Zu weit gedacht [Edward Cullen]

942 60 9
                                    

Ich musste zugeben, das Mädchen an seiner Seite war wunderschön.

In Alices Gedanken erkannte ich zwei Personen, zu mir gerichtet sahen sie sich um. Die eine von ihnen war ein Mann mit bronzefarbenen Haaren, seine Haut war blass und hob sich mit starkem Kontrast von seinen rosa Lippen und den fliederfarbenen Lidern ab, die sich stetig über zwei von Gold brennenden Augen niederließen und wieder öffneten. Diese spiegelten die Tiefe seiner innigen Gefühle wider, sein Mund war zu einem vor Glück strahlenden, leuchtenden Lächeln geöffnet und zeigte seine Zähne. Sein Körper war athletisch, nicht mit protzigen Muskeln übersäht oder mit breiten Schultern gekennzeichnet, doch er wirkte trotzdem stark und schien von einem Beschützerinstinkt geweckt zu sein. Ihn umhüllte ein schwarzer Smoking, sein Auftreten wirkte ebenso anmutig und perfekt wie sein Gesicht.

Dieser junge Mann war ich. Doch mein Blick schweifte zu dem Mädchen neben ihm.

Sie war kleiner als er, wirkte weniger geschickt und elegant, und doch schien sie wie für ihn geschaffen zu sein. Die brünette Schönheit blickte erwartungsvoll und aufgeregt aus ihren von Glück und Liebe weit geöffneten, vertrauten schokoladenbraunen Augen, umrahmt von dichten Wimpern. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Haut war weich wie Pfirsich, ihre Farbe glich der von rosafarbenen Rosen. Ihr zierlicher, dünner Körper wirkte gefährlich zerbrechlich neben meinem, obwohl sie sich sichtlich wohl zu fühlen schien. Der schmal geschnittene Rock ihres funkelnden weißen Kleides schirmte ihre Beine ab, an der Schärpe war er leicht gewölbt und glich somit einer umgedrehten Calla. In ihren Händen hielt sie einen reich geschmückten Blumenstrauß. Ihr Erscheinen brachte Hingabe und Geborgenheit in diese Szene und unwillkürlich wurde mir warm ums Herz.

Als ich auch sie erkannte, stockte mir der Atem. Bella.

Würde mein Herz noch leben, es wäre mir freudig aus der Brust gehüpft, nur um mir zu sagen, wie bezaubernd und atemberaubend sie war. In mir breitete sich ein Gefühl aus, das ich in den letzten Wochen zu schätzen lernte: Liebe. All meine Poren erfüllte dieses glückselige Zittern und Flattern in mir, es schnürte mir die Kehle vor Erstaunen zu und dröhnte in meinen Ohren. Aber ich genoss es. Obwohl es unmöglich war, schienen meine Knie weich zu werden.

Die Szenerie um uns beide herum wurde klarer, immer deutlicher drangen die bunten, zarten Blüten hervor, die über unseren Köpfen prangten und hüllten den großen Raum in ein sanftes Licht. Ich erkannte die Gäste, sah meine Familie neben Bellas, wie ich vermutete. Dutzende Menschen waren gekommen, um uns zu sehen. Bunte Girlanden stachen mir ins Auge und der Anlass dieser Zeremonie wurde mir von Sekunde zu Sekunde klarer, doch wahrhaben wollte ich es nicht.

Es war nicht richtig, um nicht zu sagen, dass es gefährlich war.

Eine besonders altertümliche, gebräuchliche Geste von Bella offenbarte mir dann die Wirklichkeit meiner Gedanken. Sie drehte ihren schlanken Rücken zu der Menge, bückte sich um einige Zentimeter nach unten – soweit es ihr Kleid zuließ – und sammelte Kraft, um dann mit einer raschen Bewegung den Blumenstrauß über ihren Kopf und die fröhlichen, lachenden Gesichter der anderen streifen zu lassen. Mit Gekreische und Gejubel wurde der Strauß von Angela Weber empfangen, es entstand Gekicher in ihrem Teil der Runde.

Hochzeit. Bella und ich. Zusammen für die Ewigkeit. Das konnte doch nicht wahr sein. Mit einer schnellen Bewegung entzog ich der Bella in der Realität den Arm, den ich ihr um die Schultern gelegt hatte.

In mir stieg ein wütendes Knurren auf. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“

Ihre bleichen Gesichter starrten Löcher in die Luft, deswegen dauerte es eine Weile, bis Alice mir antwortete. Ihre Stimme war ruhig und beherrscht, ich las in ihren Gedanken, dass sie nicht vor Bella ausrasten wollte.

„Du weißt, wie instabil diese Visionen sind. Sie sind subjektiv und stehen nicht fest, man kann sie jederzeit ändern oder manipulieren.“

Das also war es, was sie die ganze Zeit hatte geheim halten wollen. Dieses Bild verbarg sie seit Monaten vor meinem Talent und war dabei gar nicht mal so schlecht – bis heute. Womöglich hatte ich sie mit dem Gespräch von Rosalies und Emmetts Hochzeit in die Reserve gelockt.

„Das also verheimlichst du mir.“ Ich fragte nicht sondern stellte fest. „Warum?“

Alice schreckte aus ihren Überlegungen hoch und lachte, beinahe hysterisch hallte ihre Stimme an den hohen Wänden wider. „Und du fragst noch, warum? Du kannst mir nicht weißmachen, dass du entspannt geblieben wärst, hätte ich dir davon erzählt.“

Sie hatte Recht. „Stimmt wohl“, sagte ich und nickte. „Aber wieso hast du es mir ebenfalls verschwiegen, Bella?“

Starr wie eine Statue saß sie da, verkrümmte ihre Finger und bohrte ihre Nägel in den Stoff ihrer Jeans, sodass er hätte reißen können. Leere, braune Augen blickten gerade aus auf etwas, das ich nicht ausmachen konnte. Bella reagierte nicht auf meine Frage sondern behielt stur ihre Haltung ein, sodass ich es mir auch nicht getraute, ihre Hand zu nehmen.

„Sie wird dir nicht antworten“, murmelte Alice leise.

Und das sagte sie mir. Ich schnaubte. „Dir glaube ich eh nichts mehr.“

Ihren Vorsatz, nicht vor Bella aus der Haut zu fahren, warf sie über Bord und überschlug sich in ihren Worten. „Und das nur, weil ich nicht wollte, dass du ihr Vorwürfe machst? Rede dich jetzt ja nicht heraus, ich weiß hundertprozentig, dass du ihr etliche Male erklärt hättest, dass es unmöglich war, auch nur daran zu denken, und sie abgewiesen hättest. Vielleicht hätte Bella einfach nur genickt und wäre dann um die nächste Ecke verschwunden und hätte sich die Seele aus dem Leib geweint, nur um dir nicht zeigen zu müssen, wie weh es ihr tat, so etwas zu hören. Weißt du was, Edward Cullen?“ Sie musterte mich zornig.

Als Zeichen dafür, dass ich ihre Antwort hören wollte, reckte ich mein Kinn nach vorn. Ihre Gedanken sowie ihre Stimme waren in Zorn gekleidet.

 

„Du bist eine der selbstsüchtigsten Kreaturen, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe.“

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt