Altbekannte Biostunde

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Die Zeit schien für mich in den nächsten Minuten stillzustehen und doch spürte ich, wie sie allmählich auf ein Neues begann, meine Wunden zu heilen.

All die Gefühle, die eben mit mir durchgegangen waren, brannten noch immer unter meiner Haut. Die fröhlichen, die mein Herz erwärmt hatten, waren erloschen, ohne einen Funken zurückzulassen. Die  schmerzhaften jedoch, welche mir wieder und wieder frostige Schauer über den Rücken rieseln ließen, waren geblieben. Einzig und allein, um Narben zu hinterlassen, dachte ich. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um wieder zur Ruhe zu kommen, als ich einen starken Windzug spürte. Ich sah den Flur entlang und hätte schwören können, bronzefarbene Haare und einen blassen, in Designerstoff gehüllten Körper zu entdecken. Wenige Sekunden später bogen Emmett, Rosalie und Jasper um die Ecke, die Blicke nach oben gerichtet, ihr Gang elegant und schnell.

Langsam kamen auch die anderen Schüler aus der Cafeteria, doch keiner würdigte mich eines Blickes. Als ich Jessica und die anderen sah, schluckte ich, atmete noch einmal tief ein und ging dann auf sie zu. 

„Bella, was war denn vorhin …?“, fing Jessica an, doch ich unterbrach sie.

„Schon gut“, beteuerte ich ihr. „Bin nur ein bisschen … durcheinander.“ Das war eindeutig untertrieben, aber das musste sie ja nicht wissen.

Sie sah mich verständnislos an. „Ah … Hmm.“

Auch dem Weg zum Biozimmer war ich äußerlich still, doch in mir tobte ein wütender Orkan. Ich wusste, was jetzt kommen würde, war für alles gewappnet. Einerseits freute ich mich eigenartigerweise darauf, denn womöglich würde sich wieder ein Erlebnis aus meiner Traumvision bewahrheiten. Andererseits jedoch wusste ich nicht, ob ich diesen hasserfüllten Blicken lange standhalten konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Und dann bestand noch die Gefahr, dass er nicht mit mir reden würde. Jetzt nicht und auch nicht in Zukunft, einfach niemals. Diese Möglichkeit war momentan am schlimmsten für mich. 

Ich betrat den Biologie Raum und war kurz davor aus meiner Haut zu fahren.

In mir wirbelten die Gedanken umher und riefen wie gestern schon eine quälende Übelkeit hervor, doch ich ließ mich nicht davon einschüchtern. Ich straffte meine Schultern, setzte einen hoffentlich gleichgültigen Blick auf und ging geradewegs auf Mr Banner zu, um ihn den Unterschriften-Wisch unterzeichnen zu lassen. Dann ging ich mit wackligen Beinen auf den Stuhl neben Edward zu, dessen benachbarter Sitzplatz natürlich der einzige freie Platz im gesamten Zimmer war. Ich wusste, dass es merkwürdig war, doch komischerweise freute ich mich darüber und die Tatsache, dass ich beim Ansteuern dieses Platzes kein einziges Mal stolperte, steigerte mein Triumphgefühl nur noch.

Als mein Blick vorsichtig seine Augen streifte, wurde dieses Gefühl auf einmal weggeschwemmt, als wäre es nichts weiter als ein herrenloses Boot auf einsamer, stürmischer See.

Trotz dass sie schwarz waren wie eine sternenlose Nacht, trotz dass in ihnen ungerechter Hass zu erkennen war, der sich ungehindert auf mich richtete, trotz dass ich wusste, dass er in der nächsten Stunde viele Möglichkeiten abwägen würde, wie er mich am schnellsten töten konnte; trotzdem keimte eine ungewöhnlich mächtige und wuchtige Erleichterung in mir auf, sodass mein Herz in meinem kleinen Körper anschwoll. Und diese sekundenlange Vollkommenheit ließ mich wissen, dass ich ihn liebte. Schon oder immer noch, das war nicht von Belang. 

Meine Liebe zu ihm zeigte mir, dass ich hoffen musste. Würde ich es nicht tun, würde das heißen, dass ich ihn leichtfertig an ein anderes Mädchen, an eine andere Frau aufgab. Und das tat ich nicht, niemals würde ich das zulassen. Wenn es in meiner Macht stand, das zu verhindern, dann würde ich alle Hebel in Bewegung setzen, um es auch zu erreichen.

Den Rücken gestrafft, die Tränen unterdrückt und die Hände vor dem Zittern bewahrend setzte ich mich auf den leeren Platz neben ihn und befürchtete, er könnte mein hämmerndes Herz hören – nicht, weil er ein so feines Gehör hatte, sondern weil es tatsächlich schrecklich laut in meiner Brust pochte. Mr Banner begann zu sprechen, doch ich ignorierte ihn. Er war mir jetzt herzlich egal. 

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt