Kapitel 12

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Am nächsten Morgen kam Miguel zum Frühstück vorbei. Er lobte die Pfannkuchen, die ich gebacken hatte und zum ersten Mal schenkte ich ihm ein aufrichtiges Lächeln. Vielleicht war er ja gar nicht so übel. Ich meine, er konnte ja nichts dafür, dass er arm war. Während Lucia wenig später in unserem Zimmer aufräumte lag ich auf dem Bett und blätterte in einem Modemagazin.

„Studieren die Jungs eigentlich auch?", fragte ich während Lucia gerade ihre Shirts zusammen legte. Sie hatte mir erzählt, dass sie Meeresbiologie studierte. An sich ein spannendes Thema, für mich jedoch unvorstellbar, schließlich fand ich das Meer nicht gerade anziehend. Das heißt, wenn ich nicht gerade rein musste, war es wunderschön, doch die Fische und Kriech-Viecher, die darin lebten, musste ich nun wirklich nicht studieren.

„Nein, für ein Studium haben sie keine Zeit."

„Haben sie denn die High School besucht?"

„Nicht alle von ihnen. Tito hat einen Abschluss. Chicos Vater ist gestorben, als sein Abschlussjahr gerade begonnen hatte, er hat die Schule daraufhin abgebrochen um an den Platz seines Vaters zu rücken."

„Wieso ist er gestorben?"

„Er wurde erschossen."

Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke.

„Was?"

„Das kommt hier schon mal vor, Jamie.", Lucia klang so gleichgültig, so, als wäre das nicht das Schrecklichste, was einem Kind passieren konnte.

„Aber wieso hat er die Schule nicht beendet?"

„Jamie... Das ist bei uns anders wie bei euch. Die Wenigsten sind gebildet. Einige können noch nicht einmal lesen oder schreiben. Hier zählen andere Werte. Ein guter Abschluss oder ein Studium zählen hier gar nichts, wenn du deine Stadt verlierst oder deine Familie nicht schützen kannst. Und das tut Chico, er beschützt uns."

Ich war sprachlos. Ich meine okay, ich konnte mich auch nicht gerade mit einem erfolgreichen Studium profilieren, schließlich hatte ich mein Jura-Studium kurz bevor ich nach Mexiko abgeschoben wurde, hingeschmissen. Es hatte mich nicht interessiert und zu faul war ich, ehrlich gesagt, auch gewesen. Im Nachhinein musste ich zugeben, dass ich ganz schön egoistisch gewesen bin. Woanders herrschte wirklich Armut und Elend und ich hatte mich beschwert, dass eine Maniküre nicht perfekt war oder dass mein Studium mich langweilte.

„Und was ist mit deinen Eltern?", ich hoffte, mit dieser Frage überschritt ich bei Lucia keine Grenze.

„Ich kenne sie nicht. Maria hat mich bei sich aufgenommen. Meine Eltern sind bei einem Brand ums Leben gekommen. Maria hat mich gefunden und mitgenommen. Ich erinnere mich nicht daran. Ich war viel zu klein."

„Lucia, das tut mir so leid.", sagte ich und ich meinte es wirklich ehrlich.

„Nicht doch. Mir geht es gut hier. Ich liebe Maria."

Ich lächelte sie trotzdem mitleidig an. Ich verfluchte meine Mutter sehr oft und wir kamen nicht sehr gut miteinander aus, weil ich ihr immer gleichgültig war, doch ohne sie konnte ich auch nicht leben. Als ich noch kleiner war hatte ich mir immer gewünscht, dass sie sich mehr für mich interessieren würde. Doch sie legte einfach auf andere Dinge Wert, sodass ich eigentlich immer auf mich allein gestellt war. Doch sie war da. Meine Mutter lebte, und das genügte. Vielleicht sollte ich mich mal bei ihr melden? Ich hatte sie überhaupt nicht gesprochen, seit ich hier war.

„Wie auch immer! Du erinnerst dich an die Partys, von denen ich dir erzählt habe?"

Ich nickte.

„Und die Chicas?"

Wieder nickte ich.

„Fein! Heute Abend ist so eine Party, drüben bei Mano. Ich finde, du solltest mir dieses Kleid dafür leihen!", Lucia zog mein rotes Gucci-Kleid aus dem Schrank und hielt es sich vor den Körper.

Verschiedene WeltenWhere stories live. Discover now