Kapitel 38

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„Wohin willst du?", rief Chico, als ich in Richtung Haustüre stolzierte.

„Einfach nur weg hier!", knurrte ich und öffnete die Tür. Er legte seine Hand auf meine und hinderte mich so daran, die Haustür zu öffnen.

„Lass mich in Ruhe!", fauchte ich und schubste ihn weg von mir.

„Du kannst nicht einfach gehen!", sagte er streng. Ich lachte sarkastisch auf.

„Denkst du, ich lasse mir von dir etwas verbieten?"

Ich öffnete erneut die Haustür.

„Sei nicht immer so verdammt stur, Jamie!", verlangte er während er mit beiden Händen meine Oberarme umfasste und mich zurückzog.

„Du tust mir weh!", schrie ich. Ich wusste, dass das zog. So, als hätte er sich verbrannt, zog er seine Hände wieder weg. Seit seinem „Blackout" hatte er panische Angst, mir weh zu tun, das konnte ich jetzt zu meinen Gunsten ausnutzen. Da blitzte wohl mein altes Ich durch, das Ich, welches mit unfairen Mitteln spielte. Lucia schlenderte vorbei. Natürlich hatte sie unseren Streit mit bekommen. Doch Lucia wusste einfach, wie sie mit solchen Situationen umzugehen hatte.

„Oh!", machte sie gespielt überrascht, so als hätten Chico und ich uns nicht eine Sekunde zuvor angeschrien, und musterte mein Outfit. „Du willst an den Strand?"

Ich verdrehte meine Augen, nickte jedoch.

„Warte kurz, ich komme mit!", sagte sie völlig neutral und teilnahmslos, dann ging sie langsam die Treppen nach oben, um sich ihren Bikini anzuziehen. Nicht nur ich sah ihr nach, sondern auch Chico.

„Du willst also an den Strand?", fragte er kurz darauf, wieder in völlig normalem Ton.

„Denk bloß nicht, du kannst mitkommen!", fauchte ich und ließ ihn einfach stehen.

*

Nachdem ich Lucias Kopfschmerzen überstrapaziert hatte weil ich sie eine Stunde lang über Chico zu getextet hatte, legte sie sich ausgestreckt auf ihr Strandtuch und schlief kurz darauf ein. Auch ich machte es mir gemütlich und döste vor mich hin. Ich war hundemüde. Das Leben hier, vor allem Chico, war einfach so anstrengend. Es war schön, einfach mal einen Tag lang seine Ruhe zu haben. Ich genoss die Zeit, die ich mit Lucia allein verbrachte. Ohne Maria, die ständig Arbeit für uns hatte, Chico, der alles und jeden über mich stellte oder Juan, dessen hässliche Visage ich sowieso nicht ertragen konnte. Es war schon heftig, wie sehr mein Leben sich in diesen paar Monaten, in denen ich jetzt hier war, verändert hatte. Meine Probleme von früher schienen so klein zu sein, dass ich noch nicht einmal mehr darüber nachdachte. Teure Klamotten und Handtaschen hatten schon lange nicht mehr oberste Priorität. Es machte mir nichts mehr aus, mir die Hände schmutzig zu machen oder früh aufzustehen. Während meine Welt sich früher um die neuesten Trends gedreht hatte, drehte sie sich jetzt um Chico. Zwar drehte sie sich im Moment nicht reibungslos, doch sie drehte sich, auch wenn sie ab und zu ins Schwanken geriet. Ich hatte viel über das Leben und die Menschen gelernt und wusste, dass ich nicht die wichtigste Person auf Erden war. Es beeindruckte mich, wie selbstlos Maria und Lucia waren. Maria hatte mich aufgenommen wie eine Tochter, sie hatte mich erzogen und mir so viel beigebracht. Ein Leben ohne sie konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Sie war mehr wie eine Mutter für mich, als es meine eigene je war. Sie hatte sich nicht einmal bei mir gemeldet. Es schien ihr egal zu sein, wie es mir ging. Ich hatte keine Ahnung, ob sie ab und zu Kontakt zu meinem Vater hatte. So wie sie jedoch immer über ihn gesprochen hatte, wohl eher nicht.

„Wollen wir los?", Lucias Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich nickte schnell. Bevor wir nach Hause gingen, wollten wir noch bei meinem Vater vorbei gehen.

Miguel ging es fast wieder gut. Josepha hatte sich gut um ihn gekümmert und ich hatte den Eindruck, dass sie sich nicht nur um seine Gesundheit gesorgt hatte. Die Blicke, die die beiden sich immer zuwarfen, sprachen Bände. Außerdem war ich positiv überrascht, als ich Miguels kleines Haus gesehen hatte. Man sah, dass eine Frau ihre Finger im Spiel hatte. Es war sauber und aufgeräumt. Hier und da hübschten Deko oder Vorhänge die Räume auf. Ich rümpfte meine Nase als ich daran dachte, wie ich mich verhalten hatte, als ich hier angekommen war. Ich war ein schrecklicher Mensch gewesen. Wir saßen im Garten meines Vaters und tranken Zitronenlimonade, die Josepha selbst gemacht hatte. Noch nie hatte ich etwas Besseres getrunken. Josepha war eine nette Frau, die gerne erzählte. Mein Vater hörte ihr seelig grinsend zu und ich freute mich für ihn, dass er jemanden gefunden hatte. Als mein Handy klingelte ließ Josepha sich nicht ablenken und erzählte Lucia weiter von einem Urlaub, den sie vor Jahren in New York verbracht hatte. Ich war etwas verwirrt als ich sah, dass Tito mich anrief.

„Hallo?", sagte ich leise in den Hörer. Ich wollte Josephas Erzählungen nicht stören.

„Jamie? Bist du das?", fragte er gestresst.

„Nein. Michelle Obama!", gab ich genervt zurück. Dass die Jungs auch immer so eine Hektik verbreiten mussten. Jetzt war ich gerade entspannt gewesen, da rief schon einer von ihnen an und nervte.

„Wo bist du?", fragte er, meine dämliche Aussage ignorierend.

„Bei Miguel. Was gibt's denn?"

„Kannst du zu Maria kommen? Ich denke, wir haben ein Problem!"

„Ist Chico etwas passiert?!", fragte ich sofort. Ich stand schnell auf und entfernte mich von Josepha, Lucia und Miguel.

„Nein. Ihm geht es gut. Noch...!", faselte er.

„Noch?! Was heißt noch?"

„Bella ist hier...", raunte er leise. Ich hatte Mühe, dass ich ihn überhaupt verstehen konnte.

„Na und?", fragte ich, regte mich jedoch gleichzeitig schon wieder auf. Was wollte diese Schlampe schon wieder von Chico?

„Jamie... Sie weiß es!", flüsterte Tito. In diesem Moment hörte mein Herz auf zu schlagen. Ich ahnte Schlimmes.

„Was weiß sie?"

„Das mit uns, Jamie! Sie weiß es!"

„Was?! Wieso weiß sie davon? Tito! Wieso weiß sie es?!", kreischte ich und schlug mir die Hand vor den Mund. Das musste ein Alptraum sein! Das konnte nicht wahr sein!

„Komm einfach her!", befahl er, dann legte er auf.

„Scheiße, nein!", hauchte ich fassungslos und sah auf das Smartphone in meiner Hand.

„Lucia!", krächzte ich. Meine Stimme hörte sich wie ein Reibeisen an. „Lucia!"

Sie fuhr hoch und sah mich ängstlich an.

„Bella weiß es! Sie ist bei Maria!", erzählte ich panisch. Josepha und Miguel waren ebenfalls aufgestanden. Im Gegensatz zu Lucia sahen sie aber verwirrt aus. Lucia hatte sofort verstanden.

„Es war wirklich sehr schön bei euch. Wir müssen jetzt leider los!", entschuldigte Lucia sich bei meinem Vater und Josepha.

„Ist etwas passiert?", fragte Josepha verwirrt und besorgt zugleich.

„Keine Sorge, nichts Schlimmes!", tat ich ihre Frage ab und schnappte meine Sachen. „Bis bald!"


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