26 - Monsun

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Zwei Stunden später verließ ich das Haus der Garroways und lief gemütlich zu meinem Wagen. Stirnrunzelnd registrierte ich den Himmel, der während der letzten Stunden besorgniserregend dunkler geworden war. Beinahe schwarze Wolken verdeckten die Sonne, und es war gefährlich ruhig.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Ich hoffte inbrünstig, dass ich zuhause ankommen würde, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Denn dass es regnen würde war außer Frage.
Ein leises Donnergrollen ließ mich schneller werden, und keine zwei Sekunden später saß ich in meinem sicheren Wagen. Mit geübten Handgriffen steckte ich den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn. Vorsichtig ließ ich die Kupplung kommen, bis ich letztendlich in Rekordzeit ausparkte und auf die Straße fuhr.
Das Donnern wurde lauter, erste Regentropfen landeten auf meiner Windschutzscheibe.
Gottverdammt.
Ich bog gerade ab, als es richtig anfing zu stürmen. Der Wind peitschte gegen die Karosserie meines Wagens, kleine Hagelkörner beschädigten Glas und Metall. Fluchend suchte ich die Straße nach einer Tiefgarage, einer Unterführung ab, und ich wurde fündig. Unruhig klopfte ich mit den Fingern auf das Lenkrad, reihte mich in die Schlange der Autos ein, deren Fahrer ebenfalls vor dem heimtückischen Hagel fliehen wollte. Immer stärker prasselten die Körner herab, immer größer wurden sie. Als ich endlich unter der schützenden Betonplatte angekommen war hatte es aufgehört zu hageln. Stattdessen begleiteten mich Sturzbäche des Regenwassers auf dem Weg zum tiefsten Punkt der Unterführung, während ein vorbeifahrender Zug die Wände erbeben ließ. Immer breiter, immer schneller würden die Bäche, die sich schließlich zu einem wahrhaftigen Fluss verbanden. Ich wurde nervös, meine Hände zitterten. Immer heftiger trommelte ich auf das Lenkrad ein, in der Hoffnung, die andere Seite des anfangs schützenden Unterschlupfes noch zu erreichen.
Vergeblich. Das circa sechs Meter lange Stück glatter Beton, das die Mitte der Unterführung darstellte, war vollkommen überflutet. Vor mir ragte der sanfte Hügel auf, der gerillte Betonweg, der nach außen führte. Die Steigung war vollkommen von Wasser bedeckt, das in dicken Strömen nach unten floss, wo es sich mit den Fluten der anderen Seite vereinigte. Mittlerweile war meine Nervosität einer Panik gewichen, und ich versuchte mehr als nur verzweifelt, durch das mittlerweile reifenhohe Regenwasser zu fahren.
Vergebens.
Ich steckte fest.
Verdammter Mist.
Erneut unternahm ich einen Versuch, aus der Falle zu entkommen. Erneut vergebens.
Okay, Alec, keine Panik. Einatmen und ausatmen. Ein. Aus.
Mit geschlossenen Augen ballte ich die Hände, lockerte sie wieder, atmete kontrolliert ein und aus. Langsam wich meine Panik, und ich war in der Lage, meine Situation zu analysieren. Gut, ich steckte fest. Mit etwas Pech würde ich nicht mehr aus meinem Wagen kommen, wenn ich noch lange wartete.
Doch bevor ich auch nur Anstalten machen konnte, mein Handy herauszukramen, erlosch das Licht über mir, und ich war ich völlige Finsternis getaucht.
Oh, scheiße. Oh, scheiße, scheiße, scheiße.
Fluchend zog ich mein Smartphone aus der Hosentasche, glücklich darüber, dass ich es eingesteckt hatte. Die Anzeige auf dem in der Dunkelheit natürlich viel zu hellen Display machte deutlich, dass ich nur noch sieben Prozent Akku hatte. Zudem hatte ich hier unten keinen einzigen Empfang, stattdessen prangte ein dickes ‚Nur Notrufe möglich' an der oberen Leiste.
Na toll.
Erneut fluchte ich, und wenn ich in einem Comic gewesen wäre, hätte man meine Aussage sicherlich zensiert. Da ich allerdings weit davon entfernt war, eine gezeichnete Figur zu sein konnte ich fluchen wie ich wollte, weswegen ich von diesem Recht Gebrauch machte.
Als ich fertig war und beschlossen hatte, mir den Mund irgendwann in naher Zukunft mit Seife auszuspülen, rief ich die 911 und teilte der Notrufzentrale meinen Standort und meine Situation mit.
„Ihr Name?", fragte die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. Sie wirkte gestresst.
„Alec Lightwood."
„Okay, Mr Lightwood. Sie sagten, Sie würden in einer Unterführung feststecken. Da die Regenschauer noch anhalten werden, muss ich Sie dringend bitten ihr Auto zu verlassen, sobald es noch geht. Andernfalls könnten sie ertrinken. Am besten, Sie gehen anschließend in der Nähe in ein höhergelegenes Lokal, damit sie nicht von den Wassermassen mitgerissen werden."
Ich warf einen kritischen Blick aus dem Seitenfenster. Das Wasser war kaum über die Reifen gestiegen, also konnte ich noch aussteigen.
„Werde ich machen. Vielen Dank." Höflich verabschiedete ich mich von der gestressten Frau und zog den Schlüssel heraus. Der Motor erstarb, es wurde beinahe totenstill in dem isolierten Wagen. Schaudernd tastete ich in meinen Hosentaschen nach meinen Schlüsseln und dem Geldbeutel, um sie in einen wasserfesten Gefrierbeutel zu legen, von denen ich immer ein paar dabei hatte. Man wusste ja nie. Letztendlich schmiss ich mein Handy ebenfalls rein, bevor ich den einen Beutel gut verschloss und einen anderen darüberstülpte. Das Gebilde verstaute ich in meiner vorderen Hosentasche, auch wenn es ziemlich blöd aussah.
Wird schon schiefgehen, dachte ich und schwang die Autotür auf. Das Schwappen des Wassers erklang, das Plätschern des Regens. Kritisch musterte ich die dreckige Brühe unter mir, dann stieß ich mich ab, landete unsanft im eiskalten Wasser. Erneut schauderte ich, als ich die Tür zuwarf und abschloss.
Mühevoll bahnte ich mir einen Weg durch die Fluten, während die nasse Kälte in meine nackten Beine stach wie kleine Nadeln. Meine Sneakers trieften vor Wasser, ich wusste genau, dass sie die restlichen Sommerferien nicht mehr trocknen würden.
Schritt für Schritt kämpfte ich mich voran, bis ich schließlich an der Steigung ankam. Ein Geländer zog sich an der linken Seite nach oben, nach dem ich dankbar griff. Es war nass und rutschig, doch ich zog mich dennoch damit hoch. Mittlerweile fühlten sich meine Beine an wie Betonklötze, ich konnte meine eisigen Füße nicht mehr spüren.
Plötzlich rutschte meine Hand ab und ich verlor das Gleichgewicht. Panisch ruderte ich mit den Armen, doch es half nichts. In der nächsten Sekunde kippte ich nach hinten, und das eiskalte, dreckige Wasser bedeckte mich, zog mich zurück nach unten. Noch immer unter Wasser tastete ich umher, um nicht wieder ganz unten zu landen.
Tatsächlich schlossen sich meine klammen Finger um eine dünne Eisenstange, die verhinderte, dass ich wieder von vorne anfangen musste. Prustend setzte ich mich auf, wobei mir das Wasser noch immer um die Brust floss, gegen meine Lunge presste und mich zu ersticken drohte. Panisch kämpfte ich um Luft, erste schwarze Flecken tauchten in meinem Sichtfeld auf.
Dann schaffte ich es ächzend, mich auf die Beine zu stemmen. Ich war etwa zwei Meter nach unten gerutscht, doch die war ich in einer Minute wieder hochgestapft. Wütend wie ich war nahm ich mir nicht die Zeit, um wieder zu Atem zu kommen. Dennoch registrierte ich, dass der Wasserstrom langsam abebbte je weiter oben ich war.
Als ich letztendlich ganz oben war hätte ich den Boden küssen können, doch stattdessen sah ich mich um. Ich stand in Brooklyn, das erkannte ich sofort. Dicke Regentropfen landeten in meinen Haaren, und sie fielen so schnell, so dicht vom Himmel, dass ich kaum einen Meter weit sah. Es reichte allerdings aus, um mich grob zu orientieren. Ich war gar nicht weit von Magnus' Wohnung entfernt, auf die ich nun dankbar zusteuerte. Was mit mir passiert wäre, wenn ich noch in meinem Auto sitzen würde, das wollte ich mir nicht ausmalen.
Mein Auto.
Ich war soeben Zeuge des wohl schlimmsten New Yorker Gewitters seit guten zwanzig Jahren geworden, und ich dachte an meinen Wagen, der von den Wassermassen vermutlich zerdrückt werden würde.
Scheiße.
Kopfschüttelnd verdrängte ich jegliche Gedanken an meinen armen Wagen und stapfte vorwärts. Zwei Straßen noch, dann würde ich ins Warme kommen. Zu meinem Freund.
Ich hatte es noch immer nicht realisiert. Doch hier, mitten im Starkregen, musste ich plötzlich innehalten. Wilde Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch umher, als ich mir den letzten Satz noch einmal vor Augen führte.
Mein Freund.
Dieses einfach, kleine Wort machte mich von dem einen auf den anderen Moment zum glücklichsten Mann auf Erden. Verdammt, von den Millionen von Menschen in New York hatte sich der Mann mit den Glitzerhaaren, der mir seit unserer ersten Begegnung den Kopf verdrehte, mich ausgesucht. Und hier, mitten auf der menschenleeren Straße, mitten in einem der größten Unwetter in New York, stahl sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht.
Nein, es ging mir mit Magnus nicht zu schnell. Denn ich hatte bereits beschlossen, ihn nicht mehr gehen zu lassen, und sollte ich dafür Panzertape und Lukes Handschellen benötigen.


Ich muss duch den Monsuuuuuuun

Schönen Ohrwurm noch!

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