Konkurrenz [Edward Cullen]

1.6K 60 4
                                    

Es war amüsant, Carlisle zur Hand zu gehen.

Ich wollte die zwei Male, in denen ich Medizin studiert hatte, nicht unbezahlt lassen, deswegen kam es des Öfteren vor, dass ich ihm ein wenig im Krankenhaus half. Die Menschen um mich herum lächelten mich an, wenn sie mich sahen und bewunderten mich. Meistens war es mir ziemlich peinlich, hören zu können, wie die weibliche Natur mich in ihren Gedanken anschmachtete und ihre Ehegatten neben ihnen mir nur verärgerte Blicke zuwarfen. 

„Kannst du mal bitte einer gewissen … Isabella Swan ihre Medikamente auf ihr Zimmer bringen? Sie liegt in der 162“, meinte Carlisle plötzlich an mich gewandt, als ich es mir gerade auf seinem Stuhl bequem gemacht hatte.

Ich fuhr zusammen. „Wie, hast du gesagt, heißt sie?“

Er blätterte in ihrer Akte. „Isabella Swan. Wieso?“

„Nichts. Schon gut.“ 

Ich wusste nicht genau, ob das nun Glück oder Pech für sie bedeutete, wenn ausgerechnet ich in ihr Zimmer stürmte, doch ich ließ mir vor meinem Vater nichts anmerken und ging zu ihr. Als ich die Tür öffnete, saß ein Junge auf ihrem Bett, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als sie. Er hatte rostbraune Haut, lange schwarze Haare und hielt ihre Hand. Er hielt ihre Hand in seinen. Ein merkwürdiges Gefühl schlich sich in meine Magengrube, doch ich verdrängte es. Schließlich war ich nicht Schauspieler einer dieser Seifenopern oder so etwas.

Als sie mich anschaute, klappte ihr der Mund auf und ihre Augen drohten aus den Höhlen zu fallen. Schnell zog sie ihre Hand aus denen des Jungen, der schaute sie erst verwirrt an, folgte dann ihrem Blick. Gott sei Dank waren mir seine Gedanken zugänglich, sodass ich ihn unbekümmert belauschen konnte. Vielleicht wusste er noch nicht einmal, wer ich war. Süffisant lächelte ich über meinen Vorteil.

Was zum …, dachte der Junge. Oh. Vielleicht …? Also, dem Aussehen nach zu urteilen, müsste das doch …?

Er schaute Bella fragend an. Sie nickte nur.

Ich werd nicht mehr. Edward Cullen. Also, sie schien ja nicht untertrieben zu haben. Er ist es also, der …

Ich spürte regelrecht, wie meine Miene in sich zusammenfiel. Das Mädchen sah das und tippte dem Jungen auf die Schulter. Er sah sie an und für einen kurzen Augenblick sah ich sie durch seine Gedanken hindurch. Für ihn war sie wunderschön, das lieblichste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie war vollkommen für seine Augen, und mich verblüffte diese Sichtweise. Die anderen Trottel, die mit mir und ihr auf die High School gingen, sahen sie aus einem völlig anderen Licht. Für Mike, Eric und Tyler zum Beispiel war sie … nur hübsch. Für ihn hier, wie er dasaß und sie anschaute, war sie einfach perfekt. Alles fand er hinreißend an ihr. Ihre großen, schokoladenbraunen Augen, ihre kleine Nase, ihre rosafarbenen Lippen, ihre braunen Haare, ihre Wangen, wenn sie sich vor Scham rot färbten. Er liebte alles an ihr, das erkannte ich durch seine Augen. Wieder dieses merkwürdige Gefühl.

Bella tippte mit ihrem Zeigefinger leicht an ihre Stirn, er überlegte kurz, dann begriff er.

Achja, der Gedankenleser, ging es ihm durch den Kopf. Ich muss gut aufpassen, an was ich denke.

Woher wusste er das? Hatte sie es ihm erzählt? Wieso sollte sie das getan haben? Das ergab alles keinen Sinn, ganz und gar nicht. Nun, sie wusste über unsere Existenz Bescheid, dass wir keine Menschen sondern Vampire waren. Sie wusste es, und sie kannte auch unsere Gaben. Doch wieso wusste er das? Ich muss aufhören, mir so viele Fragen zu stellen, sagte ich mir. Zu allererst sollte ich höflich sein.

„Hallo … Bella“, begrüßte ich sie nach einiger Verspätung.

Sie nickte nur unmerklich, unfähig zu sprechen. Ihr Mund stand immer noch offen.

Ich sprach weiter. „Ich soll dir … die Medikamente bringen, die du nehmen musst.“

Jetzt klappte sie ihrem Mund wieder zu, nur um ihn gleich wieder zu öffnen, als sie sprach. „Was willst du hier?“ Es war nur ein heiseres Flüstern.

Ich versuchte, mein bestes Lächeln aufzusetzen. Erst dachte ich, es würde ihren Ärger vertreiben, doch das tat es nicht. „Nun ja, mein Vater arbeitet hier. Ich helfe ihm manchmal.“

„Warum bist du hierhergekommen?“

„Wie schon gesagt, ich bringe dir deine …“

Sie hob eine Hand. „Das will ich nicht hören.“

„Und was willst du dann hören?“, fragte ich sie verblüfft.

„Gar nichts“, murmelte sie. „Ich möchte, dass du gehst.“

Jetzt war ich tatsächlich verwirrt. „Wieso?“

Die Gedanken des Jungen drangen mir wieder ans Ohr.

Warum fragt der noch, wieso? Hat er sie nicht verstanden? Sie will, dass er verschwindet. Ist er tatsächlich so blind und sieht nicht, wie sie leidet?

„Oh, sie leidet also, ja?“, fragte ich ihn geradeheraus. 

Er zuckte kurz, dann fing er sich wieder. „Soll ich es dir noch einmal persönlich sagen?“

„Nein, ich habe verstanden.“

„Achja, hast du das?“, fragte er zynisch. „Und wieso bist du dann immer noch hier?“

„Jacob, bitte“, flüsterte Bella jetzt und fasste ihn am Arm.

Der Gute hieß also Jacob, na super.

Na gut, ich tue ihm nichts. Vielleicht hätte ich sowieso keine Chance, aber meine Wut wäre ich los. Doch ich will das nicht vor Bella machen, sie muss das nicht sehen.

„Natürlich hättest du keine Chance.“ Ich lächelte hämisch.

Ich sah, wie das Mädchen ihre Fingernägel in seine Haut bohrte. „Hör auf, an so etwas zu denken. Damit tust du ihm nur einen Gefallen.“

Dieser Jacob lachte ebenfalls. „Ein Sadist. Na sowas.“

„Pass bloß auf, dass ich dir nicht …“ … die Knochen breche, wollte ich sagen, doch ich traf Bellas Blick und sah ihren Schmerz. Ich wusste nicht, woher er kam oder wie er zu lindern war, ich wusste nur, dass ich ihr, je länger ich hier war, immer Schlimmeres zumutete. Sie wollte, dass ich ging, damit die Schmerzen ebenfalls erloschen. Das konnte ich nur zu gut verstehen, wenn ich auch nicht erkennen konnte, woher der Schmerz rührte. Doch es tat mir unheimlich leid, sie so sehen zu müssen, ihre Augen vor Schreck weit aufgerissen.

„Bella“, sagte ich sanft. „Ich möchte mit dir reden, doch nicht jetzt, wenn er hier ist. Ist es okay, wenn ich später noch einmal wiederkomme?“

Ich wartete auf ein abruptes ‚Nein‘, doch da kam nichts dergleichen. Stattdessen nickte sie nur und für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein kleines Lächeln über ihre Lippen. Hatte sie Hoffnung? Wenn ja, müsste ich sie zerstören. Genau dann, wenn ich mit ihr redete, würde ich ihr wehtun, wenn sie wirklich so litt wie es Alice immer sagte. Doch es war für sie das Beste. Und für mich. Was tat ich hier überhaupt? Machte mir Sorgen um ein Mädchen, dass mir eigentlich total egal war, um das ich mich nicht scherte. Moment … war das noch so? War sie mir egal? Scherte ich mich nicht um sie? Oder tat ich das nur, um mich von dem Gegenteil zu überzeugen, um mir weißzumachen, ich würde alles richtig machen, hätte keine Fehler? Jetzt, mit dieser Erkenntnis war es umso wichtiger, ihre Hoffnungen zu zerstören. Selbst, wenn es mich vielleicht auch etwas kosten würde.

„Du?“, hörte ich diesen Jacob rufen.

Ich drehte mich noch einmal um. „Was?“

„Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, bist du ein toter Mann.“ Wie süß.

Ich bleckte die Zähne. „Das gilt genauso für dich.“

Mit diesen Worten verließ ich das Zimmer.

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWhere stories live. Discover now