Schmerzendes Glück

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Langsam wurde ich wach und wusste, dass ich einen wundervollen Traum gehabt hatte.

Ich öffnete meine Augen noch nicht, um die letzten Momente und Bilder in meinem Kopf zu behalten. Es war alles ziemlich verwirrend. Da war ein Klavier, leise Töne umspielten meinen fröstelnden Körper und ich wiegte in ihrem Rhythmus. Der Mond schien auf den Flügel und die Person, die davor saß, eine in dem grellen Licht weiß schimmernde Gestalt. Flink huschten deren Finger über die Tasten, berührten sie nur ganz leicht und erzeugten eine wahrhaft traumhafte Melodie. Mein Schlaflied. Und in diesem Moment prasselte alles auf mich ein.

Er war diese Gestalt gewesen. Seine Stimme erhob sich in meinem Kopf, sachte flüsternd sagte er mir wieder und wieder, dass er mich liebte. Ich spürte förmlich, wie sich seine eisernen, kalten Arme um meine zerbrechliche Mitte schlangen und mich fest an sich drückten. Mit einer Hand fühlte ich die Berührung an meinen Haaren, die Finger glitten hinunter und streichelten über meine erröteten Wangen. Der eisige Atem strich über meine Haut und bescherte mir eine prickelnde Gänsehaut. Unaufhörlich wisperte er die drei Worte in mein Ohr, die mein Herz höher schlagen und mich den Schmerz und die Qual der letzten Wochen vergessen ließen. Nichts war mehr wichtig, nur der Gedanke daran, dass er bei mir war. Das Loch in mir hatte es nie gegeben, so schien es mir, und auch nicht den Abgrund, der mich verschluckt hatte. Nie waren Tränen vergossen worden, die brennenden Spuren waren verschwunden.

Ich lachte grimmig in mich hinein. Wenn er wirklich da wäre, dann wäre das so. Doch er war es nicht. Es war ein Traum gewesen, wie in der Nacht zuvor und in der davor. Genauso, wie auch die Tatsache, dass er mich geliebt und dass ich als seine Frau glücklich gelebt hatte, waren nichts als Trugbilder gewesen.

Doch die Berührungen waren du greifbar. Mein Kopf lag auf seiner marmornen Brust, einer meiner Arme war um seine Schultern gelegt. Ich roch seinen berauschenden Duft und hörte seinen ruhigen, leisen Atem. Mach endlich die Augen auf, oder du wirst wirklich irre, schallt mich meine innere Stimme, also tat ich, was sie wollte. Doch was ich da sah, entsprach nicht meiner Vorstellung von Träumen. Denn die hatte man nur, wenn man schlief, aber soweit ich wusste, waren meine Augen weit geöffnet. Trotzdem war er noch da.

Ich hob meinen vom Schlafen noch trägen Kopf. „Was …?“, murmelte ich.

„Guten Morgen, Bella“, begrüßte Edward mich mit einem Lächeln, in dem ich mich hätte verlieren können. Ich genoss den Glockenklang seiner Stimme.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich leise, es war nur ein Krächzen. Ich spürte, wie ich ungläubig meine Augen noch um einige Millimeter weiter geöffnet hatte.

Er räusperte sich leise. „Soll ich gehen?“

Ich schüttelte den Kopf.

Er war da. Edward war wirklich da. Ungläubig stützte ich mich auf, setzte mich aufrecht hin und sah ihn an. Meine Haare waren das einzige Chaos, das wusste ich, doch mein Schamgefühl stand im Moment ganz weit hinten an. Niemals war er hier. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich geträumt hatte … Ich schüttelte wieder meinen Kopf, legte langsam Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand auf den anderen Arm und kniff zu.

„Au!“

Spätestens jetzt musste ich doch wach sein. Und er war noch immer bei mir. Schalkhaft grinste er mich an.

„Was machst du da?“, fragte er und kicherte.

„Ich versuche, aufzuwachen.“

Wieder erklang sein süßes Kichern. „Du bist wach. Oder zählst du mich jetzt schon zu deinen Albträumen?“

Und da begriff ich. Ich schlief nicht, und tot war ich schon gar nicht, falls mir das noch in den Sinn kommen würde. Es war Dienstagmorgen, der Himmel vor dem offenen Fenster war wolkenverhangen und grau, doch das war gut so. Denn das hieß, Edward würde heute zur Schule kommen. Ich strahlte ihn an. Ja, er war da, saß hier bei mir und griff jetzt nach meiner Hand. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper, als mich seine Finger berührten. In seinen goldbraunen Augen blitzte etwas auf, sein schiefes Lächeln schien so natürlich. Nichts, was in den letzten Tagen, Wochen oder gar Monaten geschehen war, besaß jetzt noch Wert. Es zählte kein Leid, keine Trauer, nur das Glück und die Liebe, die mich und ihn umgaben.

Bis(s) zum Erwachen - Wie ein Déjà-vuWhere stories live. Discover now