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Ich lächelte und winkte dem vorletzten Kind zu, bis die Tür mit einem Klacken ins Schloss fiel.
Tief atmete ich aus und lief zu Liam, der die letzten Bauklötze in die Schale räumte.
Wieder einmal war ich diejenige, die als Letzte den Kindergarten verlassen sollte, und wieder einmal war Liam einer der letzten Kinder, doch anstatt in Panik zu verfallen, wusste ich, dass Adrien in ein paar Minuten aufkreuzen würde.
Grinsend sah Liam mich an.
"Fertig", flüsterte er und ich nickte zufrieden.
"Ich denke, wir können langsam unsere Sachen holen, was meinst du?"
Liam nickte eifrig und eilte bereits in den Gang, wo sich alle Jacken und Taschen befanden.
Kurz holte ich meine Sachen aus dem Büro, schloss ab und lief zu Liam, der bereits seine Schuhe anhatte.
Schmunzelnd halt ich ihm in seine Jacke.
"Ich bin mir sicher, Adrien ist schon auf dem Weg", versicherte ich ihm und nickte zusätzlich.
"Oder ich bin schon hier", entgegnete eine tiefere Stimme hinter mir und die Tür fiel ins Schloss.
Mit einem Grinsen drehte ich mich zu ihm um.
Adrien war auf die Minute pünktlich.
Mit einem charmanten Strahlen lief er auf mich zu und legte einen Arm um meine Taille, um mich zu ihm zu ziehen.
"Hi", hauchte er und drückte mir sanft einen Kuss auf die Lippen, den ich nur zu gerne erwiderte. "Hey."
Liam verzog sein Gesicht und gab Würgereize von sich.
Wir lachten auf und lösten uns wieder voneinander.
"Hey, Kumpel", begrüßte Adrien auch sein Bruder und nahm ihm seine Taschen ab.
Währenddessen zog ich mir meine Jacke über und nahm meine Tasche in die Hand.
"Wie war dein Training?", fragte ich und holte meine Haare aus der Jacke.
Zusammen liefen wir zum Ausgang, sodass ich abschließen konnte.
Adrien zuckte mit den Schultern.
"Ich denke, ganz in Ordnung", murmelte er und überlegte. "Tristan hat sich leicht verletzt, aber das wird schon wieder."
Ich hob die Augenbraue.
"Wie ist das denn passiert?"
Adrien rümpfte die Nase.
"Ein paar Mitglieder der Lake Sharks sind überraschenderweise aufgekreuzt", erzählte er und ich sah ihn von der Seite aus an. "Die haben grundlos Stress gesucht."
Ich atmete aus und schüttelte den Kopf.
Auch, wenn sie die größten Konkurenten für Adriens Team sind, konnte ich nicht verstehen, warum sie sich außerhalb des Spielfeldes angriffen.
"Was haben sie denn gesagt?", fragte ich nach und strich mir eine Strähne hinter mein Ohr.
Adrien zuckte erneut mit den Schultern und seufzte.
"Nichts ausschlaggebendes", meinte er und sah mich dabei nicht an.
Ich runzelte kurz die Stirn.
Adrien log mich an.
Wieso? Der Grund musste doch wichtiger sein, als er behauptet hatte.
Ich beließ es trotzdem dabei.
"Soll ich dich mitnehmen?", wechselte er das Thema und ich winkte ab.
"Meine Mutter holt mich gleich ab", murmelte ich und lächelte.
Adrien nickte, trat einen Schritt auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Kopf.
"Wir sehen uns", zwinkerte er und ich nickte ihm zu.
"Bis dann", flüsterte ich und Adrien stieg in sein Auto, dann fuhr er los.
Ich sah ihn so lange hinterher, bis ich seinen Wagen nicht mehr sehen konnte.
Immer mehr fiel mir auf, dass Adrien etwas unehrlich zu mir war.
Ich konnte mir nicht einmal erklären, was ihn dazu verleitete, mir nicht die Wahrheit zu sagen.
Natürlich wollte ich ihn zu nichts drängen, aber ich verstand nicht, warum er nicht einfach ehrlich zu mir sein konnte.
Ich atmet aus und lief in Richtung Wald.
Okay, ich gebe es zu. Ich hatte Adrien ebenfalls angelogen, aber ich konnte ihm wohl schlecht erzählen, dass ich einen Wolf besuchen wollte.
Vorsichtig lief ich zur Stelle, wo Scàth und ich uns das erste Mal getroffen hatte.
Kurz schaute ich mich nach Zivilisten um, dann rief ich nach ihm, erst leise, dann immer lauter.
"Scàth?"
Meine Stimme hörte ich so unglaublich laut an. Es war mir schon fast unangenehm, denn es fühlte sich so an, als würde ich die ganze Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Nach ein paar Minuten trottete der Wolf mit einem zufriedenen Hecheln auf mich zu.
Automatisch lächelte ich auf und fiel ihm zur Begrüßung um den Hals.
Ich war froh, ihn wiederzusehen, es war lange her.
"Hey, mein Kleiner", wisperte ich und kraulte ihn. "Tut mir leid, dass mein Besuch immer weniger wird, aber es ist eine Menge passiert, seit ich das letzte mal bei dir war."
Der Wolf sah mir mit seinen bernsteinfarbenen Augen ins Gesicht.
In knappen Detail ratterte ich die ganzen Ereignisse runter.
"Aber jetzt bin ich froh, dass ich wieder etwas Zeit für dich habe", meinte ich und lächelte ihn an.
Sein Ohr zuckte leicht und sein Kopf legte er in meinen Schoß ab.
"Schon komisch, wie sich mein Leben verändert hat, oder?"
Meine Gedanken schweiften einfach so ab.
Vor Monaten war alles einfach so anders. Mein Leben hat sich um 180 Grad gewendet.
"Ich meine, ich habe dich getroffen, ...", zählte ich auf und fuhr durch sein pechschwarzes Fell. ", ... ich arbeite in einem Kindergarten und habe Adrien kennen gelernt."
Bei seinem Namen schaute mich Scàth kurz an.
Ob er ihn schonmal gesehen hatte? Immerhin wohnt Adrien ja im Wald.
"Naja, ich bin froh, dass ich meine 17 Jahre morgen glücklich abschließen kann", murmelte ich, doch Scàth richtete sich auf.
"Was ist?", fragte ich und schaute mich prüfend um, doch das Tier musterte mich stark. Mit einer Kopfbewegung schien er mir zu verdeutlichen, dass ich fortfahren solle.
"Ich ... ähm", überlegte ich kurz und setzte dann wieder an. "Morgen werde ich 18."
Es war so ein simpler Satz, doch Scàth schien ganz aus dem Häuschen. Er lief auf und ab.
"Scàth, beruhige dich", sprach ich auf ihn ein, was tatsächlich klappte.
"Das ist nicht wichtig dramatisches", erklärte ich ihm. "Nur meine Eltern und Joe habe ich es erzählt. Das bedeute, es ist nichts spektakuläres."
Klar, es war sicherlich nicht toll, Adrien nichts von meinem Geburtstag zu erzählen, doch dieser Tag war für mich nichts besonderes.
Scàth schnaubte und rollte seine Augen.
"Ich möchte nichts sonderlich großes daraus machen", fügte ich hinzu. "Es ist nur eine Zahl."
Scàth rümpfte seine Schnauze.
Er schien absolut nicht zufrieden damit, das sah man ihm an.
Aber was konnte er schon großartiges dagegen tun, er war ja nur ein einfacher Wolf, stimmt's?

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt