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"Und dann hat er seine Sachen gepackt und ist gegangen", erzählte ich Joe am Telefon, während ich schon zum dritten Mal in meinem Schmuckkästchen nach meinem Armband suchte.
"Kein Abschiedskuss, nicht mal eine Umarmung?", fragte sie ungläubig nach. Seufzend rollte ich meine Augen und setzte meine Suche im Bad fort.
"Joe, da ist nichts gelaufen, auch nicht, wenn ich es dir zum hundertsten mal erzähle", entgegnete ich lächelnd, doch meine Laune zog sich runter, als ich meine Armband immer noch nicht fand.
"Du willst mir also ernsthaft sagen, dass der hübscheste Junge der Schule bei dir zu Hause war und ihr an eurer Präsentation gearbeitet habt, ohne dass etwas zwischen euch passiert ist?", wiederholte sie ungläubig.
"Allerdings", schmunzelte ich über ihre Reaktion, doch ich ließ das Treffen nochmal Revue passieren.
Um ehrlich zu sein, hatten wir die meiste Zeit still verbracht, der eine hatte im Internet recherchiert, während der andere in Büchern gestöbert hatte, doch das einzig komisch war, dass ich manchmal die unauffälligen Blicke von Adrien auf mir spürte.
Genauso aber konnte ich nicht anders, als ihm Blicke zuzuwerfen, dabei versuchte ich es nicht ganz so auffällig zu machen, wie sonst immer.
Kurz schüttelte ich meinen Kopf, somit die Erinnerung ab und widmete mich wieder meinem Armband. Ich versuchte es jetzt nochmal in meinem Zimmer.
"Wäre ich an deiner Stelle, hätte ich ihn längst angebaggert", gab Joe zu und kicherte.
"Du kannst ihn gerne haben", bot ich ihr an, da es zwischen uns nie soweit kommen würde. Ich meine, warum in Herrgottesnamen sollte Adrien sich von Claire trennen, wenn sie ein perfektes Traumpaar abgaben und sie für ein 0815 Mädchen stehen lassen?
"Ne, der ist nichts für mich! Irgendwann kommt schon der Richtige und dann werde ich zuschnappen", erklärte sie mir und ich musste lächeln.
Wenn es nur so leicht zu erkennen wäre, seinen Partner zu finden!
Seufzend ließ ich auf einen meiner Sessel nieder und fuhr mir durch mein Haar.
"Was ist los?", fragte meine Freundin mich etwas besorgt.
"Ich suche bereits seit Stunden mein goldenes Armband, dass mir meine Großmutter vererbt hatte, und jetzt finde ich es nicht mehr", murmelte ich etwas genervt über mich selber.
"Mom, hast du vielleicht mein Armband gesehen?", schrie ich durch die Tür und hoffte auf eine Antwort.
"Wo hast du es das letzte mal getragen?", rief sie von unten rauf.
Kurz überlegte ich, doch ich erinnerte mich nicht, da ich bereits so an das Armband gewöhnt war zu tragen und gar nicht mehr darauf achte, ob es an meinem Handgelenk war oder nicht.
"Wann hattest du es das letzte mal wirklich gesehen?", fragte mich Joe, um mir zu helfen.
"In der Schule hatte ich es nich ganz sicher, im Bus auch, genauso wie immer Kindergarten", überlegte ich laut und ließ sie daran teilhaben.
"Und was hast du dann gemacht?", fragte sie weiter.
"Na, ich bin nach Hause -", fing Ich an zu erzählen, stockte aber kurz danach.
Ich war nicht gleich nach Hause gegangen, ich war im Wald und bin einem großen Wolf begegenet.
Vielleicht hatte ich es dort verloren ...
Plötzlich riss ich die Augen vor Schreck auf.
Ich hatte es dort verloren, da ich beim Duschen mein Armband nicht mehr hatte.
"Oh nein", flüsterte Ich leise, völlig in Gedanken versunken.
Ich musste nochmal zurück in den Wald, obwohl ich mir fest versprochen hatte, nie wieder tiefer in den Wald zu gehen. Immerhin hatte ich da den Wolf getroffen, der mich angeknurrt und fast getötet hatte.
"Sirina? Sirina! Hallo? Was ist?", holte mich meine Freundin wieder in die Realität.
"Äh, ja!", stammelte ich. "Ich muss los." Dann legte ich auf, ohne auf eine Antwort von Joe zu warten.
Kurz warf ich einen Blick auf meine Wanduhr. 15.07 Uhr
Ich schnappte mir meine Tasche und rannte die Treppen runter.
Meine Eltern waren gerade eben zur Tür raus und Tyler war in seinem Zimmer, doch er scherte sich nicht um mich.
Schnell ging ich in die Küche und zog eine Schublade auf. Das scharfe größere Messer blitze auf und sah irgendwie gefährlich aus.
Zögerlich streckte ich meine Hand nach dem Messer aus, wickelte es vorsichtig in Rüchenpapierrolle und steckte es in meine Tasche.
Meine Schuhe, genauso wie meine Jacke zog ich in Windeseile an, nahm meine Schlüssel und zog die Tür hinter mir zu.
Auf den Bus musste ich ebenfalls nicht warten, zu meinem Glück. Ich wollte es einfach schnell hinter mich bringen, um den Ort zu vergessen.
Kaum hielt der Bus an meiner Haltestelle, schon sprang ich raus in die Kälte.
Es war Anfang Februar und der Winter war bereits am Ende seiner Kräfte, trotzdem war es sehr kalt.
Meine Lungen füllten sich mit der kühlen Luft, sodass ich mich tiefer in meinen Schal kuschelte.
Ein Fuß nach dem anderen setzte ich auf dem Boden, und kurz danach befand ich mich bereits im Wald. Die Sonne versuchte ihr bestes, allerdings hielten die Äste und die wenigen Blätter die Wärme davon ab, mich zu erreichen.
Ich wurde immer nervöser und schaute mich häufiger um, aber kein Wolf war zu sehen. Mit jedem weiteren Schritt kam ich der Abzweigung näher, jedoch wollte ich es einfach hinter mich bringen.
Die Kreuzung kam und ich bog nach links ab, kurz danach kamen die zwei Felsen und mein mulmiges Gefühl verstärkte sich.
Diesmal landete ich sicher auf der anderen Seite, ohne mir die Hand aufzuschürfen.
Einen kurzen Moment schaute ich mich um, doch ich fand keinen Wolf vor, nur die unglaublich schöne Aussicht und sofort stieg in mir Trauer auf, da ich diesen Ausblick nie wieder sehen würde.
Allerdings reiste ich mich zusammen und ging in die Hocke, um zu suchen anzufangen.
Es kam mir vor wie eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den ganzen Platz absuchte, obwohl dieser nicht allzu groß scheint. Dennoch ich das goldenen Armband sehr filigran und somit auch schwer zu finden.
Das Rascheln eines Busches riss meine Aufmerksamkeit von dem Boden. Sofort stieg in mit ein mulmiges Gefühl auf und ich wusste, dass es der Wolf gewesen war.
Aber waren Wölfe nicht eigentlich nur nachts unterwegs?
Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser konnte ich meine Nervosität unterdrücken. Allerdings sorgte das Knacken von Zweigen nicht gerade für positive Auswirkungen.
Meine Hände krallte sich an meine Tasche, immer griffbereit zum Messer, das ich hoffentlich nie einsetzen würde.
Wieder ein Reiben der kleinen Steinchen, doch dieses Mal lauter und irgendwie näher an mir.
Plötzlich war mein Hals trocken und meine Kehle wie zugeschnürt, meine Hände wurden schwitzig und ich merkte, wie mein Puls in die Höhe stieg.
Warum bin ich überhaupt so dumm, und komme nochmal zurück?
Das Rascheln wurde lauter, und das  aufgerechnet von dem Busch, der mir direkt gegenüber stand.
Plötzlich sah ich zwei bernsteinfarbende Augen, die durch den Busch leuchteten, was mich dazu brachte, das Messer aus der Tasche zu ziehen und es vor mir zu halten.
Mein Atem ging schnell, genauso wie mein Puls. Meine Hände waren schwitzig vor Nervosität und Angst, doch ich versuchte ruhig zu bleiben und den Wolf nicht aus den Augen zu lassen.
Langsam und fast lautlos kam er aus dem Busch auf mich zu. Sein Maul ziehrte ein gefährliches Zähnefletschen und lautem Knurren.
Seine gelben geheimnisvollen Augen hatte mich fest im Blick.
"Bitte bleib stehen! Ich will dir nicht weh tun", rief ich mit zittriger Stimme, doch er ging weiter zielstrebig auf mich zu.
Das Messer in meiner Hand wurde rutschiger, doch ich hielt es immernoch fest genug, um es im Notfall einsetzten zu können.
Der Wolf kam immer näher und so langsam packte mich die Panik, obwohl ich mir Mut zusprach.
"Stopp!", entgegnete ich schließlich mit fester Stimme, und tatsächlich blieb er einen Meter vor mir stehen, immernoch nah genug, um mich angreifen zu können.
Ich war so erleichtert, dass mein Atem sich etwas beruhigte und ich Luft holen konnte.
Erst jetzt aber merkte ich, dass der Wolf gar nicht mich fixieren zu schien, sondern das Messer, welches ich in meiner rechten Hand fest umschlossen hielt.
Stirnrunzelnd schweifte meine Hand nach links und tatsächlich folgte der Blick des Wolfs dem Messer, das er immernoch anknurrte. Vorsichtig schwenkte ich meine Hand nach rechts, auch hier hatte der Wolf nur Augen für das scharfe Werkzeug.
Aus Reflex ließ ich es neben mir fallen und somit stand ich unbewaffnet vor ihm. Der Wolf schaute zuerst das Messer am Boden an, dann hob sich sein Kopf zu mir, sein Blick war jedoch dennoch gefährlich.
Warum war ich eigentlich so dumm, und werfe die einzige Waffe weg, um mich zu verteidigen?
Doch nach ein paar Sekunden leckte er sich über seine Schnauze und sah mich unschuldig an, ohne gefletschte Zähne.
Meine eine Augenbraue hob sich und schaute das Tier irritiert an, und plötzlich verflog meine Angst.
Er schaute mich schief von oben bis unten an, bis sein Blick an der Mitte meines Körpers stehen blieb. Unsicher folgte ich seinem Anblick und realisierte, dass er meinen Verband an meiner rechten Hand beobachtete.
Kurz wechselte ich einen Blick mit dem Wolf, dann zog ich den Verband an einer Seite ein Stück nach unten, sodass sich die Wunde zeigte.
Was mache ich hier eigentlich?
Plötzlich machte der Wolf einen Schritt auf mich zu, sodass ich aus Angst zusammen zuckte, dennoch ließ er sich nicht davon irritieren und kam mir so nahe, dass seine Nase fast meine Hand berührte.
Ganz vorsichtig stupste er meine Hand an, sodass ich sie zögerlich öffnete. Nach einem kurzen Blick auf die Wunde, leckte er meine Finger ab.
Sein Kopf schob er unter meine Hand, sodass sie das weiche dunkle Fell berührte. Vorsichtig strich ich über seinen Kopf runter zu seinem Rücken sein Fell entlang.
"Das wird mir keiner glauben", flüsterte ich erstaunt und streichelte den Wolf auch mit meiner linken Hand.
Plötzlich sprang er auf mich drauf, wodurch ich mit einem Klatschen auf dem Rücken auf den Boden knallte.
Auf meine Wangen spürte ich etwas nasses und als ich meine Augen öffnete, realisierte ich, dass das Tier mich gerade ableckte.
Angewidert wischte ich mir den Speichel von meinem Gesicht und rutsche nach oben, sodass sich mich hinsetzten konnte, genau wie der Wolf es tat.
Seine bernsteinfarbenen Augen folgten jeder kleinsten Bewegung, die ich machte, so als würde er mein Verhalten studieren.
Plötzlich riss mich ein Klingeln aus meiner Beobachtung, was mich aufschrecken ließ, genauso wie das Tier. Ich nahm mit meine Tasche und griff schnell nach meinem Handy.
"Sirina? Schatz, wo bist du?", fragte meine Mutter besorgt.
"Ich bin im -", begann ich zu erklären, als mir klar wurde, dass ich die Begegnung mit einem zwei Meter großen Wolf lieber nicht erwähnen sollte. "- Kindergarten."
Ich verzog mein Gesicht, weil ich es hasse meine Mutter anzulügen und sie es vermutlich schnell herausfinden wird, doch ich konnte mein besonders Zusammentreffen weder meiner Mutter noch irgendjemanden anderen erzählen.
Sie würden mich nie wieder alleine irgendwohin gehen lassen ...
"Und hast du sie gefunden?", fragte meine Mom nach, als ich lange Zeit anscheinend nichts mehr gesagt hatte. "Nein, leider nicht", gab ich an und sah kurz rüber zu dem Wolf, der mich mit seinen goldenen Augen beobachtete.
"Könntest du dich dann beeilen, nach Hause zu kommen? Du weißt doch, dass ich noch Hilfe brauche mit den Anzeigen", erklärte sie schnell.
Meine Mutter half freiwillig Arbeitslosen einen Job zu besorgen, weil sie nicht mit ansehen konnte, dass Menschen nicht arbeiten konnten, obwohl sie es wollten. Obwohl sie sich freiwillig gemeldet hatte, musste Tyler, aber meistens ich ihr aushelfen, weil sie alleine nicht zurecht kommt und es sehr viel Zeit beanspruchte.
Deswegen konnte ich mich wohl nicht so sehr mit anderen Hobbys beschäftigen ...
"Ja, ich mache mich gleich auf den Weg", murmelte ich seufzend, aber so, dass sie mich nicht hören konnte, doch der Wolf legte seinen Kopf etwas schief und seine Augenbrauen zogen sich so zusammen, dass es aussah, er würde seine Stirn runzeln.
"Gut, dann sehen wir uns", verabschiedete sie sich und legte kurz danach auf, sodass die Leitung still war. Ich murmelte noch ein 'Bye' und legte mein Handy in meine Tasche.
Der Wolf schaute mich mit seinen strahlenden Augen fragend an, so als würde er erwarten, dass ich ihm genau erzähle, wer angerufen hat und warum.
"Es tut mir leid, aber ich muss gehen", flüsterte ich leicht traurig, weil ich mir vorstellen konnte, ihn nie wieder zu sehen, was mir doch einen kleinen Stich ins Herz versetzte.
Ich zog meine Tasche zu mir, stand auf und klopfte mir den Dreck von meiner Hose, während das Tier jede meiner Bewegungen verfolgte.
Lächelnd schaute ich ihn an, genauso wie er mich, dann machte er einen Schritt auf mich zu und  rieb seinen Kopf leicht an einem Knie.
Meine Hand strich automatisch über sein  weiches dunkles Fell.
"Wir sehen uns, -", murmelte ich leise und kraulte ein letztes Mal sein Ohr. " Kleiner.", schmunzelte ich und bewegte mich Richtung Felsspalte.
Es fühlte sich an, wie ein Traum, doch der kühle Abendwind, der mir durch meine dunklen Haare blies, sorgte dafür, dass es die Realität war, die gerade passierte.
An mein Goldenes Armband hatte ich allerdings keinen einzigen Gedanken mehr verschwendet ...

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt