27 - Obdach

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Fassungslos starrte Magnus mich an. Vor exakt drei Sekunden hatte er die Tür geöffnet, in Boxershorts und einem Mottoshirt, das ihm hervorragend stand.
„Du bist klatschnass", bemerkte er leise, während ich noch immer von dem Glitzern seiner Haare angelenkt war.
„Mhm."
„Warst du etwa draußen?"
Ich löste meinen Blick und sah ihm in die Augen.
„Nein, ich hab einfach nur ein Bad bei deiner Nachbarin von unten genommen und vergessen, meine Klamotten auszuziehen. Also bin ich hochgekommen und habe gehofft, dass du mir was zum Anziehen leihen kannst", gab ich sarkastisch zurück.
„Außerdem ertrinkt mein Auto gerade", setzte ich seufzend fort. Mein armes Baby wurde vermutlich von den Wassermassen erdrückt, und am nächsten Morgen würde es so aussehen als hätte Wall – E es zu einem Schrottwürfel verarbeitet.
„Oooookay." Magnus trat einen Schritt zur Seite, um mich reinzulassen. „Am besten, du gehst direkt ins Bad, damit ich nachher nicht die ganze Wohnung trocknen muss."
Dankbar huschte ich in sein schön warmes Badezimmer und kramte als erstes meine Wertsachen hervor. „Sie haben überlebt!", schrie ich glücklich, als ich mein Handy erfolgreich entsperrt hatte.
Mein Freund steckte seinen Kopf zur Tür hinein. „Geht es dir gut?", fragte er besorgt, als er frische Kleider auf dem Toilettendeckel platzierte.
Ich stand ihm gegenüber, bibbernd und klatschnass.
„Nein, nicht so wirklich."
„Geh Baden, Alec."

Seufzend lehnte ich am Türrahmen zu Magnus' Küche, aus der der Duft von heißem Kaffee waberte. Bereits als ich aus dem Bad getreten war hatte ich den wundervollen Geruch wahrgenommen und hatte mich ziemlich zusammenreißen müssen, um nicht träumerisch in die Küche zu schweben, so wie es die Leute aus Zeichentrickfilmen immer taten. Stattdessen hatte ich mich wie ein normaler Mensch zu Fuß zur Küche begeben, in der Magnus gerade zwei Tassen der köstlichen Flüssigkeit zubereitete.
Wäre mir nicht so kalt gewesen, hätte ich ihn küssen können. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass alles an mir eisig war, meine Lippen eingeschlossen. Trotz des heißen Bads fühlte ich mich wie ein Eiswürfel, den man in der Tiefkühltruhe vergessen hatte.
Just in diesem Moment drehte sich der Herr des Hauses (oder eher der Wohnung) um und erblickte mich, der ich in einem dicken Pulli und einer langen Hose zitternd im Türrahmen stand. Als er mich sah musste er grinsen.
„Du hast mein Shampoo benutzt."
„Ich sehe aus, als wäre ich in ein Fass voll Glitzer gefallen, nachdem ich in Klebstoff gebadet habe."
Magnus lachte nur und reichte mir eine hellblaue Tasse, aus der duftender Dampf aufstieg. Ich kippte den gesamten Inhalt auf Ex hinunter, ungesüßt. Selbstverständlich verbrühte ich mir trotz der kalten Farbe die Zunge und meinen Hals, doch spätestens als mich der Kaffee von innen wärmte war es mir die leichten Schmerzen wert.
„Was ich noch sagen wollte: Mrs. Baggins ist neunzig. Mit ihr hättest du keinen Spaß, auch nicht, wenn du mit Kleidern baden gehen würdest." Magnus grinste mir zu, ehe er einen Schluck aus seiner eigenen Tasse trank.
Hätte ich noch etwas Flüssigkeit im Mund gehabt, hätte ich mich verschluckt.
„Baggins? Was ist die Frau, ein Hobbit?"
Es kam nicht oft vor, dass mir Fantasiewesen begegneten.
„Ach was. Die ist viel kleiner als ein Hobbit. Sie ähnelt eher einem Einzeller."
Ich lachte, verstummte allerdings wieder, als sich mein Hals schmerzhaft bemerkbar machte. Vielleicht hätte ich warten sollen bis der Kaffee kalt gewesen wäre.
„Aua", krächzte ich. Plötzlich bemerkte ich die Müdigkeit, die sich in meinem Körper ausgebrietet hatte; das abklingende Adrenalin, das das Gewitter freigesetzt hatte; die Kälte, die ich dem Regenwasser zu verdanken hatte. Mit bebenden Händen fuhr ich mir über die schweren Lider, gähnte erschöpft. Ich wollte nur noch ins Bett, musste davor allerdings noch meine Familie davon informieren, dass mein Wagen vermutlich gerade zu Nemo wurde und ich bei Magnus Obdach gesucht hatte. Dieser musterte mich besorgt musterte.
„Du bist blass."
„Ich dachte, du wärst mein Freund und nicht meine Mutter", gab ich zurück, zog mein Handy aus der Hosentasche.
‚Bin bei Magnus und lebe, aber mein Auto steht in einer Unterführung und ertrinkt vermutlich gerade.'
Ich schickte die Nachricht in eine Gruppe, in der alle meine Freunde inklusive Izzy waren, dann klickte ich auf den Privatchat mit meiner Schwester.
‚Mom und Dad sind wieder da und verkriechen sich an jeweils gegenüberliegenden Ecken des Hauses. Mom ist in deinem Zimmer und Dad in seinem. Hilf mir' schrieb sie, gefolgt von ein paar Smileys. Seufzend antwortete ich ihr, dann legte ich mein Smartphone auf den Tisch du kroch förmlich ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ und binnen weniger Minuten eingeschlafen war.

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