Leben im Wald

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Ich richtete mich schlagartig auf und befand mich schweißgebadet wieder im weißen Schlafzimmer. Erleichtert atmete ich auf und beruhigte mich.

Ich muss weg von hier.

Ich befreite mich von der Bettdecke und sprang auf. Wenn ich weiter bei Henry bleiben würde, würde er mit Sicherheit hineingezogen werden und das wollte ich nicht. Wahrscheinlich war er das schon, seit er mich in der Polizeistation aufgenommen hatte...
Ich trank noch einen Schluck Leitungswasser und betrachtete mich im Spiegel des Badezimmer. Meine Haare waren sehr lang und teilweise sehr verknotet, also schnappte ich mir ne Schere und schnitt sie bis über die Schulter ab. So waren sie auch weniger auffällig, auch wenn ich grade nicht wirklich was gegen das Weiß machen konnte. Mir gefiel es. Ich konnte sie mehr oder weniger mal schnell mit den Händen entknoten. Nach einem letzten Blick in den Spiegel machte mich auf den Weg zur Tür.

"Mist!"

Verschlossen...
War ja klar, wenn ich ihm nicht vertraue, warum sollte er mir dann vertrauen?

Aber das hindert mich zum Glück nicht mehr. Ich knackte die Tür und verließ das Apartment, dann die Treppe hinunter aus dem Gebäude hinaus auf die Straßen.
Ein Lärm von Fahrzeugen und lautem Hupen überfiel mich und ich bog direkt links ab. Ohne Ziel lief ich weiter und weiter. Irgendwann fing es an, zu dämmern und kleine Tropfen fielen in mein Gesicht.

Ahh... Nieselregen. Wie sehr ich ihn doch hasse.

Ich beschloss meine alte Unterkunft aufzusuchen und bog in eine dunkle Gasse ein, aus der ich keine besonderen Gerüche oder Geräusche vernehmen konnte. Ich verwandelte mich in einen Wolf und kroch unter einen Müllcontainer, geschützt vorm Regen, welcher sich langsam aber sicher in einen Schauer verwandelte.

Hab mich schon gefragt, wann es endlich so weit sei. Die letzten Tage war durchgehend schönes Wetter. Das darf ja auch kein Dauerzustand sein.

Innerlich verdrehte ich die Augen und sah zu, einzuschlafen. Es dauerte auch nicht lange, da nickte ich schon weg.
Ich träumte von einem Waldrand an einem breiten Fluss. Die Sonne schien, Vögel zwitscherten und überall sprossen kleine Blümchen. Ich lag einfach nur auf einer kleinen Wiese und blickte mir im Himmel die Wolken an.
Es war zwar nur ein kurzer Traum, aber er zauberte mir beim Wachwerden ein Lächeln auf die Lippen.

Das ist es! Das werde ich tun!

Ich verwandelte mich zurück und kroch unterm Container hervor.
Es war schon wieder Tag, doch noch so früh, dass die Straßen, bis auf ein paar Ausnahmen, komplett leergefegt waren.
Somit ging ich gemütlich einfach schnurstracks gerade aus, in der Hoffnung binnen kurzer Zeit den Stadtrand zu erreichen. Es wehte ein starker Wind und der herrliche Duft von vergangenen Sommerregen verstärkte meine gute Laune.
Ein paar Meter weiter sah ich etwas an einem Hydranten hängen. Als ich näher kam erkannte ich, dass es eine Kappe war. Ich nahm sie mit und steckte meine Haare so gut es ging darunter, da es mir nicht gefiel, wie offen ich herumlief. Nebenbei wurde ich nun auch nicht mehr von der Sonne geblendet.

♪♬∵°゚º❍。∵♪♬∵°゚º❍。∵♪♬∵°゚º❍。

Die Sonne stand bereits sehr hoch als ich eine Brücke entdeckte, die außerhalb der Stadt führte. Sie war nicht sonderlich hoch, weswegen ich am anderen Ende beschloss, hinunter zu klettern.
Ich folgte dem Fluss so lange, bis ich tief in einen Wald gedrungen war. Es sah zwar nicht so aus, wie in meinem Traum, doch es reichte mir. Ein paar Büsche, ein Fluss, ein Wald und Tiere, wie auch Vögel. Selbst die Sonne schien noch.
Ich trank erst mal einen großen Schluck Wasser und da es sehr verlockend war, sprang ich ohne groß nachzudenken in das Gewässer hinein. Es war sehr kühl und angenehm. Ich brauchte eine Weile bis ich mich dazu überreden konnte hinauszusteigen, um mir wenigstens eine Art Höhle für die Nacht bauen zu können, da ich weit und breit keine fand.
Ich suchte ein wenig Holz zusammen und warf es auf einen Haufen, nun entschied ich mich für den größten der paar Büsche und entfernte so viel Gestrüpp, dass ein halbwegs geschützter Schlafplatz entstand. Ein paar Äste gut platziert hinauf und schon war es vollendet. Ich verwandelte mich wieder in einen Wolf und probierte es aus.
Es speicherte zwar gut genug meine Wärme, doch bequem war es nicht so... Also grub ich eine Kuhle in den Boden, in welche ich mich nun hineinlegte.

Perfekt.

Ich war sehr hungrig geworden und machte mich auf, jagen zu gehen.
Ich fand einen Busch, an dem ein Reh sein Revier markiert hatte und folgte dem Geruch. Nach kurzer Zeit intensivierte sich dieser schlagartig und ich hörte Rascheln von Blättern.
Da stand es! Ein Prachtexemplar von Fleisch und es frass sich an einem Heidelbeerstrauch satt. Ich pirschte mich langsam an und ehe es mich bemerkte, rammte ich meine Zähne in sein Genick. Unmittelbar danach knackte jenes und es war tot.
Ich aß vor Ort, da ich den Geruch von altem Blut später nicht an meinem Schlafplatz haben wollte.
Es war sehr zart und hatte viel Fleisch, sodass ich allmählich satt wurde.

Fertig gegessen machte ich mich wieder auf den Weg zurück zum neuen Schlafplatz. In letzter Zeit machte mir die Müdigkeit ganz schön zu schaffen und ich könnte wahrscheinlich durchgehend schlafen. Aber das war ja nun kein Problem mehr, da ich jetzt wieder sicher war.

Die nächsten Tage verliefen sehr ruhig und friedlich ab. Sie bestanden aus 70% Schlafen, 20% Futtersuche und 10% Zeitvertreib mit zum Beispiel im Fluss schwimmen oder den Wald erkunden. Auch wenn es sehr eintönig war, war es wunderbar für mich, nach all den Stress in den letzten Wochen.
Ich machte mir aus irgendeinem Grund sorgen um Henry, wahrscheinlich wegen des Traums. Also beschloss ich in dieser Nacht einen kleinen Abstecher in die Stadt zu machen, nur um sicher zu gehen.

Als es so weit war, verwandelte ich mich in einen Menschen, schnappte mir den Hut und machte mich auf den Weg. Ich wusste noch so in etwa den Weg durch die Stadt und aus den Wald hinaus war fürs erste ja eh kein Problem. Ich musste einfach nur dem Fluss folgen und aufpassen, im Dunkeln nicht über irgendwelche Wurzeln zu stolpern.
An der Brücke angekommen ging's hinüber auf die andere Seite, sodass ich umgeben von ein paar Läden war. Ich folgte der Straße, an dem Hydranten gegenüber der Bäckerei vorbei, dann weiter bis zu der Gasse in der ich übernachtet hatte. Nun war es nicht mehr weit, da sah ich schon das untypisch moderne Hochhaus, welches an der Kreuzung stand.
Ich überprüfte die Namensschilder an den zugehörigen Klingeln.

Decker...Espinoza...Martin...Lopez.... Morgan!

Ich klingelte und wartete.

Ob er überhaupt noch wach ist?
Ich weiß gar nicht, wie spät es ist...

Nun ertönte ein komischer Laut und das Geräusch eines Hörers.

"Wer ist da?"

Ich war erleichtert und musste lächeln.

Ihm ist nichts passiert.

"Hallo?"

"Danke für alles."

"Wie jetzt? Für was? Wer spricht denn da?...Blue...Blue? Bist du es?! Warte unten, ich komme! Hau' ja nicht wieder ab!"

Er legte prompt auf und ich lief schnell los. Ich wollte ihn nicht in weitere Schwierigkeiten bringen, das war überhaupt nicht meine Absicht.

Ich wollte mich nur bei ihm bedanken.

Es ist was es istWhere stories live. Discover now