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02:46 zeigte die Uhr an.
02.46 Uhr
Ich seufzte und drehte mich auf die linke Seite.
Die Befürchtungen, dass ich die Nacht wach verbringen würde, weil heute Vollmond war, bewahrheitete sich gerade.
Meine Gedanken konnte ich nicht abstellen, sodass ich möglicherweise doch zur Ruhe hätte kommen können.
Alles drehte sich um den Tag X, an dem Ian und Claire uns angerufen würden.
Die Frage war demnach, wie viel Zeit uns noch blieb. Zwar wünschte ich mir sehr, dass der Angriff nie passieren würde, doch das war reines Wunschdenken.
Adrien und sein Rudel schafften es, sich gut vorzubereiten, doch war es gut genug? Was, wenn nicht?
Was ist, wenn jemand ernsthaft zu schaden kommen könnte? Was ist, wenn es Adrien war?
In dem Kampf ging es um die Alpha-Position, es ging um Leben oder Tod. Das hatte Tristan mir mehr als deutlich gesagt. Es versetzte much in innere Panik, doch darüber durfte ich nicht nachdenken.
Mit Schwung stand ich vom Bett auf und starrte kurz aus dem riesigen Panoramafenster auf den Mond.
Kopfschüttelnd fuhr ich mir durch die Haare und lief leise in den Flur.
Vielleicht brauchte mein Körper nur etwas kaltes Wasser ...
Meine Fußspuren hallten an den hohen Wände wieder und ließen diese unglaublich laut erscheinen.
Vorsichtig stieg ich die Treppe runter und lief in die Küche.
Zielgerichtet steuerte ich auf das Regal mit den Gläsern zu. Erst als ich das gedimmte Licht bemerkte, entdeckte ich, dass jemand an dem Kopfende des Tisches sahs und mich beobachtete.
Vor Schreck hielt ich mich an der Kante des Tresens fest und fasste mir ans Herz.
"Gott, du hast mich erschreckt", lachte ich und schüttelte den Kopf.
Adrien grinste entschuldigend, was meine Beine schwach werden ließ.
"Was machst du hier?", fragte er mit gedimmter Stimme, die bei mir sofort Gänsehaut auslöste.
"Ich ... ähm", stammelte ich, weil seine Anwesenheit mich aus dem Konzept brachte. "Ich kann nicht schlafen und wollte etwas trinken."
Er nickte. "Vollmond."
Zustimmend lächelte ich.
"Bitte, bedien' dich ruhig."
Dankend nahm ich mir ein Glas, ließ Leitungswasser einfließen und trank einen Schluck, denn meine Kehle war plötzlich staubtrocken.
"Und was ist mit dir?", fragte ich schließlich und lief leise zu ihm rüber.
Er starrte auf den grellen Bildschirm seines Laptops.
"Nur Rudelkram", meinte er und ich blieb neben ihm stehen.
"Darf ich?" Mit einer Kopfbewegung wies ich auf den Platz neben ihm.
"Natürlich, bitte."
Adrien setzte sich aufrechter hin und srich sein Oberteil glatt. Ich nahm Platz und strich mir einzelne Strähnen nach hinten.
"Du kannst auch nicht schlafen?"
Er lachte schwach und knetete seinen Nacken. "Nein, ich bin schon die ganze Zeit wach und komme nicht zur Ruhe."
Adrien lehnte ich nach hinten und sank tiefer in den Stuhl.
"Dann dachte ich mir, dass ich die Zeit auch nutzen könnte, um weiterzuarbeiten", erklärte er zu Ende und rieb sich müde die Augen.
Ich biss mir auf die Lippe und betrachtete ihn. Diese träge Mimik war mir schon den ganzen Tag aufgefallen.
"Vielleicht", begann ich und legte sanft meine Hand auf seinen Unterarm. Sein Blick fesselte mich. "Solltest du den Tag für die Arbeit und die Nacht für den Schlaf nutzen."
Er nickte lächelnd. "Ich kann mich einfach nicht von dem ganzen hier ablenken."
Überlegend sah ich auf den Laptop, dann grinste ich.
"Also wenn ich Ablenkung brauche, ist Tipp Nummer eins die Magie eines fesselnden Filmes."
Adrien lachte auf und nickte.
Sein Lachen erwärmte mein Herz.
"Na gut, ein Versuch ist es wert. Aber ich denke, ich brauche Hilfe bei der Auswahl ... und eventuell Gesellschaft?"
Seine Augen war bittend, fast schon flehend. Ich konnte nicht Nein sagen. Er hatte diesen Blick, der Eisberge hätte zum schmelzen bringen können.
"Okay, gut", entgegnete ich und wir standen auf.
Ich hatte eigentlich angenommen, dass wir im Wohnzimmer bleiben und den Film hier schauten würden, doch stattdessen zog mich Adrien in sein Zimmer hoch.
Unsicher stand ich in dem riesigen Raum und schlang meine Arme um meinen Oberkörper.
"Mein Bett beißt nicht", scherzte er und ich grinste kurz auf.
Als mein Kopf rüber schwenkte, überkamen mich einige Erinnerung unserer intimen Beziehung. Automatisch wurde ich rot, weshalb ich diese schnell abschüttelte.
Ich setzte mich auf die eine Seite und Adrien auf die Andere des Bettes. Zwischen uns war mindestens ein guter Meter Abstand.
Adrien öffnete seinen Laptop und suchte nach geeigneten Filmen. Ich rutschte näher zu ihm, um ihm über die Schulter zu schauen. Auch er kam mit entgegen und ließ mich auf den Bildschirm schauen. Sein Arm streifte dabei kurz meine Haut, was mein Körper sofort zu spüren bekam.
"Wie wäre es mit dem hier?", fragte Adrien und ich verzog mein Gesicht.
Er lachte und scrollte weiter. "Der?"
"Ein Horrorfilm, wirklich?"
Einleuchtend zog er eine Grimasse. Nach einigen Minuten lachte er plötzlich auf und senkte den Bildschirm.
Perplex sah ich ihn an. "Was ist so witzig?"
Adrien räusperte sich und zeigte mir den nächsten Vorschlag - Casablanca.
Ich presste die Lippen zusammen und unterdrückte ein Lächeln.
An dem Abend, als Adrien und ich uns das Erste mal geküsst hatten, schauten wir davor diesen Film.
In mir stiegen Erinnerungen auf, die mich rot werden ließen.
"Ich meine", räusperte ich mich und zuckte die Schultern. "Es ist immernoch ein guter Film."
Adrien überlegte nucht lange und startete ihn. Wir machten es uns etwas bequem und ließen uns von der klassischen Filmkunst berieseln.
Die erste Hälfte konnte ich mich gut auf den Film konzentrieren, denn ich liebte jede einzelne Stelle, doch seit der zweiten Hälfte merkte ich, wie Adrien mich für einige Zeit beobachtete - unauffällig, doch ich merkte es trotzdem.
Schließlich konnte ich mich auch nicht zurück halten und betrachtete ihn für kurze Zeit immer mal wieder. Es war fast so, als würden meine Augen von seinem Gesicht angezogen werden.
Plötzlich trafen sich unsere Blicke und sofort schlug mein Herz schneller.
Seine Augen fingen mich für den Moment und zogen mich irgendwie zu ihm. Meine Hände wurden schwitzig. Etwas, was ich nur bei ihm fühlte.
Wir waren uns mittlerweile so nah, dass ich seine Sommersprossen erkennen konnte, die sein Gesicht noch perfekter machten als er eh schon war.
Mein Atem ging flach, denn die Spannung zwischen uns sprühte schon fast Funken.
Adriens Blick senkte sich ganz leicht nach unten auf meine Lippen. Ich konnte nicht anders als seinen Mund zu betrachten. Der Mund, der mich seit der ersten Berührung, süchtig nach mehr gemacht hatte.
Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen konnte, lehnten wir uns fast gleichzeitig nach vorne und küssten uns.
Mein Verstand setzte auf einmal komplett aus und meine Gefühle durchstömten meinen Körper. Es schien fast so als würde ich ein Schalter umgelegt haben. Verstand aus, Herz an. Und ich folgte meinem Herzen.
Das Blut rauschte durch meine Ohren, meine Haare stellten sich auf und Gänsehaut setzte ein, der sich bis hoch zu meinem Nacken zog.
Adrien legte seine Hand um meine Wange und ich rückte noch näher zu ihm.
Die Emotionen, die ich gerade empfand, lenkten mein Handeln und es war vollkommen unkontrolliert.
Diese Nähe, die wir zueinander hatten, diese unterdrückten Gefühle, die wir fühlten - sie waren atemberaubend und expressiv. So überwältigend, dass ich nicht mehr aufhören könnte.
Adriens Arm zog mich näher zu sich, sodass ich mich auf seinen Schoß setzte und die Hände um seinen Nacken schlang.
Der Kuss war so leidenschaftlich, dass mir schon fast schwindelig wurde.
Er erfüllte mich komplett, denn davor merkte ich, dass irgendetwas fehlte.
Ich hatte keine Worte. Das brauchte ich auch nicht, denn die Taten sprachen für sich.
Jede meiner Körperzellen empfanden Genugtuung und Glückseligkeit. Etwas, dass ich so sehr vermisst hatte.
Es fühlte sich genau richtig an, obwohl so viel zwischen uns passiert war, und genau das war das Verrückteste daran.
Plötzlich knallte etwas dumpfes auf dem Boden auf und wir schreckten beide auseinander.
Wir sahen zur Tür, dann warf ich Adrien einen fragenden Blick zu. Er halt mir von seinem Schoß runter und stand dann auf. Leise öffnete er die Tür und spitze durch den Türspalt.
"Mist", fluchte er und ich setzte mich auf.
"Was ist?"
Er fuhr sich durch das Haar und öffnete die Tür ganz.
"Das kam aus Liams Zimmer", erklärte er flüsternd. "Seit der Entführung von Claire plagen ihn Albträume."
Ich runzelte die Stirn, denn ich hatte angenommen, dass die Kinder sich einer Entführung noch nicht im Klaren waren.
"Ich muss zu ihm ..."
Sein Blick war entschuldigend, und genau das schätze ich an ihm sehr.
"Natürlich", hauchte ich und nickte zustimmend. "Geh nur."
Danke lächelte er. "Du kannst hier bleiben, wenn du möchtest. Ich werde vermutlich die ganze Nacht bei ihm sein."
"Okay."
Er nickte nochmals und verließ dann den Raum.
Ich hielt für einige Sekunden die Luft an, dann entließ ich diese aus meinen Lungen und warf mich auf das Bett nieder.
Mein Verstand setzte langsam wieder ein und begriff, was gerade passiert war. Doch so oft ich auch darüber nachdachte, konnte ich nicht verstehen, wie es zu diesem Kuss kam und viel wichtiger, warum es sich so gut angefühlt hatte.  

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt