Alle lieben Bella ... nur er nicht

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Das nächste, was ich mir zulegen werde, ist ein neuer Computer, dachte ich mir.

Ich saß bei Charlie zu Hause in meinem Zimmer und tippte wütend auf der Tastatur meines Steinzeit-PCs herum. Ich wollte doch nur ein Lied suchen, nur ein einziges Lied. Eine Melodie, die mich sicherlich bittere Tränen weinen lassen würde, die das Loch in meinem Herzen größer werden lassen würde, doch ich wollte es hören, musste es hören. 

Als der Computer endlich hochgefahren war und ich das Internetfenster geöffnet hatte, tippte ich die Seite ein, die ich suchte und gab den Titel des Liedes in das Suchfeld ein. Clair de Lune. Eines meiner Lieblingslieder. Und eines seiner Lieblingslieder. Das erste Mal hatte ich es gehört, da war ich gerade erst drei Jahre alt gewesen. Renée war schon immer ein Klassik-Fan gewesen, deswegen schwirrten ständig Mozarts oder Debussys Noten durch unser Haus. Ich fand schnell Gefallen an solchen Musikstücken, doch nie hat mich eines so mitgerissen wie Clair de Lune. Es war so süßlich und verspielt, ein wenig geheimnisvoll, immer wenn ich es anhörte, tanzte ich dazu. Meine Mutter fand das jedes Mal amüsant, sodass sie sich zu mir gesellte und wie ich durch das Zimmer hüpfte. Sie blieb dann immer standhaft, ich fiel an Tischkanten, Schrankgriffe oder sonstige gefährliche Möbelstücke. Aber ich stand immer wieder auf und tanzte erneut.

Als ich auf Play klickte und das Lied seine Melodie in meinem Zimmer verteilte, ließen die Tränen nicht lange auf sich warten. Es war der Tag gewesen, an dem wir in Biologie Blutgruppen untersuchen sollten. Ich war so abgeneigt gegen den salzigen, rostigen Geruch von Blut gewesen, dass mir schlecht wurde und ich von Mike zum Krankenzimmer hätte gebracht werden sollen. Doch als wir über den Schulhof liefen und ich mich nicht mehr oben halten konnte, war er auf uns zugekommen. Edwards besorgte Stimme schwirrte mir im Kopf, wie er meinen Namen gerufen hatte. Damals hatte ich ihn mir am liebsten weggewünscht, für den Fall, ich könnte mich über seinem Pullover übergeben. Doch er hatte mich aufgehoben und zur Krankenschwester gebracht. Ihn hatte die Tatsache, dass ich kein Blut sehen konnte, zum Grinsen gebracht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wieso, jetzt natürlich schon. Er musste sich gefragt haben, wie viel Ironie denn noch möglich war.

Danach saßen wir in seinem Volvo, nachdem er Mrs Cope versprochen hatte, mich nach Hause zu bringen. Ich war mir absolut sicher gewesen, allein fahren zu können, doch Edward schien da anderer Meinung gewesen zu sein. So saß ich neben ihm auf dem Beifahrersitz und war nicht minder überrascht, dass, als das Radio ansprang, Clair de Lune das kleine Fahrerhäuschen in seine Noten einhüllte. Er war ebenso verblüfft gewesen, dass ich es kannte. Die Vorstellung, dass wir beide eine Gemeinsamkeit hatten, hatte mein Herz höher schlagen lassen. Viel zu schnell war diese Fahrt vorbei gewesen, selbst wenn er nicht so gerast wäre, der Weg von der High School bis zu Charlies Haus war nur ein Katzensprung. Irgendetwas hatte mir gesagt, dass er mich nicht gehen lassen wollte, und ich glaubte zuerst, völlig den Verstand verloren zu haben. 

Ich drückte mit meinem Fuß auf den aus-Schalter des Computers, erlosch somit die Magie, die Clair de Lune in das Zimmer gebracht hatte, bevor alle Erinnerungen mit mir durchgehen konnten. Es war schon spät und wenn sich vor dem Einschlafen zu viele Bilder in meinem Kopf abspielten, würde ich gar nicht schlafen können. Dann drang Charlies Stimme zu mir hoch.

„Bella, willst du noch etwas essen?“, rief er.

Mein Magen schrie förmlich nach Nahrung, doch der Appetit ließ zu wünschen übrig.

„Nein, danke Dad.“

Einen kurzen Moment schwieg er. „Na gut. Dann schlaf gut!“, sagte er schließlich und ich hörte noch seine schlurfenden Schritte, bevor ich die Tür schloss.

Um ehrlich zu sein, fürchtete ich mich ungemein vor dieser Nacht. Trotzdem zog ich mir mein zerschlissenes T-Shirt und die löchrige, alte Jogginghose an, die ich immer nachts trug. Dann huschte ich unter die Bettdecke, nicht ohne vorher das Fenster Sperrangelweit zu öffnen. Ich rollte mich in meiner Schlafstellung zusammen und sah dem Schmerz entgegen, der immer auf diese Tageszeit wartete, um mich aufzufressen. Doch nichts geschah. Es ziepte ein bisschen in der Magengegend, vielleicht weil ich nichts gegessen hatte, es stach ein wenig in meinem Herzen, ansonsten spürte ich nichts. Nun ja, nicht ganz nichts. Ich fühlte mich leer, ausgelaugt, kaputt. Und obwohl mir nicht nach Lachen zumute war, musste ich grinsen, als ich an die Begegnung mit Sam dachte.

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuDär berättelser lever. Upptäck nu