwiegen. Ich ängstlich, Bella erwartungsvoll, Chico... Chico sah mich an. Ich sah, wie er überlegte. Diese wenigen Sekunden kamen mir vor wie Stunden. Ich entgegnete seinen Blick. Das war gerade nicht passiert! Es konnte nicht passiert sein!

„Ist das wahr?", fragte Chico nun. Seine Stimme klang rau und tief, seine dunklen Augen musterten mich. Ich schluckte heftig.

„Chico... ich...", begann ich, doch ich fand einfach keine Erklärung. Es gab einfach nichts, was diese beschissene Situation erklären könnte!

„Jamie! Ist das wahr?", unterbrach er mich brüllend. Er brüllte so laut, dass ich einen Schritt zurück taumelte und gegen Lucia stieß. Etwas in seinen Augen veränderte sich. So viel Wut, Hass und Zorn hatte ich noch niemals bei einem Menschen gesehen.

„Ich... das...!", stammelte ich wieder. Chico hob seine Hände und fuhr sich damit fahrig über sein Gesicht. Als er wieder aufsah, musterte er seinen Bruder. Ich hatte keine Ahnung, wie Tito im Moment aussah, wahrscheinlich genauso schuldig wie ich.

„Fuck!", brüllte Chico und hob seine Hände wieder an um sie sich rechts und links gegen den Kopf zu drücken. Er drehte sich schnell um, suchte jedoch sofort wieder Augenkontakt zu mir.

„Fuck! Das hast du nicht getan!", brüllte er wieder. Der Kloß in meinem Hals wuchs und wuchs.

„Es tut mir leid, Chico! Bitte, das musst du mir glauben!", versuchte ich es. Meine Stimme zitterte und brach, ich ging einen Schritt auf ihn zu, ließ Lucias Hand los, doch Chico hob abwehrend seine Hände.

„Komm mir nicht zu nahe!", sprach er drohend. Ich blieb sofort stehen.

„Es hatte nichts zu bedeuten!", versuchte ich es erneut. Ich hätte niemals gedacht, dass ich diese ausgelutschten Floskeln einmal benutzen würde. Wie jämmerlich war ich eigentlich geworden?

„Scheiße, du wusstest was sie mir bedeutet!", brüllte Chico jetzt seinen Bruder an. Ich starrte auf den Fußboden und biss mir auf die Lippe, ich durfte jetzt nicht heulen.

„Chico, hör zu...!", begann nun auch Tito, doch Chico war nicht zu beruhigen. Er war nicht zu bremsen. Wir hatten ihn so sehr verletzt und Chico war gefährlich. Er hatte sich nicht im Griff.

„Du wusstest es und hast sie gefickt!", brüllte er wieder und ging mit schnellen Schritten auf seinen Bruder zu.

„Chico, nicht!", schrie ich und stellte mich ihm, dumm wie ich war, in den Weg.

„Verpiss dich, Jamie!", zischte er nur, umfasste meine Schultern, hob mich hoch und stellte mich wie einen Stuhl einfach auf die Seite. Dann erreichte er Tito, holte aus und schlug zu. Schon beim ersten Schlag spritzte Titos Blut über den Teppichboden.

„Nein! Chico!", brüllte ich und rannte zu ihnen.

„Jamie!", brüllte Lucia noch, doch ich ignorierte sie. Chico holte bereits zum wiederholten Mal aus, als ich ihn erreichte. Ich musste hoch springen, um seinen Arm zu erreichen, klammerte mich schließlich jedoch an ihn. Er konnte seinen Bruder doch nicht schlagen – wegen mir! Sie waren Brüder! Chico fuhr herum, Tito spuckte noch mehr Blut auf den Teppich, dann verpasste Chico mir einen Schlag und wie ein Blatt im Wind wurde ich von seinem Arm gegen den Wohnzimmertisch geschleudert. Mit dem Rücken krachte ich gegen die Kante und kam schließlich unsanft auf dem Boden auf. Lucia war sofort an meiner Seite.

„Toll Bella, ist es das, was du wolltest!?", brüllte ich Bella an, die mit weit aufgerissenen Augen die Szene anschaute. Damit hatte sie nicht gerechnet. Jetzt war es zu spät. Chico dagegen verschwendete keine Zeit und schlug erneut auf Tito ein. Ich erkannte Titos Gesicht schon gar nicht mehr, so stark blutete er.

„Chico! Hör auf!", brüllte Lucia, die angefangen hatte laut zu heulen.

„Hör auf!", brüllte sie immer wieder, ihre Stimme überschlug sich schon, so laut schrie sie.

„Du bringst ihn noch um!", schrie auch ich und rappelte mich wieder auf. „Chico!"

Endlich hielt Chico inne, Tito fiel wie ein Stein auf den Boden und blieb liegen.

„Tito!", heulte Lucia und rannte zu ihm. Sie legte seinen Kopf auf ihre Oberschenkel und strich ihm über die blutverschmierten Wangen.

„Bella, ruf einen Krankenwagen!", brüllte sie. Bella löste sich aus ihrer Schockstarrte und tat, was Lucia ihr gesagt hatte. Dann erst registrierte ich, dass Chico auf mich zukam. Er würde mich nicht schlagen, oder? Er würde mich nicht zusammen schlagen. So war er nicht. Das würde er nicht tun. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich schluchzte unkontrolliert und versuchte die Panik irgendwie in den Griff zu bekommen. Chicos Gesicht war übersäht von Blutspritzern, seine Fäuste waren aufgeplatzt und bluteten ebenfalls. In seinen Augen sah ich Hass. Er hasste mich. Als er direkt vor mir stand, blieb er stehen.

„Und du... verschwinde hier und lass dich nie wieder blicken!"


Verschiedene WeltenWhere stories live. Discover now