Epilog

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Ich vernehme einen Geruch. Einen mir sehr vertrauten Geruch, doch mir fällt nicht ein, woher ich ihn kenne.
Ich habe ihn seit geraumer Zeit nicht mehr gerochen, doch nun gibt er mir ein heimisches Gefühl, wodurch sich eine gewisse Wärme in meiner linken Brust ausbreitet.

Ich atme tief ein und aus.

Eine frische Brise weht mir unters Fell und ich vernahm ein Rascheln. Ich strecke meinen Kopf gen Himmel und öffne die Augen. Sie sehen in grünes Laub, das in den Kronen der emporsteigenden Bäumen vom Wind aufgewühlt wird.
Der Geruch ist eine Mixtur aus dem morgendlichen Sommerduft und dem frischen Aroma des feuchten Moos' des Waldes.
Ich richte mich auf und strecke mich genüsslich. Dabei drücke ich meine kastanienbraunen Pfoten tief in den Boden hinein. Es ist, als wäre ich aus einem ewigen Schlaf erwacht.
Neben mir befindet eine kleine Wasserquelle. Ein Tümpel. Im selben Moment, in dem ich auf die spiegelnde Oberfläche blicke, springt ein kleiner Frosch hinein und zerreißt die glatte Ebene.
Hinter mir höre ich plötzlich das Knacken eines toten Astes und ich wende mich ihm zu. Eine ebenfalls braunhaarige, hochgewachsene Wölfin steht mir gegenüber und blickt mir tief in die Augen. Das helle Zwitschern der Vögel ist das einzige, was die Stille in regelmäßigen Abständen unterbricht.

„M-Mum...?"

Kaum merklich nickt sie. Ich renne auf sie zu und schmiege mich an ihr.
Mein Herz ist so erfüllt, dass ich für einen Moment nicht sprechen kann.

„Endlich bist du wieder da! Ich habe dich so vermisst. Wo warst du denn? Ich habe sehr viel während deiner Abwesenheit erlebt, musst du wissen. Ich war eines Tages unterwegs, auf Nahrungssuche..."

„Liebling."

„...und da traf ich auf so einen Typen, der mich dann verfolgt hatte, weil ich Früchte geklaut habe. Er ließ einfach nicht locker! Ehrlich! Ich bin durch die Menschenmengen gelaufen. Hunderte... Nein, Tausende von Leuten, die mir entgegenkamen, doch sie machten einfach nicht Pla-"

„Liebling!"

Ich stocke in meiner Rede.
Selbst durch meine Freude kann ich ihre Traurigkeit nicht übersehen.

„Was ist denn los? Bist du nicht glücklich?"

„Ich war nie weg gewesen. Auf jeden Fall nicht so, wie du es annimmst... Weißt du nicht mehr damals, als dein Vater verschwunden war und wir ihn auf deinen Wunsch hin gesucht hatten?"

„Ja! Wir haben den ganzen Wald abgesucht, das war wirklich anstrengend."

Ich lächle bei dem Gedanken an die lange Reise. Das war das erste Mal, dass wir eine so lange Strecke unternommen haben.

„Dann erinnerst du dich auch noch an die bösen Menschen mit dem lauten Brüllen, das sie von sich gaben, nicht wahr?"

„Ja, natürlich. Die Jäger."

„Genau. Weißt du dann auch noch, wie es weiter ging?"

„Sie haben uns angegriffen... Du hast uns aber verteidigt und..."

Die verdrängten Erinnerungen kratzen an der Oberfläche zu meinen Gedanken, doch ich ignoriere es.

„Ist doch egal! Wir sind wieder zusammen. Ist es nicht das, was du gewollt hast"

Ich gehe zu dem kleinen Tümpel. Meine Mutter beobachtet mich schweigend.
Ich kann die Kühle, die vom Gewässer aus geht, spüren und den schlammbedeckten Boden sehen. Ich kann mir vorstellen, wie sich die kalte Flüssigkeit ihren Weg aus meinen Mund in meinen Magen bahnen würde und ich kann die Frische des Wassers beinahe schmecken. Es würde nach nichts schmecken und doch nach etwas, weiß ich, genau wie ich weiß, dass der Schritt, es zu trinken und zu schmecken, ein Schritt wäre, diese Welt anzuerkennen. Ein Schritt, nach dem es keine Umkehr mehr geben würde.

Ich atme tief ein und aus.

Das helle Zwitschern der Vögel ist das einzige, was die Stille in regelmäßigen Abständen unterbricht.

Es ist was es istWhere stories live. Discover now