Kapitel 40

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Ein leiser Schrei war zu hören, als wir wieder auf den Friedhof apparierten, auf dem Dorcas heute beerdigt werden sollte.
„Carolin? Merlin, ist alles in Ordnung mit dir?" Lily kam auf mich zu gerannt. In ihren Augen stand Panik.
„Geht schon. Nur ein paar Kratzer, aber –" Ich merkte, wie mir mehrere Tränen über die Wangen liefen.
„Was ist los?"
„Marlene und ihre Eltern –" Ich sah zu meinem Großcousin herüber, der mit Kira auf dem Schoß angerollt kam. Er starrte mich entsetzt an.
„Samuel, ich – Es tut mir leid." Wir waren zu spät gewesen. Hätten wir nur früher Alarm geschlagen, als darauf zu vertrauen, dass meine beste Freundin in Sicherheit war. Mein Großcousin hielt mir seine Hand hin. Das Zeichen für mich, dass ich zu ihm kommen soll. Ich ließ mich auf sein Schoß fallen. Kira kam zu Marianne auf mein Schoß.
„Es tut mir leid." Ich kuschelte mich an meinen ältesten Freund.
„Du kannst nichts dafür, Kleines." Ich merkte, wie er anfing zu weinen, genauso wie mir wieder die Tränen in die Augen schossen.

Ich starrte in den Spiegel von Sirius und meinem Badezimmer. Langsam verstand ich Lilys Frage, ob mit mir alles in Ordnung war. Meine Kleidung war zerrissen, meine Arme und Beine mit blutigen Kratzern geziert. Außerdem sah man mehrere Blutflecken von meinen Versuchen, bei Mr McKinnon noch etwas zu retten. Ein ziemlich dummer Versuch, da er zu dem Zeitpunkt schon länger nicht mehr geatmet hatte. Doch als wir ihn gefunden haben, schien es mir aus irgendeinem Grund eine gute Idee zu sein.
„Prinzessin? Ich habe Kira, Patricia und Marianne ins Bett gebracht. Sie schlafen friedlich. Samuel wollte meine Hilfe nicht. Er hat mich angeschrien und dann herausgeschmissen."
„Nimm es nicht persönlich. Er ist –"
„Wäre ich an seiner Stelle, hätte ich mich auch nicht sehen wollen. Ist in Ordnung." Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich bei ihm übernachte? Ich glaube, er braucht mich heute Nacht." Mein Ehemann lächelte leicht.
„Er braucht dich dringender als je zuvor. Keine Sorge. Kira, Patricia und ich werden uns schon gegenseitig trösten. Aber bevor du zu deinem muffeligen Samuel gehst, sollten wir dich noch einmal hübsch machen." Sirius ging zu dem Badezimmerschrank und holte meine Heilsalbe und einen Waschlappen heraus.
„Komm her, Prinzessin. Jetzt kümmert sich dein Stallbursche ein wenig um dich." Er machte den Waschlappen nass und begann damit über meine verdreckte Wange zu reinigen.
„Es würde schneller gehen, wenn ich eben duschen gehen würde."
„Dann würdest du aber eben unter die Dusche springen und ich könnte mich nicht mehr um mich kümmern. Lass mich dir helfen." Sirius sah mich mit seinem lieben Hundeblick an, den er immer aufsetzte, wenn er unbedingt etwas machen wollte. Doch ausnahmsweise schwang in seinem Blick noch etwas anderes mit. Er fühlte sich nutzlos. Die Kinder lagen im Bett, Samuel und ich brauchten gerade uns gegenseitig und Sirius wollte helfen, wusste aber nicht wie. Also tat er das Einzige, was ihm einfiel. Er wollte meine Wunden versorgen.
„Wir sollten die Wunden desinfizieren, bevor du sie heilst. Wahrscheinlich sind sie komplett verdreckt. Wenn wir sie jetzt heilen, wird der Dreck mit eingeschlossen." Ich begann meine schwarze, zerfetzte Kleidung auszuziehen, damit wir besser an die Wunden kommen konnten.
„Hast du etwas dafür hier?"
„Desinfektionsmittel steht auf dem Regalbrett mit meinen anderen Heilsalben. Und darunter steht etwas zum Abschminken, das könnte auch helfen. Die Schminke ist wasserfest."
„Ich kümmere mich um dich. Also sag mir nicht, wie ich das machen muss. Lass dir einfach helfen." Ich ließ mich auf die Kante der Badewanne fallen. Zufrieden lächelnd suchte Sirius die restlichen Dinge zusammen, bevor er seine Arbeit fortsetzte.

Vorsichtig klopfte ich an die Tür von Samuel und ehemals Marlenes Zimmer. Drinnen war nichts zu hören, doch ich konnte mir kaum vorstellen, meinen Großcousin hier nicht zu finden. Also trat ich trotz der fehlenden Reaktion in den Raum. Die Vorhänge waren nicht zugezogen worden. Vor dem Fenster saß Samuel, noch immer in der gleichen Kleidung wie vorher auch.
„Samuel, du solltest dich umziehen. Du warst schon auf Dorcas Beerdigung müde."
„Ich weiß." Ich trat neben meinen Großcousin, welcher mit trüben Blick nach draußen auf das weitläufige Gelände starte.
„Was ist los, Großer?"
„Ich habe es versucht, aber – Carolin, ich schaffe es nicht einmal mehr, alleine ins Bett zu gehen! Wie soll ich mich um meine Tochter kümmern? Was soll ich bitte ohne Marlene machen?" Ich strich meinen Großcousin über die Haare.
„Wir schaffen das. Wir alle zusammen. Versprochen."
„Carolin, die Prophezeiung sagt, dass –"
„Ich weiß, dass ich vor Ende des Kriegs fallen werde. Aber Sirius bleibt bei dir –"
„Carolin, was ist, wenn er auch fällt? Was ist, wenn sie alle fallen?"
„Du wirst jemanden finden, der dir helfen wird."
„Und wenn nur unsere Kids überbleiben?"
„Sie haben noch immer Artemis und Athene. Die beiden werden auf sie aufpassen."
„Und wenn wir ausgelöscht werden? Was dann?" Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, wir müssen einfach alles daran setzen, hier lebend herauszukommen. Wir werden das schaffen. Daran glaube ich. Jetzt lass mich dir helfen aus diesen Klamotten raus zu kommen. Wir brauchen beide Schlaf."

Hexagramm-SpinnefeindWhere stories live. Discover now