Das Gefühl der Leere

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Eigentlich war Fire in die Stallungen gegangen um entspannen zu können und etwas Distanz von dieser komplizierten Situation zu bekommen. Das hatte soweit auch funktioniert, zumindest bis Faramir aufgetaucht war. Nicht, dass seine Gesellschaft ihr unangenehm gewesen wäre, im Gegenteil! Allerdings spürte sie jedes Mal wenn er vor ihr stand eine seltsame Unsicherheit, als wäre er ein Fremder von dem sie keine Ahnung hatte, wie sie ihm begegnen sollte. Und doch war sein Antlitz ihr so vertraut wie kein anderes.

In Gedanken versunken verließ Fire Alagos Box und verschloss diese hinter sich. Als sie ins Freie trat, hatte sie zunächst keine Ahnung, wo sie nun hingehen sollte. Nach Essen und menschlicher Gesellschaft war ihr gerade nicht und doch wollte sie mit ihren Gedanken nicht alleine sein. Doch wer könnte ihr Gesellschaft leisten? Éomer und Adeola waren sicher zu sehr miteinander beschäftigt, Eowyn wollte sie nach diesem Gespräch mit Faramir auch nicht aufsuchen wobei die Schildmaid und Lorgan sie ohnehin nicht sehen wollen würden. So blieb eigentlich nur Angrim, dessen Gesellschaft sie in Anspruch nehmen konnte. Sie musste ihm ja nicht zwingend von ihrer aktuellen Gefühlslage berichten.

So machte Fire sich auf den Weg zur Bibliothek. Ihr Großvater würde sich nach dem Essen sicher wie jeden Abend noch für ein paar Stunden dorthin zurückziehen.

Als Fire diesen so selten von ihr besuchten Raum betrat, stellte sie zufrieden fest, dass außer ihr niemand hier war. Die Anderen waren sicher noch beim Abendessen und so konnte die Frau sich in aller Ruhe hinsetzen und auf Angrim warten.

Während sie so dasaß ließ sie ihren Blick über die vielen verschiedenen Bücher schweifen, die auf der anderen Seite des Raumes in einem großen Regal standen. Eigentlich war es schade, dass so selten jemand hierher kam um eines dieser uralten Werke zu lesen. So moderte Jahrhunderte altes Wissen in morschen Holzregalen vor sich hin und niemand schien zu wissen, oder wissen zu wollen, dass es überhaupt noch existierte. Ihr Großvater war einer der wenigen, die gerne hierher kamen und sich dieses alte Wissen aneignen wollten. Da dieser noch nicht da war, erhob Fire sich nun und ging zu dem Regal, das sie die ganze Zeit über angeschaut hatte. Sie holte ein Buch nach dem anderen heraus, strich den Staub vom Einband und las leise den Titel vor. „Die Geschichte des Königshauses Rohans, Das Leben im Auenland, Die Erbauung Minas Tiriths, Eine Sammlung elbischer Lieder und Gedichte..." Die Frau stutzte. Wie gelangte ein solches Werk in die Bibliothek von Edoras? Elben blieben doch sonst lieber unter sich und teilten ihre Kultur sonst nur begrenzt mit anderen Völkern. Zumindest wenn Fire dem trauen konnte was man ihr über Elben erzählt hatte. Nun ja, wenn aber Legolas, der Elbenprinz aus dem Düsterwald mit einem Zwerg befreundet sein konnte, dann konnte ein elbisches Gedichtsbuch auch in einer Bibliothek der Menschen liegen.

Neugierig setzte die Frau sich mit dem Buch auf einen Stuhl an dem großen Tisch und schlug es auf. Sie stellte mit Erleichterung fest, dass neben den Originaltexten auf Elbisch auch Übersetzungen in die allgemeine Sprache vorhanden waren.

Fire begann einen der Texte zu lesen. Sie las langsam, um das Gedicht richtig auf sich wirken lassen zu können. Sie fand, dass derartige Texte zum genießen waren und nicht zum möglichst schnellen durchlesen. Komplett auf die elegant geschwungenen Buchstaben fixiert deren Wörter und Sätze wunderschöne Bilder vor ihrem inneren Auge zu malen begannen, merkte sie nicht, dass jemand zu ihr getreten war.

„Du interessierst dich für elbische Lyrik?", riss Angrims Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ich ähm...na ja... Ich hatte einfach Lust mal wieder etwas zu lesen und im Vergleich zu geschichtlichen Büchern über die Errichtung von Städten und der Geschichte von Ländern sind elbische Liebesgedichte doch recht interessant", meinte Fire unsicher lächelnd. „Oh ja, die Geschichte kann so interessant sein wie sie nur will, wenn sie nur in Büchern zu finden ist, die alles andere als spannend und jugendgerecht geschrieben sind, dann braucht es einen nicht zu wundern, dass die jungen Leute sich nicht dafür interessieren", seufzte der alte Mann, während er verstehend nickte, „Erst wenn man dann alt und grau wird und ohnehin nichts mehr wirklich zu tun hat, dann erst, wenn einem die Tage lang werden, beginnen auch solch langweilige Werke ihren Reiz auf einen auszuüben." Fire nickte langsam, während sie zu ihrem Großvater aufblickte, welcher in die Leere starrte und sich zu seinen jungen Jahren zurückzusehnen schien.

Irgendwie stellte die junge Frau es sich schwer vor, sich selbst altern zu sehen. Zu sehen wie die eigene Haut faltig und fleckig wird, wie die jugendliche Schönheit verblasst bis man letztlich stirbt und zu Staub zerfällt. Die Einzigen die dieses Schicksal nicht teilten, waren die Elben. Sie wandeln Jahrtausende über die Erde und ihre Schönheit währt ewig. Fire war sich bewusst, dass der Tod zum Leben gehörte und durch nichts und niemanden verhindert oder widerrufen werden konnte. Alles was einem zu tun übrig blieb, war die Zeit, die einem gegeben war, zu nutzen. Wie die junge Frau fand vor allem dazu, seine Ziele zu erreichen und seine Träume zu erfüllen.

Zum Beispiel konnte man sich ein Haus bauen, sich einen Ehepartner suchen und die Zeit die man hat mit ihm teilen. Man konnte Kinder in die Welt setzen, diese großziehen und zufrieden sein erfülltes Leben genießen. Man konnte sich aber auch dazu entscheiden, seine Zeit alleine zu verbringen. Kreuz und quer durch die Welt ziehen, immer dem nächsten Abenteuer entgegen oder auch ein einfaches, schlichtes Einsiedlerleben führen. Es gab so viele Möglichkeiten sein Leben zu gestalten und keine davon war falsch, solange man am Ende seines Lebens von sich selbst behaupten konnte, dass man wahrlich gelebt hat.

Welch philosophischer Gedankengang. Fire musste schmunzeln. So was war sie von sich gar nicht gewohnt. Sie kam aber nicht umhin festzustellen, dass es genau diese Frage war, die sie die letzten Tage so unruhig hatte umherirren lassen. Die Frage nach dem perfekten Leben. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie festgestellt, dass ihr in ihrem Leben etwas fehlte. Sie hatte aber keinen blassen Schimmer gehabt, was dieses gewisse Etwas war. Die Frau hatte sich sämtliche Theorien zurechtgeschustert und versucht, so irgendwie das fehlende Puzzleteil in ihrem Leben zu finden.

Das grinsen der Frau wurde breiter, als sie an ihre verrückteste Theorie dachte. Sie hatte die Vermutung gehabt, das fehlende Element in ihrem Leben währe Weiblichkeit. Ihr war bewusst gewesen, dass sie noch nie dem in Mittelerde typischen Frauenbild entsprochen hatte. Sie trug Hosen, kämpfte wie ein Mann, war frech und manchmal auch etwas respektlos. Sie konnte nicht kochen, nicht nähen, nicht sticken, nicht waschen und als Krönung des ganzen hatte sie kein sonderlich großes Interesse gehabt, sich jemals an einen Mann zu binden, was für eine Frau ohne Rang und Namen eigentlich ein Muss gewesen wäre. Um ihrer Pflicht als Frau nachkommen zu können, hätte sie nämlich einen Haushalt führen und Kinder großziehen müssen, was sich als etwas schwierig gestaltete, wenn es keinen Mann gab für den man all das tun könnte. Deshalb hatte sie sich bewusst dazu entschieden Kleider zu tragen, damit sie immerhin auf diese Weise etwas weiblicher sein konnte. Wie sie aber inzwischen festgestellt hatte, war das alles andere als erfüllend gewesen. Im ersten Moment war es zwar ein ungewohntes aber schönes Gefühl gewesen, aber inzwischen war das Gefühl, die Leere in sich gefüllt zu haben, gewichen. Stattdessen fühlte Fire sich jetzt, als hätte man sie einfach zusammengedrückt und so den Anschein erweckt, als wäre der Hohlraum geschlossen worden. Vielleicht waren das aber auch nur die Miedergürtel gewesen, die sie etwas eingeschnürt und ihr somit das Gefühl von enge vermittelt hatten. In Gefühlssachen war die Frau sich inzwischen nicht mehr sicher.

Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. „Fire, du wirkst so nachdenklich und beim Abendessen bist du so überstürzt aufgesprungen, ist wirklich wieder alles in Ordnung?", fragte Angrim sie vorsichtig. Schnell nickte die Frau und setzte ein unbekümmertes Lächeln auf. „Da ich vorhin keinen Hunger hatte, ist mir plötzlich der Gedanke gekommen, dass ich meine Zeit doch auch sinnvoller nutzen könnte, statt den anderen beim Essen zuzusehen und eben hatte ich nur überlegt was ich denn tun könnte, wenn ich dann später keine Lust mehr habe zu lesen", log sie schnell. „Dann bin ich ja beruhigt", zeigte der Mann sich erleichtert und mit einem zufriedenen Lächeln setzte er sich mit einem Buch an den großen Tisch.

Fire war die Lust zum Lesen vergangen. Momentan verspürte sie lediglich das Bedürfnis auf ihr Zimmer zu gehen und endlich dieses lästige Kleid loszuwerden.

KämpferherzWhere stories live. Discover now