Noch immer nächtliches Flüstern

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Es sollte verboten sein, so gut zu küssen.

Ich war nicht gewappnet gewesen für das, was Edward da gerade tat, doch ich konnte mich noch rechtzeitig unter Kontrolle bringen, damit nicht noch einmal das passierte, was in meinem Traum bei meinem ersten Kuss von ihm passiert war. Das heißt, ich riss mich augenblicklich zusammen und genoss einfach das Gefühl seiner kalten Lippen auf meinem warmen Mund, wie er mit mir verschmolz. Natürlich spürte ich auch, dass uns noch immer eine Barrikade trennte, doch er musste nicht abrupt aufhören, nur weil ich mein Verlangen nach ihm nicht zügeln konnte.

Die Schmetterlinge – es waren wohl eher Flugzeuge – schwirrten in meinem Bauch herum und hoben gemeinsam mit ihm und mir ab. Überall auf meiner Haut spürte ich ein unaufhaltsames Kribbeln. Ich legte meine Hand an seine Wange und strich darüber, als ich spürte, dass er meine Hand in seiner fester drückte. Brodelnde Hitze raste durch meinen Körper und brachte meinen Verstand erst zum kochen, dann zum schmelzen. Ich sagte ja bereits, ich würde ihn noch gänzlich verlieren, doch mit Edward an meiner Seite war mir das egal. Er zog mich noch enger an sich, ich legte meine Hand, die zuvor an seiner Wange gewesen war, an seinen Rücken und versuchte, ihn noch näher zu mir zu bewegen. Ich war ganz überrascht, als er es zuließ. Vielleicht ein bisschen zu überrascht, denn durch das plötzliche Gewicht, dass auf mir lastete, als ich seinen Marmorkörper gegen meinen presste, fiel ich nach hinten in die Kissen. Ich stöhnte kurz verärgert auf, als ich spürte, dass sich unsere Lippen nicht mehr berührten. Er fiel nicht auf mich, sondern stützte sich mit beiden Händen links und rechts neben mir ab. Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen.

„Ich bin so schwächlich“, seufzte ich und verdrehte die Augen.

Edward kicherte. „Du bist eben sehr menschlich.“

„Wie sollte es auch anders sein.“

Er setzte sich wieder aufrecht hin und zupfte seinen Pullover zurecht. Ich hob eine Braue.

„Willst du heute noch irgendwohin?“, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass es verärgert klang.

„Naja“, sinnierte er, „ich müsste zur Schule. Aber vorher sollte ich noch einmal zu Hause vorbeischauen, denn der Flügel da draußen bewegt sich schließlich nicht von selbst in unser Haus.“

„Du willst schon gehen?“ Vorsichtig sah ich auf den Wecker und atmete erleichtert auf. Erst kurz vor drei, es war also noch genug Zeit, bevor der Unterricht begann.

Er schüttelte den Kopf. „Erst, wenn du schläfst.“

„Das ist ja noch fieser, dann werde ich nicht schlafen!“ ich setzte mich wie er wieder hin und verschränkte die Arme. Ich würde protestieren.

„Das war ein Scherz. Ich würde dich nicht allein lassen, wenn du es nicht willst.“

Ich konnte mir einen skeptischen Blick nicht verkneifen.

„Das war etwas anderes“, verteidigte er sich.

„Das sehe ich nicht so.“

„Dann trennen sich hier eben unsere Meinungen.“

Wo er Recht hatte …

„Also lässt du mich nicht allein, ja?“ Ich löste meine Arme aus der Verrenkung und nahm zaghaft seine Hand. Er drückte sie kurz, dann strich er mit dem Daumen über meinen Handrücken.

„Werde ich nicht.“

„Versprich es mir.“

Er kicherte. „Versprochen.“

Wir beide wussten nur zu gut, dass er trotzdem gehen würde, sobald ich tief und fest schlief, doch seine Worte besänftigten mich. Ich grinste ihn an, er grinste zurück. Mit müden Augen betrachtete ich sein allzu schönes Gesicht, nicht einmal ein Engel hätte ihm wahre Konkurrenz machen können. Um seine rosafarbenen Lippen bildeten sich süße Lachfalten, als sich sein Grinsen in das von mir so geliebte schiefe Lächeln verwandelte. Die blasse Farbe, die sein Haut erfüllte, wurde noch mehr durch das bronzene Haar, das ihm locker in die Stirn fiel, zur Geltung gebracht; es sah einfach wunderschön aus, wie das Mondlicht auf ihn schien. Seine warmen, mit flüssigem Goldbraun gefüllten Augen sahen mich an, sie strahlten nur so vor Liebe und Glück. Ja, Glück, das beschrieb wohl annähernd, was mein Herz gerade so zum Rasen brachte. Es konnte fast schmerzen, dieses Glück.

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt