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Es war still, so still, dass das Radio mir unmenschlich laut vorkam.
Ich wusste nicht, was ich hätte zu Adrien sagen sollen. Er war derjenige, der so tat, als wäre gestern nichts vorgefallen. Trotzdem fühlte ich eine gewisse Distanz zwischen uns, ganz anders als der Anfang der Nacht.
Ich blinzelte und atmet tief aus.
Adrien räusperte sich neben mir und legte einen höheren Gang ein.
Ich wollte ja gar nicht, dass es so zwischen uns war, doch Adrien musste endlich einsehen, dass er mir etwas erzählen musste, irgendetwas, ansonsten würde unsere Beziehung langsam aber sicher den Bach runterlaufen.
"Hast du sicher kein Hunger?", fragte Adrien und warf mir einen etwas besorgten Blick zu. "Du hast heute kaum gegessen."
Ich presste kurz die Lippen aufeinander.
Ja, wir waren Stunden unterwegs und möglich, dass ich einen leichten Hunger verspürte, aber die Tatsache, dass wir noch länger in unangenehmem Schweigen verweilen würden, verdarb meine Lust auf Essen.
"Nein, mir geht's gut", murmelte ich und sah die Straßen entlang.
Es war nicht so, dass ich sauer war. Ich wollte doch einfach nur wissen, was mit ihm los war. Diese Lügen und Geheimnisse strapazierten mich sehr und zogen an meinen Nerven, es war einfach nur belastend.
Die Nacht hätte vermutlich anders geändert, wäre er von Anfang an offen gewesen, aber er hatte die Wahl und entschied sich dagegen für's Schweigen.
Adrien bog endlich in meine langersehnte Straße ein.
Zufrieden atmet ich ein und setzte mich auf, bereit diese schrecklich erdrückende Atmosphäre zu verlassen.
Adrien parkte und schaltete den Motor aus. Sofort sprang ich raus und lief zum Kofferraum, doch Adrien kam mir zuvor und stellte meine Tasche neben mir ab.
Abwartend sah er mich an.
Ich wusste ja selber nicht, was jetzt passieren würde. Meine Augen fixierten alles, nur nicht Adrien.
"Tut mir leid, dass das Wochenende so geendet hat", meinte er bedrückt und befeuchtete seine Lippe.
Selbst dabei sah er verdammt sexy aus.
Ich nickte leicht.
"Es ist anders abgelaufen, als wir es uns vorgestellt hatten", kommentierte ich und Adrien nickte ebenfalls.
Er schluckte hörbar und suchte meinen Blick.
"Sirina, es tut mit leid", haute er und in meinem Herzen stach irgendetwas.
"Willst du es mir jetzt erzählen?", fragte ich erneut und sah ihn an, doch er starrte mit gerunzelter Stirn auf den Boden.
"Ich weiß nicht, was du meinst", brummte er und trat von einem Fuß auf den anderen.
"Du solltest jetzt lieber gehen", murmelte ich unzufrieden und steckte meine Hände tief in meine Jackentaschen.
Adrien machte einen Schritt auf mich zu, um mich, wie immer, zum Abschied zu küssen, doch ich trat eine Abstandlänge zurück.
Sichtlich getroffen räusperte er sich, doch das war mir gerade egal.
Er hatte wieder und wieder die Chance mit die Wahrheit zusagen, aber an einem Punkt war Schluss und ich musste mir selbst treu bleiben.
"Wir sehen uns", entgegnete er, ohne eine Antwort von mir abzuwarten und lief zu seinem Wagen.
Bedrückt sah ich seinem Auto hinterher, bis ich es nicht mehr sehen konnte.
Tief atmete ich aus und nahm meine Tasche in die Hand.
Als ich auf die Treppenstufen trat und die Tür aufschließend wollte, hörte ich lautes Geschrei.
Ich begab mich in den Flur. Etwas zerbrach auf dem Boden.
Vorsichtig setzte ich die Tasche ab und lief in das offene Wohnzimmer.
"Wieso hast du mir das verschwiegen?", fuhr mein Vater meine Mutter an.
Sie schluckte auf.
"Ich hatte es nicht für wichtig empfunden", meinte sie weinerlich.
Innerlich zog sich etwas bei mir zusammen.
Meine Eltern stritten sich nie, niemals. Wenn sie sich doch zangten, dann immernoch mit einem bedachten Ton.
Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie es ist, wenn sie sich gegenseitig anschrien, aber sie taten es.
"Bitte, Steve", flüsterte sie und schniefte. "Du musst verstehen, ich-"
"Mom? Dad?", wisperte ich und gab mich zu erkennen.
Meine Eltern drehten sich zu mir und wurden abrupt still.
Meine Mutter sah grässlich aus. Ihr Gesicht war rot angelaufen und die Augen geschwollen. Mein Dad sah mich sichtlich aufgelöst an.
"Sirina", murmelte meine Mutter und wischte sich die letzten Tränen von ihrer Wange, was absolut gar nichts brachte, da man genau sehen konnte, dass sie geweint hatte. "Wir dachten nicht, dass du schon so früh zurück kommen würdest."
Ich schluckte und sah zu meiner Mutter.
Beschämt über die Situation, dass ihre eigene Tochter sie so schwach sehen musste.
"W-wir haben uns früh auf den Weg gemacht", stotterte ich und sah zu meinem Dad, der meinem Blick auswich. "Was ist hier passiert?"
Beide schauten auf den Boden.
Ich trat langsam einen Schritt nach vorne. Unter meiner Sohle quietschte Scherben.
"Dein Vater und ich, wir ...", murmelte meine Mutter und sah zu ihrem Ehemann. "Wir hatten nur etwas zu besprechen."
"Genau", stimmte mein Vater ihr zu und nickte mit dem Blick ins Nirgendwo gerichtet.
"Geh doch in dein Zimmer und pack deine Sachen aus, dann kannst du uns alles erzählen, ja?", schlug meine Mutter vor und schlang ihre Arme um ihren zierlichen Oberkörper, der mit einem mal so gebrechlich wirkte.
Zuerst sah ich von ihr zu meinem Dad, dann wieder zu meine Mutter.
Mein Blick schweifte durch das Wohnzimmer.
Eine Vase war zu Bruch gegangen, einige Kissen waren durch das Zimmer geflogen, ansonsten war alles auf seinem Platz, trotzdem fühlte ich das Chaos.
"Okay", flüsterte ich und ging langsam zu meiner Tasche, die ich dann in die Hand nahm und die Treppe in mein Zimmer hochstieg.
Keine Ahnung, über was sie gesprochen haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, was so dramatisch war, dass meine Mutter weinte und mein Dad Sachen durch die Gegend schmiss.
Nicht nur in meiner Beziehung mit Adrien, sondern auch in meiner Familie gab es also Differenzen.
Es kam die Zeit der Herausfordrungen und entweder man konnte diese Probleme überwältigen, oder man zerbrach an ihnen.
Wer hätte gedacht, dass mir das Schlimmste noch bevor stand.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt