6 - Jace

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Um den Moment perfekt zu machen, klingelte nicht einmal dreißig Sekunden später mein Handy. Magnus. Natürlich. „Ich weiß, dass ich mein Buch vergessen habe", meldete ich mich und streckte meine Füße aus. Schließlich war ich beinahe alleine in der Bahn, und das in der Stadt, die niemals schlief. „Ich könnte es dir vorbeibringen", schlug mein neu gewonnener Freund vor, und ich konnte im Hintergrund Geschirrklappern vernehmen. Magnus bei mir? Mitten im Chaos meiner Familie? Nein, danke.
„Wie wäre es, wenn ich es bei dir abholen würde? Ich bin nachher sowieso in der Stadt, und du könntest mir ja einfach seine Adresse schicken und ich komme irgendwann im Laufe des Tages vorbei?"
„Deal. Aber melde dich vorher per Whatsapp, sonst mache ich dir im falschen Outfit auf."
Ich verabschiedete mich von ihm und begann darüber nachzugrübeln, was es mit dem falschen Outfit auf sich hatte. Vielleicht rannte er gerne in Boxershorts durch die Gegend? Wobei, da würde der Anblick auch keinen großen Unterschied machen, schließlich hatte ich ihn im Schwimmbad kennengelernt.
Ich stieg bei Jace aus. Irgendetwas trieb mich dazu, nicht nach Hause zu gehen. Ich wusste, dass es da nur Ärger geben würde. Vielleicht war es an der Zeit, mir eine eigene Wohnung zu holen. Und da kam Jace ins Spiel. Durch diverse Teilzeitjobs und Überweisungen von Verwandten zu Geburtstagen hatte ich zwar durchaus Geld auf meinem Konto, aber auf Dauer würde es nicht reichen, und alleine wohnen schien mir eher langweilig zu sein. Ich könnte mir zwar auch eine Katze zulegen, wie Magnus, aber um die musste ich mich dann auch noch kümmern. Außerdem war Jace mein bester Freund, auch wenn ich ihm das nicht immer zeigte.
Leise schloss ich die Haustür der Herondales mit dem Ersatzschlüssel, der seinen Platz unter Mrs. Herondales geliebter Topfplanze auf dem Fenstersitz hatte, auf. Letztendlich war es frühmorgens, und sowohl Jace als auch seine Familie gehörten nicht zu der Gattung der Frühaufsteher.
Wie erwartet regte sich im Haus nichts. Kein Töpfeklappern, keine Toilettenspülung, kein Knarzen der Bodendielen. Alle schliefen noch friedlich. Blieb nur zu hoffen, dass ich Jace nicht neben Clary antraf, auch wenn ein After – Sex – Jace entspannter war.
Er war alleine. Gott sei Dank. Friedlich schlummernd lag er in seinem Bett und kuschelte mit der Decke, eine Angewohnheit, die er seit Kindertagen hatte. Im Schlaf fiel noch deutlicher auf, dass er dringend zum Friseur musste, wenn er nicht demnächst in seine Haare blinzeln wollte. Ich beschloss, ihn später darauf hinzuweisen. Nun jedoch war es meine selbst vorgenommene Aufgabe, ihn zu wecken. Und zwar möglichst gemein, so wie er es bei mir immer tat.
Ohne ein Geräusch zu machen lief ich ins Badezimmer und kam mit einem gefüllten Zahnputzbecher zurück. Selbstzufrieden und schadenfreudig grinsend stellte ich mich neben sein Bett, kippte den Becher ein wenig. Ein einzelner Tropfen Wasser landete auf Jace' Wange. Unbeeindruckt grummelte er etwas ins Kissen, wachte aber nicht auf.
Tja, du hast es drauf angelegt.
Der ganze Inhalt des Bechers landete in seinem Gesicht, auf seinem Kopf, im Kissen. Prustend fuhr er hoch, die Hand zur Faust geballt, bereit, denjenigen zu schlagen, der ihn soeben aufgeweckt hatte. Doch ich hatte mich bereits in Sicherheit gebracht und lachte leise. Diesen Gesichtsausdruck hätte ich fotografieren müssen.
„Guten Morgen, Prinzessin auf der Erbse. Hast du gut geschlafen?"
„Bis du mich aufgeweckt hast schon, Arschloch." Jace klang nicht einmal halb so erfreut wie ich.
„Ich finde es auch schön, dich zu sehen."
Mit einem Drei – Tage – Regen – Gesicht stand mein bester Freund auf, streckte sich.
„Ich schwöre, müsste ich nicht leise sein würde ich dich jetzt zu Tode foltern", drohte er, bevor er sich matt zurück auf sein Bett fallen ließ. „Warum bist du hier?"
„Ich lieb dich auch. Eigentlich wollte ich auf unsere Zukunftspläne zu sprechen kommen, aber wenn du mich so hast...", sagte ich, womit ich ihn gezielt neugierig machte.
„Also gut, erzähl schon."
Yes!
„Folgendes: Du kennst ja die Situation bei mir zuhause, nicht?" Er unterbrach mich, bevor ich zum Punkt kommen konnte: „Ja, das hat Isabelle mir geschildert, als du dich zu cool für uns gefühlt hast."
Autsch.
Schuldgefühle durchzuckten mich, das war das, was er wollte. Doch ich ließ es mir nicht anmerken, sondern sprach scheinbar unbekümmert weiter.
"Jedenfalls habe ich keine Lust mehr darauf und habe darüber nachgedacht, mir eine eigene Wohnung zu holen. Nur wäre es alleine nur halb so spaßig, und da kommst du ins Spiel."
Ich konnte sehen, wie es in seinem Kopf ratterte. Es entstand eine Stille.
Als du dich zu cool für uns gefühlt hast.
Jace war noch immer sauer. Und ich hatte es verdient.
Vielleicht hätte ich mir einen anderen Tag aussuchen sollen. Einen Tag, an dem er mich nicht mehr hasst.
Als du dich zu cool für uns gefühlt hast.

Meine Gedanken wurden von einem einzigen Wort unterbrochen: „Okay."
Meine Stimmung hellte sich auf. „Wirklich?"
„Ja. Aber wenn ich ein Wort über Clarys Besuche hören, dann bekommst du etwas über deine Frauenbesuche zu hören. Und wecke mich nie wieder so früh!"
„Danke!" Fröhlich fiel ich ihm um den Hals, wobei ich ihn umwarf, sodass wir beide auf dem Bett landeten, ich auf ihm.
„Ich hab dich ja auch lieb, Kleiner, aber bitte geh runter von mir, du erstickst mich!", presste Jace unter mir hervor. Sofort rollte ich mich von ihm runter und stand wieder auf. „Wo wir schon wach sind können wir auch Frühstück machen", bemerkte ich, setzte mich jedoch auf den Fußboden. Gleichzeitig klingelte mein Handy. Erneut. Wieder war es Izzy.
„Echt jetzt, Alec, Mom rastet aus. Komm endlich heim", beschwerte sie sich ohne jegliche Begrüßung. „Warum denn, ich hab noch Zeit bis zehn."
„Ja, aber du kennst Mom nicht. Wenn du nicht da bist kann sie dich nicht kontrollieren, und jetzt komm endlich."
Schulterzuckend legte ich auf, starrte das Handy an. Verdammt. Jetzt kam ich um das Frühstück, und Jace machte fantastische Pancakes. Um Welten bessere als Iz, aber sie war so oder so eine Niete in der Küche.
Mit einem Augenverdrehen signalisierte ich meinem besten Freund, dass ich Familienstress hatte und gehen musste. Er verstand.
„Schlag später für mich mit auf den Boxsack ein", murmelte er aus seiner Decke hervor, als ich aufstand.
Ach ja, mein armer Boxsack. Er würde heute Mittag vermutlich ordentlich was abbekommen, denn dass Mom und Dad mit uns Essen gehen wollten hieß, dass sie uns etwas sagen wollten. Und das in der Öffentlichkeit, damit wir ihnen nicht sofort das Genick brachen.
Ich war kurz davor, mich tot zu stellen. Wenn es etwas Schlimmeres als Rassismus gab, dann waren es ernste Familiengespräche.
Vielleicht würde mir ein vorgetäuschter Tod gut tun.

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