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"Du hast ihm davon erzählt, nicht wahr?", schrie Tyler.
Mein Bruder hatte nicht mit mir geredet.
Nicht nach dem Telefonat und nicht bei der Trauerfeier, die heute Nachmittag für Mom in der Turnhalle veranstaltet worden war.
Und jetzt wurde mir langsam klar warum.
"Nein, habe ich nicht!", antwortete ich und versuchte ruhig zu bleiben, was wegen der Vielzahl an Gefühlen, die eben in mir aufkamen, nicht gerade einfach war.
"Kim hat mich fast erschlagen bevor ich nur die Möglichkeit dazu gehabt hätte!"

"Deswegen ist Mom aber jetzt tot! Weil sie dachte du hättest uns verraten", erwiderte er aufgebracht. "Und wieso sollte sie das sonst bitte denken? Warum sollte sie aus Rache unsere Mutter töten, wenn du nicht geredet hast?!"
Autsch. Ein Knoten bildete sich in meiner Brust und ich hatte das Gefühl fast zu ersticken.
"Tyler, ich habe niemandem irgendetwas erzählt!"
Ich spürte ein Kribbeln in meinen Knochen, das ich zuletzt bei Vollmond wahrgenommen hatte.
"Hör auf mich anzulügen!", schrie er und stand urplötzlich direkt vor mir.
"Ich lüge dich nicht an, Tyler!" Meine Stimme war lauter als gedacht und ich schrie beinahe genau wie er.
Er holte mit der Faust aus und schlug die Wand neben mir.
Ich zuckte zusammen, doch dann kochte in mir diese unkontrollierbare Wut auf, die ich dem Wolfsgen zu verdanken hatte und ich stieß ihn mit aller Kraft von mir weg.
Er stolperte einige Schritte zurück.

Kurz herrschte Schweigen zwischen uns.
"Ich gehe", sagte er dann. "In dieser Stadt kann ich sowieso nicht bleiben."
Er ging zum Hauseingang und griff nach der Sporttasche, die er schon vor der Trauerfeier gepackt hatte.
"Tyler, du kannst nicht jetzt" -
"Mach es nicht schlimmer als es ist, Bree", unterbrach er mich, bevor er aus der Haustür ding und sie hinter sich zuschlug.

Ich rannte zur Tür und riss sie auf, doch mein Bruder saß schon im Auto und fuhr weg.
Gott, ich hatte erst Mom verloren, ich konnte Tyler nicht auch noch verlieren. Nicht so. Er durfte nicht einfach mitten im Streit gehen.
Er war wohl überzeugt davon, dass ich am Tod unserer Mutter die volle Schuld trug. Vielleicht hatte er auch recht. Wenn ich - Stop.
Ich durfte nicht so denken. Ich konnte jetzt schon spüren, wie die Emotionen auf mich einprasselten wie Eishagel.
Ich brauchte irgendetwas.

Also ging ich in mein Zimmer, zog die unterste Schublade meines Kleiderschranks raus und warf mir drei Beruhigungstabletten ein.

Es war still im Haus. Zu still.
Keine friedliche Stille, es war die erdrückende Art von Stille, die sich wie ein Engegefühl um meinen Brustkorb legte.
Ich konnte nicht hier sein. Nicht in diesem leeren, stillen Haus.
Also nahm ich meine Schlüssel und meinen Geldbeutel, schlüpfte in meine Jacke und machte mich auf den Weg zum Grill.

"Einen Wodka auf Eis."
Ich setzte mich an den Tresen und hoffte, dass die Kellnerin mir möglichst schnell mein Getränk brachte.
Auch wenn ich mich dank der Pillen schon etwas ruhiger fühlte, spürte ich all die Wut und Trauer und Schuld immer noch in mir kochen.

"Hallo, Liebling."
Ich blickte auf. Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte Kol auf dem Hocker neben mir Platz genommen.
Im Gegensatz zu sonst hatte er diesmal kein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht oder einen sarkastischen Spruch auf den Lippen.
"Das mit deiner Mutter tut mir leid. Ehrlich", sagte er und schaute mir dabei in die Augen. Er meinte es scheinbar wirklich so.
"Danke", sagte ich leise.
Als die Kellnerin mir mein Getränk brachte nahm ich es dankbar entgegen und Kol nutzte die Gelegenheit um sich ebenfalls etwas zu bestellen.

"Wie geht es dir?", fragte er und nippte von seinem Scotch.
Ich lachte kalt und trank einen großen Schluck. Das Brennen des Alkohols in meiner Kehle beruhigte mich jetzt schon.
"Nächste Frage", erwiderte ich, woraufhin er sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen konnte. Dieses wurde allerdings nur einen Augenblick später durch eine besorgte Miene ausgetauscht.
"Ich meine es ernst, Bree. Wie geht es dir?"
Ich seufzte.
"Ich meine... Meine Mutter ist gestern gestorben und heute muss mein Bruder wegen Klaus die Stadt verlassen. Ach ja, er gibt mir übrigens die Schuld am Tod unserer Mutter", erzählte ich und trank noch einen Schluck. "Und ich kann nicht mal jemandem dafür, was passiert ist, den Kopf abreißen. Mir geht es wunderbar."

Breathe - Kol MikaelsonWhere stories live. Discover now