2 - Wette

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„Alec? Ich wette um eine Fahrt mit der größten Achterbahn New Yorks, dass du dich nicht traust, vom Zehn Meter Brett zu springen!" Jace breitete die karierte Picknickdecke auf dem sorgfältig gestutzten Rasen aus und zwinkerte mir zu. „Also bitte, ich bin Achtzehn und nicht fünf, das schaffe ich mit links", rief ich gespielt empört aus. „Wette gilt?" „Wette gilt. Aber ich werde eh gewinnen." Unbeeindruckt zog sich mein bester Freund das Shirt über den Kopf, wobei er seinen durchtrainierten Körper zu Schau stellte. Clary sah ihn an als wäre er ein Gott. Sie himmelte ihn genauso sehr an wie er sie, der Grundstein für jede Beziehung. Bei mir waren Beziehungen immer gescheitert, ich hatte mich zu wenig für die Mädchen interessiert und war um ehrlich zu sein nur mit ein oder zwei Mädels zusammen, damit ich beim alltäglichen ‚Wer hat es wie oft getrieben' - Wettstreit mithalten konnte. Wirklich geliebt hatte ich keines der Mädchen. Ich war nicht Jace, der für Clary die Welt aus den Angeln heben würde, und ich war auch nicht Iz, die mit ihrer feurigen Leidenschaft jeden für sich gewann. Ich war einfach nur ich, der stille junge Mann, der lediglich in Gesellschaft seiner Freunde aufblühte.
Mit einem Seufzer entledigte ich mich ebenfalls meines Shirts, bevor ich mich wieder an Jace wandte. „Also, Prinzessin. Ich habe eine Wette zu gewinnen." Grinsend lief ich in meinen Flip-Flops über das Gras in Richtung des Springbeckens. Vielleicht waren das nicht gerade die männlichsten Schuhe, aber ich hatte panische Angst davor, in eine Biene, eine Wespe oder eine Hornisse zu laufen.
Jace beeilte sich, um mit mir Schritt zu halten, während Clary und Izzy fröhlich plaudernd ein paar Meter hinter uns liefen. Je näher wir dem Becken kamen, desto unruhiger wurde ich. Die Lässigkeit, mit der ich in die Wette eingewilligt hatte war verflogen. Als ich das letzte Mal von dem verdammten Zehn Meter Turm gesprungen war hatte sich der Aufprall angefühlt, als wäre vom Empire State Building gesprungen. Mit einem Hechtsprung. Auf den Kopf. Damals war ich erst zehn gewesen, mittlerweile machte ich Salti vom Fünfer. Doch seit dem Aufprall, nach dem mir zwei Tage lang schwindelig gewesen war, hatte ich die Leiter zum Zehn Meter Brett nicht einmal berührt.
Ich atmete einmal tief durch und parkte meine Flip - Flops auf der betonierten Fläche vor dem kleinen Abduschbecken. Jace watete bereits durch das knöcheltiefe Wasser, vorbei an einem alten Mann, der sich regelgemäß abduschte. „Komm schon, Schnecke auf zwei Beinen! Oder hast du Angst?" Jace' freundschaftliches Necken brachte ihm einen bitterbösen Blick seitens des Mannes ein, was vielleicht auch an dem fehlenden Duschen lag. Achselzuckend lief ich an ihm vorbei zu meinem Kumpel, dicht gefolgt von meiner Schwester und Clary. Mittlerweile redeten sie über die Fashion Week und wie übertrieben die Outfits denn waren. „Okay, Prinzessin, dann mal los." Ich klatschte in die Hände und überspielte meine Unsicherheit mit Lässigkeit. Nicht durchdrehen, nur nicht durchdrehen.
Warum hatte ich überhaupt so eine große Angst? Das war nur ein Sprung. Zwei Sekunden und es wäre vorbei.
Jace runzelte nur kurz die Stirn, bevor er mit mir zum Springturm ging. Davor blieben wir stehen. Mit in den Nacken gelegtem Kopf sah ich hoch. Gerade machte ein junger Mann mit regenbogenfarbenen Badeshorts ein wunderschönes Salto vom Brett zwischen Fünf und Zehn Metern. Sieben Komma Fünf, wenn ich mich nicht irrte.
Oh, Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße. Dämliche Wette. Vielleicht sollte ich einfach absichtlich verlieren und diese eine Achterbahnfahrt bezahlen?
Zögernd linste ich zu Jace, der mich triumphierend angrinste. So, als wüsste er, dass ich es nicht durchziehen würde. Oh nein. Nicht mit mir. Er würde mir das ewig vorhalten!
Entschlossen straffte ich die Schultern. „Packen wir es an", sagte ich zu Jace, und gemeinsam stiegen wir die kurze Metalltreppe zum Ein Meter Brett hinauf. Anschließend kam die Leiter zu den Drei Metern. Leiter. Fünf Meter. Ich sah nicht nach unten. Leiter. Sieben Komma Fünf Meter. Nicht nach unten sehen. Leiter. Zehn Meter.
Ich ballte die Fäuste, entspannte sie wieder, ballte sie, entspannte sie. Immer wieder, während wir noch auf der Leiter hingen. Eine Schlange aus etwa zehn Personen hatte sich vor uns gebildet. Mir blieb noch Zeit.
Der Mann in den Regenbogenshorts war vor mir. Ich konnte nur seinen Hinterkopf sehen, doch seine Haare schienen zu glitzern. Möglich, dass es Wasser war.
„Sicher, dass du das durchziehen willst, Alec?", fragte Jace von unten. Ich drehte mich zu ihm um und sah zu ihm herunter. „Ja. Natürlich." Meine Stimme klang so gar nicht überzeugend. „Du wirst mir das nur wieder vorhalten, Zeit meines Lebens. Obwohl du gar nicht auf meine Uni gehst wirst du mich jeden Tag daran erinnern, und das weißt du." Jace lächelte mich schelmisch an. „Also bitte, die John Jay ist gar nicht so weit von der Columbia entfernt." Plötzlich schaltete sich der Mann über mir ein, der mit den regenbogenfarbenen Shorts. „Du gehst auf die Columbia?" Ich drehte mich nach oben und stutzte. Das war der Typ. Der, in den ich gesprungen war. „Ja, ab Herbst. Warum?" „Cool, ich geh auch auf diese Uni. Vielleicht sieht man sich ja." Und damit kletterte er den Rest der Leiter nach oben, um sich hinter die verbliebenen zwei Personen zu stellen. Nervös kletterte ich hinterher. Sein nackter Arm berührte meinen, da nur wenig Platz war. Das Mädchen, das am Anfang der Schlange stand, nahm Anlauf, machte einen Handstand an der Kante und ging dann in ein Salto über, als sie nach unten kippte. Mit einem leisen Plätschern kam sie im Wasser auf, sie musste beinahe gerade eingetaucht sein. Als nächstes kam ein etwas rundlicher Junge an der Reihe, ich schätzte ihn auf etwa vierzehn. Er stellte sich an die Kante, presste die Arme an die Seiten und sprang in einer unglaublich einfallsreichen Kerze nach unten. Intelligenterweise streckte er die Hände nach außen, sodass er aussah wie ein hautfarbener Pinguin ohne Schnabel. Ich konnte ihn fluchen hören, als er auftauchte. Und dann war der glitzernde Regenbogenmann dran.

Real Life - MalecWhere stories live. Discover now