Kapitel 13

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Das Anwesen der Scamanders lag vor mir. Nachdem ich ganze zwanzig Minuten durch den Wald und das Dorf gestapft bin, hatte ich mich halbwegs abgeregt. Allerdings fühlte ich mich nicht bereit, in die zweite Diskussionsrunde mit meiner Familie zu starten. Vor allem weil ich selber nicht mehr wusste, wo ich stand. Ich wollte Regulus eine zweite Chance geben. Er hatte sie verdient, doch ich wollte mich deshalb auch nicht mit Sirius streiten und schon mal gar nicht mit Samuel.
Ich schluckte schwer. Bisher hatte ich mich noch nie mit meinem Großcousin so heftig gestritten, dass ich das Gefühl hatte, Abstand von ihm zu brauchen. Klar, wir stritten, doch normalerweise hieß es auch, dass wir beide uns nach zwei Minuten unbedingt wieder vertragen wollten. Doch dass ich nach einem Spaziergang nicht das Gefühl hatte, noch einmal mit ihm reden zu können, hatten wir noch nie gehabt. Jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern. Vielleicht mal als kleines Kind.
Vorsichtig klopfte ich an die Tür. Hoffentlich hatten die Scamanders überhaupt Zeit für mich. Normalerweise meldeten wir uns schließlich immer an. Es dauerte nicht lange, da hörte man Schritte. Kurz darauf wurde die Haustür schon geöffnet. Queenie sah mich kurz überrascht an, dann wandelte sich ihr Blick von Überraschung zu Mitleid und ein mitfühlendes „Oh" entfuhr ihr.
„Queenie, wer ist denn da?", hörte man Tina aus der Küche rufen.
„Carolin. Sie hat sich mit Sirius und Samuel gestritten, weil sie Sirius kleinem Bruder eine zweite Chance geben will und sie es für zu gefährlich halten. Jetzt ist sie traurig und braucht einen Kakao." Die Frau lächelte mir mitfühlend zu.
„Komm erst einmal herein, Kleine. Tina macht dir einen Kakao." Ich wurde durch das Wohnzimmer hindurch auf die Terrasse geschoben. Dort saß Newt mit dem aktuellen Tagespropheten.
„Carolin, was machst du denn hier?" Queenie sah kurz zu mir herüber, dann fing sie an zu erzählen. Es war doch auch mal schön, nicht über seine Probleme reden zu müssen.

Newt hatte seinen typischen Blick drauf, wenn er mir eine wichtige Lektion fürs Leben beibringen wollte. Nachdem Queenie einmal kurz die Situation erklärt hatte und mich dann noch mit einem Kakao, Keksen und ein paar tröstenden Worten versorgt hatte, war sie wieder zu Tina und Jacob gegangen. Der Magizoologe hatte geduldig darauf gewartet, dass wir zu zweit waren, bis er sich an mich wandte.
„Eine zweite Chance für Regulus Black ist also das Problem, richtig?" Ich nickte. Innerlich machte ich mich schon bereit, gleich von Newt ins Gesicht gesagt zu bekommen, wie schwachsinnig diese Idee war. Doch stattdessen stand er auf und hielt mir die Hand hin. Unsicher ließ ich mir aufhelfen und folgte dem Mann, der in Richtung der Pferde lief.
„In meinem Leben habe ich schon sehr viel gesehen. Ich habe die Welt bereist, habe Tierwesen erforscht und den Blick der Zauberergemeinschaft für sie komplett revolutioniert. Früher waren alle magischen Tierwesen böse und gefährlich. Man hat sich nicht die Zeit genommen, sie sich näher anzusehen und ihre ganzen guten Eigenschaften somit nie erfahren. Und auch heute noch haben die Menschen nur ein Blick für die gefährliche Seite bei anderen Wesen und vergessen, dass sie selbst doch die gefährlichste Spezies sind. Habe ich dir schon einmal von dem Obscurus Credence erzählt?" Erneutes nicken von mir.
„Du hast ihn in New York kennengelernt, als du auch auf Tina, Queenie und Jacob getroffen bist. Grindelwald wollte seine Macht für sich nutzen, um an die Macht zu kommen und die Muggel zu unterdrücken." Der Mann schien sehr zufrieden mit meinem Wissen.
„Seine Adoptivmutter Mary Lou Barebone hat ihn misshandelt und Grindelwald hat seine Lage ausgenutzt. Credence suchte immer nach einer Familie, nach Zuneigung und nach Zuspruch. Grindelwald nutzte diese Wünsche für seine Zwecke aus, um ihn für sich zu manipulieren. Er wurde zu dem, was die Gesellschaft aus ihm gemacht hat. Man hat ihn immer nur wie ein Monster behandelt und sich dann gewundert, dass er eins wurde. Es werden Menschen gebraucht, die mal ein wenig genauer hinsehen." Ich sah den Mann wahrscheinlich an, als wäre er ein mir komplett unbekanntes Tierwesen.
„Du meinst, ich soll Regulus vertrauen?" Der Amerikaner schüttelte bestimmt den Kopf.
„Erste Regel beim Umgang mit Tierwesen?"
„Sei vorsichtig."
„Das ist auch die erste Regel beim Umgang mit dem kleinen Black. Sei vorsichtig. Gehe auf ihm zu, schenk ihm ein wenig vertrauen, aber sag ihm nichts, was er gegen dich verwenden könnte. Behalte immer im Hinterkopf –"
„Das gefährlichste Monster ist und bleibt der Mensch." Mir wurde auf die Schulter geklopft.
„Jetzt ist es Zeit für dich, noch einmal mit Samuel und Sirius zu reden." Ich seufzte.
„Wenn wir uns nicht vertragen, verstecke ich mich bei den Occamys, in Ordnung?"
„Musst du sie fragen. Das ist ihr zu Hause und nicht meins, wo du einfallen willst."

Hexagramm-SpinnefeindWhere stories live. Discover now