Kapitel 01

3.7K 111 5
                                    

„Und du bist dir wirklich sicher, dass du dort hinfahren möchtest?“, fragte mich Harper, blickte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als ich nickte und gleich danach mit meinen Schultern zuckte.

„Klar, wieso nicht?“, stellte ich ihr eine Gegenfrage und fuhr mir durch meine Haare, die mir nur noch bis zu den Schultern gingen. Vor ein paar Wochen hatte ich sie mir schneiden lassen und ich war mehr als nur zufrieden damit, sie ließen mich älter als 19 aussehen.

„Ich weiß nicht, vielleicht, weil dort eine Person lebt, die du nicht wieder sehen wolltest?“

„Dort lebt aber auch eine Person, die ich liebe und das ist mein Vater. Dementsprechend kann sich die Person, die ich nie wieder sehen wollte, sich schön ins Knie ficken.“, wieder zuckte ich mit meinen Schultern und sah in die grünen Augen von Harper, die jede meiner Bewegungen beobachtete.

Ich wusste, sie überlegte, ob es mir wirklich so egal war, wie ich tat und ja, so egal war es mir und auch die Person, deren Namen ich nicht nennen wollte. Er war mir egal, jeder in dieser beschissenen Stadt, in der ich gewohnt hatte, war mir egal, außer mein Vater und Gwen.

Gwen.

Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, dass ich zurückkommen würde, zwar nur über die Ferien, aber das waren sechs Wochen und in diesen Wochen würde ich bei meinem Vater im Haus bleiben, Videos auf YouTube schauen, sowie Serien und Filme.

Musik hörte ich schon lange nicht mehr. Schon seit dem Tag, als mir mein Herz gebrochen wurde.

Ich hatte mich völlig von meiner Vergangenheit abgeschottet, hatte mir eine neue Nummer geholt, die nur Harper und Gwen kannten und mehr brauchten auch meine Nummer nicht, außer natürlich meine Familie.

Mit meinem Vater hatte ich, seit meinem Umzug, immer mal wieder telefoniert, aber morgen würde ich endlich zu ihm fahren und ihn wiedersehen. Es war so vieles geschehen, in diesem Jahr.

„Was ist, wenn jemand herausfindet, dass du wieder da bist?“, Harper machte sich unnötig Gedanken über diesen Scheiß, weswegen ich mit meinen Augen rollte.

„Ist mir egal, was dann ist. Und wenn sie es wissen, dann sollen sie es doch.“, meinte ich kühl und räusperte mich einmal, während ich auf das kleine H auf meinem Handgelenk sah, welches ich mir tätowieren lassen habe. Harper hatte ein A, es war unser Freundschaftsatattoo.

Harper und ich waren beste Freundinnen, natürlich war Gwen auch noch in meinem Leben, aber Harper war mir verdammt wichtig und mit Gwen hatte ich den Kontakt schon ein paar Monate nach meinem Verschwinden verloren. Es war traurig, aber was sollte ich schon tun?

Ich hatte schon andere Verluste, ich wusste, wie man damit umging. Jedenfalls auf meiner Art und Weise.

Ich nahm die Zigarettenschachtel aus meiner Jackentasche, nahm eine Zigarette aus dieser und zündete sie an, nachdem ich sie mir zwischen die Lippen gesteckt hatte. Genüsslich atmete ich den Rauch ein, atmete ihn wieder aus und blies perfekte Ringe.

„Willst du auch?“, ich bot Harper meine Zigarette an, aber sie schüttelte nur ihren Kopf, worauf ich nickte und wieder einen Zug nahm.

Wir saßen an einem Spielplatz, der schon, seitdem ich wusste, verlassen war, auf den Schaukeln und sprachen einfach nur miteinander. Das taten wir oft. Im Grunde war Harper die einzige, der ich noch irgendetwas aus meinem Leben erzählte. Okay, Harper war auch die Einzige, die ich in meinem Leben hatte.

Als ich hier wieder zur Schule gegangen war, war ich natürlich der Außenseiter gewesen, aber es hatte mich nicht gestört, so hatte ich meine Ruhe und konnte vor mich hin leiden. Leider kam es dann jedoch vor, dass mich eine der Schlampen an der Schule nerven musste und ich hatte nochmals einen Verweis kassiert. Und noch einen. Und noch einen.

IndecisionWhere stories live. Discover now