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Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht nicht seine beste Idee gewesen, zu der Schwester dessen zu flüchten, der ihn soeben rausgeworfen hatten. Er war bereits kurz davor wieder einen Rückzieher zu machen, doch da öffnete sich bereits die Türe, vor der er stand. Im Treppenhaus war es kalt und düster, die Lampe über Nevids Kopf flackerte und tauchte den Flur in gedämpftes Licht. Ohne es zu bemerken hatte der Unsichtbare angefangen zu zittern, doch immerhin waren seine Tränen versiegt und hatten einem dumpfen Gefühl Platz gemacht.

Die Schwarzhaarige Frau öffnete die Türe und sah sich suchend um. Mina trug ein graues, verwaschenes T-Shirt über einer schwarzen Leggings, ihre Haare fielen in seichten Locken über ihre Schultern. ,,Immer diese-", sie drehte sich bereits wieder um, bereit ihn ihre Wohnung zurückzukehren und in genervtes Gemurmel vertieft, als sie plötzlich stoppte. Nevid, der aus einem ihm selbst nicht ersichtlichen Grund wie zu Stein erstarrt gewesen war, zuckte bei ihrer heftigen Bewegung zusammen. ,,Nevid?", fragte sie dann zögerlich und so vorsichtig, als sei sie sich nicht sicher, ob ihre Vermutung stimmte.

,,Hey", flüsterte der Unischtbare. Neugierig blickte Mina in die Richtung, aus der sie geglaubt hatte die Stimme zu hören. Dann bat sie ihren Gast herein.

Während die Schwester Maximilians noch rasch in die Küche ging um sich etwas zu trinken zu holen, saß der Neunzehnjährige schweigend am Esstisch und blickte sich mit mildem Interesse in dem Raum um. Im Vergleich zum Treppenhaus, wirkte dieser hell und freundlich und war genau so eingerichtete, wie er es von Mina erwartet hatte.

Kurz fragte er sich, weshalb er nicht einfach zu Lajescha gegangen war, schob diese Frage dann jedoch von sich. Seine Füße hatten ihn wie von selbst zu dem Haus getragen, in dem die Schwarzhaarige wohnte. Ein leises ,,so" kündigte ihm an, dass sie aus der Küche zurückgekehrt war.

,,Und jetzt erzähl mir, was passiert ist", befahl sie und blickte mitfühlend auf den Stuhl ihr gegenüber, als wisse sie bereits, dass etwas nicht stimme. Bei diesem Blick musste Nevid schlucken, denn so wurde die Ähnlichkeit zu ihrem Bruder noch größer. Sie hatte feinere Gesichtszüge und auf den ersten Moment hätte man auch nicht sofort gewusst, dass die zwei Geschwister warern, doch auf den zweiten Blick erkannte man die selben schmalen Lippen und grünbraunen Augen.

,,Nevid, jetzt sag schon! Ich weiß, dass etwas nicht stimmt, sonst wärst du ja kaum hier. Also, was hat mein Bruder getan?", verlangte sie zu hören. Der Unischtbare räusperte sich und begann dann mit brüchiger Stimme zu erzählen. Je länger er sprach, desto mehr verdüsterte sich das Gesicht seiner Gastgeberin. Zum Ende hin spiegelte ihre Miene pure Enttäuschung wieder.

Seufzend fuhr Mina sich mit der Hand über die Stirn. Bereits seit einigen Sekunden herrschte unangenehme Stille. Nervös rutsche Nevid auf dem Stuhl umher. Seine Gedanken kreisten um Mille, der ihn rausgeworfen hatte, um Lorik, der jetzt seine Lara hatte und um Janni, die ihren naiven Freund vermutlich betrog.

,,Also erst Mal: Wenn es stimmt und Janni meinen Bruder betrügt dann köpfe ich die Schlampe eigenhändig! Und was Maxi angeht... Ich kann einfach nicht glauben, dass er dich rausgeworfen hat, was ist nur mit ihm los?! Ist er so verliebt, dass er alles um sich herum vergisst? Und selbst wenn, das ist absolut würdelos. Der Idiot kann manchmal so ein Arsch sein...", brauste sie auf und begann, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, ,,wenn du magst kannst du die Nacht hier bleiben, Lajescha wollte später noch vorbeikommen... Und Maxi gebe ich jetzt Bescheid, dass du bei mir bist und er sich erst wieder bei mir melden soll wenn er wieder normal ist!"

Entschlossen stand Mina auf und griff mit grimmigem Blick nach dem Telefon, das auf einer Kommode stand. So wütend hatte Nevid die Schwarzhaarige noch nie erlebt. Ob es wohl eine gute Entscheidung gewesen war, zu ihr zu kommen?

Etliche Sekunden später, hatte Mille wohl das Telefon abgenommen, denn seine Schwester begann augenblicklich, los zu zetern und ihn zu beleidigen. Mit einem wütenden ,,Was bist du eigentlich für ein ekelhaftes Arschloch" legte sie auf.

Auch Lajescha, die drei Stunden später auftauchte, begann, nachdem sie von den Geschehnissen des Tages erfahren hatte, ihren besten Freund zu schimpfen. Der Abend hätte durchaus lustig werden, doch Nevid hing mit seinen Gedanken fast durchgehend bei Mille und ab und zu bei Lorik. Ihm wollte nicht mehr aus dem Kopf gehen, dass Maximilian ihn nur benutzt hatte. Und der Unsichtbare hatte gedacht, er wäre sein bester Freund.

Er verfluchte sich selbst, dass natürlich ausgerechnet er es gewesen war, der Janni mit diesem Typ gesehen hatte. Was hatte das Schicksal nur gegen ihn?! Und er bereute, Mille von seiner Beobachtung erzählt zu haben. Hätte er doch nur ein Mal im Leben die Klappe gehalten...

Doch wie er es auch drehte und wendete, er kam um einen Beschluss nicht herum.

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Na, welcher Beschluss wohl?

So nah und doch so fern | BoyxboyWhere stories live. Discover now