Einer gegen drei

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Aus der Ferne erkannte ich nur Victorias rote Lockenmähne.

Als sie in schnellen Schritten – zu schnell für einen Menschen – auf uns zukamen, beunruhigte mich schon ihr katzenartiger Gang. Barfuß glitten sie über den moosbedeckten Boden und machten sich nicht einmal die Mühe, Sträucher oder Äste mit der Hand beiseite zu schieben; dergleichen schienen ihnen wie von Zauberhand bewegt aus dem Weg zu gehen. Trotz, dass sie noch viele Meter von uns entfernt waren, sah ich das unheimlich blutrünstige Rot in ihren Augen aufblitzen. Laurent folgte sie an, Victoria und James gingen dicht gefolgt hinter ihm. Ihre zerschlissenen, dreckigen Klamotten hingen an ihnen wie abgerissene Fetzen eines Kleidungsstückes, das man wahllos über einen Garderobenständer gehängt hatte. Und doch sahen sie – zumindest, was die Art der Sachen anging – recht normal aus. Jeans, Button-down-Hemden und dazu leichte aber wetterfeste Jacken. Das Haar der Männer war kurz geschnitten, das der Frau stach mir des heftigen Kontrastes wegen sofort ins Auge.

Sie blieben erst stehen, als uns nur noch wenige Schritte voneinander trennten. Ich erkannte, dass Laurent mit abstand der Schönste der drei war. Seine Haut hatte trotz der für Vampire typischen Blässe einen eigenartigen Olivton, seine Haare dagegen glänzten schwarz. Seine Statur war nicht protzig, und neben Emmett würde er schmächtig aussehen, das wusste ich, doch trotzdem schien er muskulös zu sein. Mir grinste ein freimütiges Lächeln entgegen, dass seine weißen, gefährlich scharfen Zähne entblößte. Victoria war im Gegensatz zu ihm weder anmutig noch wirklich schön, ihre Bewegungen glichen einem auf seine Beute lauerndem Raubtier, jeden Moment bereit zum Sprung. Ihre hoffnungslos verfilzten Haare trugen Blätter und kleine Zweige in sich, sie zitterten in der leichten Brise, die uns umhüllte.

James wandte ich meinen Blick als letztes zu, denn er war es auch, der mir jetzt in diesem Augenblick am meisten Angst einflößte. Verglichen mit James war er beinahe zierlich, seine hellbraunen Haare sowie seine Gesichtszüge waren mittelmäßig, nicht sonderlich bemerkenswert. Er löcherte mich mit einem bis zum Mark erschütternden Blick, der wachsam jede meiner noch so kleinen, unscheinbaren Bewegungen wahrnahm. Ein Tracker musste aufmerksam sein, dachte ich mir, und das war er ohne Zweifel, wenn ich beobachtete, wie er mich musterte. Tracker bedeutete so viel wie Jäger, und in meinem wenn auch nur kurz andauernden Leben im Reich der Vampire lernte ich schnell, vor ebensolchen Reißaus zu nehmen. Wenn es wirklich so passieren sollte, wie ich es trauriger Weise erwartete, dann sollte ich schnell handeln. Nur wie, ohne dass er oder einer der anderen beiden etwas mitbekam? Mich verfolgten weiterhin James’ Augen, als ich über dieser Frage zu grübeln begann.

Ich hatte nicht bemerkt, dass Edward neben mir erstarrt war. Ich dachte an meinen Traum zurück. Ein Gewitter war über uns hinweggezogen, das Baseballspiel in vollem Gange gewesen und plötzlich waren sie aufgetaucht. Diese drei Nomaden. Die anfängliche Anspannung wandelte sich schnell, Dank Carlisles Redekünsten und vielleicht auch Jaspers Gabe wegen, in ein zwangloses Geplauder um, bis ein winziger Luftzug meinen Geruch zu James versprüht und ihn auf mich aufmerksam gemacht hatte. Natürlich war das nicht dieselbe Situation wie damals in meinem Traum. Was also könnte sie angelockt haben? War es möglich, dass James meinen Duft schon längst in der Nase hatte und sich jetzt nur noch vergewissern wollte, ob ich auch so gut schmeckte?

Was für ein widerlicher Gedanke …

Ich schreckte hoch, als Edward den Griff um meine Hand löste und sich schützend vor mich stellte. Wo waren die anderen? Hatte Alice die drei Nomaden nicht gesehen? Verdammt, wir brauchten Hilfe! Edward konnte unmöglich allein gegen diese drei blutrünstigen Vampire ankommen, nicht weil er vielleicht zu schwach, sondern schlicht und ergreifend allein war. Ich konnte ihm ja schlecht helfen … Und wenn niemand kam, der ihn unterstützen konnte – denn ich wusste, dass Laurent, Victoria und James nicht in guten Absichten hergekommen waren – würden wir womöglich beide sterben. Obwohl es eine Möglichkeit gab, Edward zu retten. Ich hatte es schon einmal versucht, in meinem Traum, doch damals war ich nicht dazu gekommen. Würde ich es diesmal, notfalls, schaffen?

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt