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Ob ich aufgeregt bin? Ja.
Vorbereitet? So halb, denn meine Gedanken sind eigentlich ganz wo anders, doch ich musste mein Bestes geben. Immerhin machte die Note der Präsentation eine Menge aus.
Ich sah zu Joe rüber, die mir zuzwinkerte, doch das senkte meine Aufregung nur so halb.
"Du schaffst das", murmelte sie und ich nickte leicht.
Vor Referaten und Prüfungen hielt ichmeine Anspannung eigentlich immer unter Kontrolle, doch bei dieser Präsentation war das nicht so - möglich, dass ich auch aufgeregt war, Adrien wieder zu sehen und ihm, mehr oder weniger, nahe zu sein.
Der Zusammenstoß vor zwei Tagen ließ mich nicht mehr los, und weil ich nun einmal bin, wie ich bin, kreisten meine Gedanken ständig über seine Worte - und seine leidenden Gesichtsausdrücke.
Ich musste sagen, dass es mich reizte zu erfahren, was dieses Geheimnis war, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilte. Immerhin war Adrien, auch wenn er nicht so über mich empfand, ein bedeutender Abschnitt in meinem Leben geworden.
Ich blinzelte als die Glocke läutete.
Joe begleitete mich zum Raum, doch sie blieb vor der Tür stehen und sah hinein.
"Ich drücke dir die Daumen, und lass dich von nichts und niemandem raus bringen, verstanden?"
Ich schmunzelte und nickte zusätzlich. "Danke."
Schwungvoll drehte ich mich um und lief zum Pult. Adrien sortierte seine Blätter, doch als ich am den Tisch trat, hielt er inne. Ich warf ihm kurz einen Blick zu, dann machte ich mich selber an meine Notizen.
Wir hatten uns nicht mehr getroffen geschweige denn richtig über die Präsentation gesprochen. Das war vielleicht nicht die beste Art diese Sachen zu regeln, aber ich hätte es nicht in einem Zimmer mit ihm alleine ausgehalten - wahrscheinlich wäre ich in Tränen versunken.
"Hey", flüsterte er ohne seinen Kopf zu heben, doch ich fühlte mich etwas überrumpelt.
"Hallo", hauchte ich zurück.
Komisch war es schon, dass wir uns verhielten, wie zwei Fremde. Wir hatten immerhin Monate lang eine intimere Beziehung miteinander geführt.
Meine Angst und Nervosität stieg als Mrs Potters den Saal betrat und uns viel Glück wünschte. Sie setzte sich in die letzte Reihe ganz nach hinten, richtete ihre Blätter und gab uns schließlich ein Zeichen, dass wir beginnen konnten, doch mir blieb plötzlich die Luft weg.
Ich hatte Angst, sogar große Angst, doch ich wusste nicht, warum. Die Präsentation war natürlich wichtig, aber so etwas hatte ich noch nie.
Alle Schüler starrten mich an, ihre Blicke durchbohrte mich regelrecht.
Das Ticken der Uhr wurde immer lauter und einfach unerträglich.
Adrien räusperte sich hinter mir und trat neben mich.
"Sterbehilfe", begann Adrien und schaute selbstsicher in die Runde. "Ein Thema für die meisten, von dem man sich meist distanziert ..."
Ich sah ihn unauffällig von der Seite aus an. Adrien übernahm meinen Part, obwohl er eigentlich nicht wusste, was er genau in der Einleitung sagen sollte. Er half mir, und das faszinierte mich etwas.
Dieser Mann hat mein Leben eine Zeit lang wirklich ins Schwanken gebracht, doch in diesem Moment erkannte ich sein altes Ich, sein normales Ich, wieder. Das Ich, in das ich mich verliebt hatte.
Ich blinzelte und atmete tief ein und wieder aus.
Der Rest der Präsentation verlief mehr oder weniger glatt, einige Stolperer, aber nichts, was grundlegend schlecht war.
Nach dem Klatschen der Schüler kam Mrs Potters schließlich zu uns. Bei dem Gong verließen alle den Raum, bis wir nur noch zu dritt waren. Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum. Ich machte mir eigentlich keine große Sorgen, doch mein Patzer am Anfang ließ mich unsicher werden. Adrien hatte mich nicht darauf angesprochen, ich traute mich ehrlich gesagt auch nicht, ihm zu danken.
"Ms Malone, Mr Black", räusperte sie sich und richtete ihre Brille. Sie studierte noch einmal ihre Notizen. "Das gewählte Thema war gut gewählt und grundsätzlich gut umgesetzt worden."
Sie ratterte einige Aspekte runter, die sie entweder sehr bewundernswert oder eher negativ empfand, schließlich übergab sie uns die Bewertungsbögen, doch die endgültige Note würde sie sich nochmal überlegen, weil sie noch die restlichen Präsentationen hören wollte.
"Ms Malone, sagen Sie, haben Sie Prüfungsangst?", richtete sie sich zuletzt an mich.
Etwas überrumpelt sah ich sie an. "Ich ... Ähm ... Nein, normalerweise nicht", flüsterte ich und blinzelte ein paar mal - ihr war es also aufgefallen.
Sie nickte langsam und wies auf Adrien.
"Wirklich gut reagiert, Mr Black. Sie sind wirklich ein eingespieltes Team", meinte Mrs Potters und verabschiedete sich, dann lief auch sie aus dem Saal.
Ich kramte meine Sachen zusammen, denn ich wusste nicht, warum ich länger hätte mit Adrien alleine im Raum bleiben sollte.
Ich griff nach dem Blatt rechts von mir, genauso auch Adrien und unsere Hände berührten sich einige Sekunden. Unsere Blicke kreuzten sich kurz. Seine Augen lagen auf meinem Gesicht, und ich könnte schwören, dass sie für einen Moment kurz aufglühten. Sofort zog ich meine Hand weg und räusperte mich.
"Tut mir leid, es ist dein Blatt", meinte ich, doch er hielt es mir hin.
"Nein, es ist deins", meinte er und ich nahm es dankend ohne ihm in die Augen zu sehen an, weil ich Angst hatte, mich in ihnen wieder zu verlieren.
"Sirina?", hauchte er, doch ich tat so, als hätte ich es nicht gehört und packte meinen Notizen ein. "Sirina."
Gänsehaut breitete sich aus, genauso wie ein warmes Gefühl in meiner Magengegend.
Ich hielt inne und wartete bis er fortfuhr, doch ich wusste, was er sagen wollte.
"Ich bitte dich mich anzuhören", flüsterte er, doch ich schüttelte leicht meinen Kopf. "Wir müssen nicht reden. Alles, was ich von dir will, ist dir den Grund zu erklären, wieso ich so verschlossen dir gegenüber war."
Ich atmete ein und hielt für mein paar Sekunden die Luft an.
Natürlich wollte ich es wissen, natürlich brauchte ich endlich Antworten, doch zu groß war die Angst ihm wieder zu verfallen.
"Adrien", meinte ich zaghaft, obwohl mein Ton wirklich nicht angemessen war- Ich hätte ihn anschreien können, ihn anfauchen, doch ich blieb überraschenderweise ruhig. Adrien stoppte seinen Monolog und sah mich mit seinen brauen Augen lange an.
Ich wusste noch immer, warum ich mich in diese Augen verliebt hatte. Ich erkannte, dass ich für ihn noch immer dasselbe empfand, wie am Anfang unserer Begegnung, aber was nützten mir diese Gefühle, wenn ich mir nicht sicher sein konnte, ob er mich wieder verarschen würde?
Ich ließ mir viel Zeit bei meiner Antwort und das merkte Adrien auch, denn ich konnte einen kleinen Funken Hoffnung in ihnen sehen - Hoffnung, die ich ihm endgültig nehmen würde.
"Ich kann ... nicht", hauchte ich und er atmete tief aus. "Du hast mir die schönsten aber auch die schlimmsten Momente gezeigt, die jemand in seinem Inneren mit sich bringt und dafür bin ich dir dankbar. Aber ich möchte so etwas nie, nie wieder in meinem Leben erleben."
Adrien presste die Zähne aufeinander. So sehr, dass sich seine Kieferknochen anspannten. Er hatte den Blick gesenkt.
"Ich habe dir unzählige Chancen gegeben, alles zu -" Adrien unterbrach mich. "Aber das hatte seine Gründe! Lass es mich dir bitte erklären, du wirst es verstehen, wenn du mir nur zu-"
"Nein", erhob ich meine Stimme und brachte ihn damit entgültig zum Schweigen. Seine Augen schrien förmlich, dass ich ihm endlich zu hören solle. Sein Gesichtsausdruck zeigte ein unterdrücktes Wimmern, das mich für einige Sekunden erstarren ließ.
"Es ... es ist zu spät, Adrien", entgegnete ich selbstsicher und blinzelte ein paar mal, denn dieses Gespräch war wie ein zweiter, endgültiger Schlussstrich für mich. Ich brauchte ihn einfach, um mit meinem Leben weiter machen zu können. "Und das weißt du."

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt