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Ein kalter Windzug trieb durch meine Haare als ich den Wald betrat. Es war so kalt, dass meine Hände trotz meiner Handschuhe zitterten. Aber es war mit in diesem Moment egal.
Adrien hatte sich nach zwei Tagen völliger Stille bei mir mit einer einzigen Nachricht gemeldet.
'Wir müssen reden.'
Das konnte verständlicherweise vieles bedeuten. Entweder er hätte zur Besinnung gefunden und würde mir endlich von seinen Geheimnissen erzählen oder er würde mir wieder eine Lüge auftischen, damit ich wieder Ruhe gab. Letzteres würde das Ende für unsere Beziehung bedeuten, deshalb hoffe ich sehnlichst, dass er mir die Wahrheit sagen würde. Die Wahrheit, die seit Anfang an hätte erzählt werden müssen.
Trotzdem konnte ich mir nicht sicher sein, ob er wirklich dazu bereit war. Ich würde ihm niemals zu etwas zwingen, doch ich musste mir selber treu bleiben. Irgendwann konnte auch ich nicht mehr so tun, als wäre alles gut zwischen uns. Und das war es sicherlich nicht.
Er bedeutete mir mittlerweile mehr als alles andere auf dieser Welt, und deshalb konnte ich nicht verstehen, wieso er Dinge vor mir verbergen musste. Dinge, die unsere Beziehung gefährdeten.
Ich betrat die Siedlung und sah mich um. Keine einzige Menschenseele war draußen. Wieso auch, es war so kalt, dass die Bäume bereits zu zittern schienen. Ich konnte meine eigenen Schritte hören, die vereiste Blätter unter meinen Sohlen zerknirschen ließen.
Irgendwie empfand ich im Inneren Aufregung. Aber wer konnte mir das auch verübeln? Seit Wochen warte ich auf diesen Moment, dieses Gespräch, dass entweder alles würde. Ich hätte Angst, dass es genau dagegen würde, wie ich mich immer davor gefürchtet hatte. Die Zuneigung, die ich für Adrien empfand, war mehr als nur ein dummes Verliebt sein. Er brachte in mir Seiten zum Vorscheinen, die ich selber nicht kannte. Er veränderte mich zum positiven. Er zeigte mir, wie schön das Leben mit einem Partner sein kann. Verständlich, dass es mir mehr als nur mein Herz brechen würde, wenn er mich erneut abweisen würde.
Tief atmete ich und aus als ich vor Adriens Haustür stand. Ich war nervös. Mein Herz schlug mir so schnell gegen die Brust, dass ich dachte, es würde gleich stolpern. Ich hob meine Hand und setzte zum klopfen an. Plötzlich riss jemand die Tür einen kleinen Spalt auf. Adriens Kopf schob sich aus der Tür, doch mehr zeigte er nicht von sich.
Ich war so überrascht, dass ich kein einziges Wort sagen konnte. Ich stand einfach mit geöffnetem Mund da und starrte ihn an.
"Sirina", flüsterte er und brachte mich somit in die Realität zurück.
Ich blinzelte ein paar mal und schloss meinen Mund.
"Was tust du hier?"
Ich runzelte leicht die Stirn. "D-du wolltest mit mir reden", wisperte ich und biss mir fest auf die Zunge. Unsicherheit breitete sich in meinem ganzen Körper aus. "Wolltest du das denn nicht?"
Adrien riss die Augen auf. "Doch." Sein Blick war irgendwie ganz woanders. "Aber nicht jetzt."
Ich wandte irritiert den Blick ab und schluckte. "Seit zwei Tagen haben wir uns weder gesehen noch miteinander geschrieben, wir haben jeglichen Kontakt  zueinander gemieden." Adrien presste die Lippen aufeinander und wandte kurz den Blick von mir ab. "Du wolltest mit mir sprechen, und jetzt passt es dir gerade nicht?"
Meine Stimme klang wütend. Und ich war auch wütend. "Du hast irgendetwas besseres zu tun als über das zu reden, was unsere Beziehung seit Anfang an belastet?"
Meine Stimmlage war höher als sonst, doch wie sollte ich mich ihm gegenüber anders verhalten?
Etwas im Inneren fiel dumpf zu Boden. Ich hob meine Blick zu ihm und schnaubte. "Oder irgendjemand ist wichtiger."
Adrien schüttelte sofort den Kopf. Er wusste, welche Gedanken mir durch den Kopf gingen. "So ist es nicht."
Trotz seinem wirklich überzeugendem Blick drückte ich die Tür mit meiner Schulter auf und sah ins Haus. Ruby versuchte irgendwelche Blätter zusammenzusammeln. Sie sah mich überrascht an.
"Ruby?" Ich verstand nicht, was sie hier zu suchen hat. Oder was so dringender war, als ich.
"Ruby, bitte geh jetzt", warf Adrien schnell zwischen meinen Versuch etwas zu sagen, doch ich hielt sie auf indem ich meine Hand hob.
"Nein, warte." Neben mir schüttelte Adrien lansam den Kopf. "Bitte erzähl mir davon." Ich deutete auf die Blätter.
Ruby sah unentschlossen zwischen uns hin und her. Sie drückte die Blätter enger an ihre Brust.
"Ruby, geh." Adriens Ton war dominant und gefährlich. Ich wusste, dass mein Freundin gerade eingeknickt war. Keine Ahnung, wie er es immer schaffen konnte, dass andere sich seinen Worten beugen mussten.
"Es tut mir leid", wandte sie sich kurz zu mir und verließ schnell das Haus. Ich atmete tief aus und sah ihr nach. Mir schossen tausende Gedanken durch den Kopf, doch ich konnte keine von ihnen festhalten.
"Wolltest du mir überhaupt von dieser Sache erzählen, als du mir geschrieben hast?" Innerlich zitterte ich vor Wut, obwohl ich ihn nicht einmal ansah. Ich war mir ziemlich sicher, dass er gerade seine Zähne zusammen biss.
Als er nichts sagte, drehte ich mich wieder zu ihm um. Ich konnte mein Schnauben nicht unterdrücken. Unglaublich, wie viel Hoffnung ich in ihn gesteckt hatte - wie viel Hoffnung ich in unsere Beziehung noch hatte!
"Da ist nichts", wisperte Adrien, doch es war so still, dass es in einer ganz normalen Tonlage zu hören war.
Ich lachte zynisch und rieb mir über meine Stirn. "Denkst du ich habe nicht seit Anfang an bemerkt, dass irgendetwas zwischen uns steht? Dass du mir etwas vorenthälst? Mich seit Wochen über irgendein Geheimnis anlügst?" Beim letzten Satz schrie ich ihn bereits an.
Adrien zeigte keinerlei Regungen. Er hatte seine Mauern hochgefahren, die jedes weitere Wort von mir abprallen ließen. Das war der Moment, wo ich meine Zurückhaltung fallen ließ. Ich konnte nicht mehr über die Lügen und Geheimnisse zwischen uns hinwegsehen.
"Denkst im ernst, dass ich nichts bemerkt hatte? Dass ich dir jedes einzelne Wort abgekauft habe, als du mir immer wieder die Wahrheit vorenthalten hast?"
"Das ist nicht so einfach", meldete sich Adrien das erste mal seit langem zu Wort.
"Dann erklär's mir!", schrie ich ihn an und warf die Arme in die Luft. Einzelne Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen. In Adriens Augen konnte ich etwas wie Reue sehen, aber vielleicht hatte ich mir das auch einfach nur eingebildet.
"Ich habe dir so viele Möglichkeiten gegeben, mir alles zu erzählen. Ich gebe dir jetzt die Chance."
Im Inneren hoffte ich so sehr, dass er sich doch öffnen würde - dass er mir etwas anvertrauen würd, irgendetwas. Ich wollte an unsere Beziehung festhalten, von mir aus auch an ihr arbeiten, aber wie sollte ich an etwas arbeiten, von dem ich nicht einmal wusste?
Einige Momente verstrichen und es war so still, dass ich meinen eigenen Atem hören konnte. Ich sah ihn an, sowie ich ihn noch nie angesehen hatte. Ich war verletzte, nein, ich war einfach nur enttäuscht.
Ich stieß einen verzweifelten Laut aus und wischte mir die Tränen von meinen Wangen. Adriens Blick war plötzlich so mitfühlend, dass mir schwindelig wurde.
Sein Mitleid war das Letzte, was ich jetzt von ihm gebrauchen konnte. Er streckte langsam die Hand nach mir aus, doch ich wich sofort mit einem Schritt zurück. Ich schüttelte den Kopf und schlang die Arme um mich. Mich durchfuhr eine Kälte. Nicht die, die ich hatte, als ich durch den Wald lief, sondern eine, die mir jegliche Hoffnung nahm.
"Ich weiß nicht, ob das hier ..." Ich sah ihn wieder an. "... noch eine Zukunft hat." Adrien keuchte auf, doch was hatte er erwartet? Ich konnte nicht einfach so weitermachen wie bisher. So sehr ich mich auch dagegen sträubte, drehte ich mich um und ließ ihn zurück.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt