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Meine Hände berühren meine Lippen und hielten den letzten Moment mit Adrien fest.
Keine Ahnung, wie lange ich so regenslos da stand - es hätten Minuten oder Stunden sein können.
Ich konnte und wollte mich nicht in die Realität zurückfinden. Es würde für mich bedeuten, dass Adrien tatsächlich fort war, und das womöglich für immer.
Ein Knall von draußen ließ mich aufzucken. Schließlich konnte ich mich nicht mehr in meine Gedankenblase zurückbegeben, also lief ich vorsichtig an das Fenster neben der Eingangstür.
Vor Schock stolperte ich nach hinten. Die Siedlung war vollkommen verwüstet, in Häuser würde eingebrochen, eine Menge fremder Männer griffen die Bewohner an, es war schrecklich.
Plötzlich trat jemand vor die Eingangstür und klopfte heftig. Vor Schreck zuckte ich zurück und trat einige Schritte zur Seite, doch in der Fensterscheibe sah ich, wie ein stämmiger Mann mich entdeckte.
Mit Schwung trat er die Tür ein als wäre die aus Pappe. Ich hielt mir die Ohren zu, denn der Lärm war unerträglich.
Der Mann wirbelte umher und sah mich für einen kurzen Moment an, dann rannte er auf mich zu.
Aus Überlebensreflexen lief ich ohne zu zögern tiefer in das Haus und versuchte die Tür zu Adriens Schlafzimmer zu zu drücken. Der Mann warf sich allerdings mit so einer gewaltigen Kraft dagegen, dass ich nach hinten taumelte und auf das Bett fiel.
Er packte mich zuerst am Hals und versuchte meinen Kampfgeist zu unterdrücken, doch mein Ellenbogen stieß ein oder zweimal heftig gegen sein Arm, sodass dieser kurzzeitig einknickt und ich ihn von mir stoßen konnte.
Sein Blick verriet, wie überrascht er war, doch darüber konnte ich mir keine weiteren Gedanken machen.
Adrenalin rauschte durch meine Ohren. Ich konnte gar nicht anders als loszulaufen, dabei sah ich das Ausmaß der Zerstörung in der Siedlung.
Es war schlimmer, als ich angenommen hatte.
Ich war so angelenkt, dass ich direkt einem anderen Mann in die Arme lief, der seine Chance nutze und mich mit seinen starken Armen festhielt.
"Lass mich los!", fauchte ich ihn an, doch er blieb weiter in seiner Position - vielleicht drückte er sogar noch etwas mehr zu.
Ein anderer Mann kam ihm zur Hilfe. Beide brachten mich zu einer alten riesigen Eiche, gleich neben der Villa. Sie bindeten mir ein Strick um die Hände, welches sie an einem Ast befestigen.
Ich sah mich um.
So viele Leute verloren gerade ihr zu Hause, ihre Heimat, in der sie sich einst sicher gefühlt hatten.
Sie kämpften um ihr Leben und versuchten dabei jedes einzelne Mitglied des Rudels zu beschützen.
Mir bahnten sich Tränen in die Augen.
Das alles tat mir so unendlich leid, dabei konnte ich nicht einmal etwas für die Zerstörung. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie schuldig. Ich wollte doch auf keinen Fall, dass jemand zu schaden kommen könnte, nur weil Adrien und ich zusammen sein wollten.
"Sirina."
Mein Körper erstarrte für einige Sekunden. Ich wischte mir die Träne von der Wange.
Mein erster Instinkt war es, Claire anzugreifen, doch ich blieb ruhig und drehte mich zu ihr um.
Begleitet von einer Frau und einem Mann, hielt sie vor mir und sah mich belustigt an.
"Wie ein Hund an der Leine", kommentierte sie mit einem Grinsen auf den Lippen, doch ich blieb regungslos.
"Sieht wohl so aus als würde das kleine Dorf von Adrien untergehen, was meinst du?"
Sie wandte sich mir ab und betrachtete das Chaos.
"Wie kannst du nur so grausam sein und ihnen alles nehmen, was sie sich mühselig aufgebaut haben?", fragte ich und versuchte mich aus dem Seil zu befreien, was mir allerdings misslang. Stattdessen bohrte sich das Strick nur noch mehr in meine Haut und rieb sie auf.
"Das klingt ja fast so, als würdest du dich um sie sorgen", entgegnete sie und sah mich wieder an. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du ein Teil von ihnen bist."
"Ich kann mich auch nicht erinnern, dass du jemals einer von ihnen warst", konterte ich süffisant.
Ihr Blick wandelte sich in puren Hass um. Ich sah, wie sie versuchte die Kontrolle zu bewahren.
Unser Gespräch wurde durch einen Aufschrei unterbrochen.
Ich sah mich im und erkannte eine Frau, die heftig gegen einen Mann einschlug. Sie weinte bitterlich. Auf der anderen Seite stand ein kleiner Junge, der ebenfalls Tränen vergoss, er wurde von einer anderen Frau weggeführt.
Ich wusste, dass die andere Frau um ihr Kind kämpfte, doch sie hatte gegen den großen Mann keine Chance.
Tränen stiegen mir erneut auf.
Wie konnten sie alle dabei zu sehen, wie einer Mutter ihr eigenes Kind entrissen wurde?
Plötzlich wurde der Zug des Seils leichter und ich wusste auch, warum.
Ein jüngerer Mann, der zu Adriens Rudel gehörte, schnitt mit einem mal das Strick durch und ich rannte los.
Meiner Reflexe wegen lief ich der Frau hinter her, die das Kind weg führte, doch mit einem heftigen Rückstoß, fiel ich auf meine Knie.
Claire hatte sich auf das Seil gestellt und zog mich damit zu sich.
Ich versuchte mich zu wehren, indem ich weiter lief, doch sie war zu stark.
"Wieso verdammt tust du das?", schrie ich sie an und schüttelte den Kopf.
"Wieso?", wiederholte sie ungläubig und schnaubte. "Wieso ich das tue?"
Ihr Blick wurde hasserfüllt.
"Du hast mir alles genommen in meinem Leben, was ich mir aufgebaut und erträumt habe. Du hast mir nicht nur Adrien, sondern auch die Zukunft mit ihm weggenommen. Du hast mir sogar die Stellung als Luna versaut", fuhr sie mich wütend an und trat nah an mich heran.
"Es ... es tut mir wirklich leid, aber dass ist immernoch eine Sache zwischen uns zwei, dir und mir. Die Anderen haben nichts damit zu tun", entgegnete ich aufgeregt und blickte herum.
Sie presste die Zähne aufeinander, um die Kontrolle zu bewahren.
Sie hob die Hand und alle, selbst die Mitglieder aus Adriens Rudel, hielten inne.
Ich wusste nicht, wie sie das gemacht hatte, aber es war beängstigend.
Sie packte mich dann am Hals. Mit einer unmenschlichen Kraft hob sie mich nach oben, bis meine Zehenspitzen nur noch den Boden streiften.
Sie schnürrte mir die Luft ab, während ich um Sauerstoff rankte.
Die Situation erinnerte mich an dem Tag, als Claire mich in der Schule angegriffen hatte. Es war schrecklich.
"Spiel' nicht die Heldin, wenn du das Potential nicht hast", flüsterte sie, doch es war laut genug, damit es alle hören können.
Claire warf mich auf den Boden und ich brach zusammen. Gierig nahm ich die Luft auf, die mir fehlte.
Die Stelle, an der mich sie mich würgte, pochte wie verrückt.
"Steh auf", sagte sie zuerst ruhig, doch als ich ihrer Aufforderung nicht folgte, schrie sie mich erneut an. "Steh auf!"
Ich biss die Zähne zusammen und stellte mich auf meine wackligen Beine.
Beim Hosenabklopfen sah ich mich um.
Alle starrten uns wie gebannt an. Als wären wir Löwen in einem Käfig, die sich gegenseitig angriffen.
Meine Hand stoppte an meiner Jackentasche und ich hielt inne.
Und plötzlich kam mir eine Idee, die mich entweder retten oder umbringen würde.
"Hat dir Adrien eigentlich erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man seine richtige Seelenverwandte küsst?", fragte ich ohne Kontext und sah sie mitfühlend an.
Claire war zuerst irritiert, dann sauer.
"Oder wie es sich anfühlt, wenn Seelenverwandte sich berühren?"
Ich wusste, dass ich sie rasend machen würde, und genau das war es, dass ich wollte.
"Adrien und ich sind Seelenverwandte", fuhr sie mich an, doch ich lachte sie nur aus.
In ihren Augen sah ich puren Zorn.
"Ich denke eher nicht", lächelte ich arrogant und verschränkte die Arme. "Deswegen hat er doch mit dir Schluss gemacht, oder nicht?"
Sie presste die Zähne zusammen. Ihr Hand bildete eine Faust, um ihre Wut zu bändigen.
"Er konnte dich ja nicht einmal markieren! Das muss wirklich schwer gewesen sein."
Sie wandte kurz den Blick ab, denn was ich zu ihr sagte, war nur die Wahrheit.
"Sag mal, Claire, wie fühlt es sich an die zweite Wahl zu sein?" Sie knurrte much lautstark an. "Oder nicht markiert zu sein?", fügte ich leise hinzu und Strich mir eine Strähne hinter mein Ohr.
Sie wusste nicht, dass ich log, denn eigentlich müsste sie nur die Bissmale an meinem Hals überprüfen, um zu sehen, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
Von Zorn geblendet nahm sie aber alles so hin, wie ich ihr die Lüge auftischte.
"Lauf", flüsterte sie.
Ich wusste, dass ich aus der Situation nicht unbeschadet heraus kommen würde, doch solange mein Plan aufging, war mir das egal.
Ich drehte mich um und rannte los.
Natürlich war Claire schneller als ich. Sie packte mich am Nacken und warf mich einmal quer durch die Siedlung.
Mit einem Knall landete ich auf der Heckscheibe eines Wagens.
Der Krach war ohrenbetäubend.
Mir raubte der Schmerz kurzzeitig die Luft aus den Lungen, bis ich nach einigen Momenten wieder atmen konnte.
Ich merkte, wie ich mir eine Rippe gebrochen und den Kopf so hart aufgeschlagen hatte, dass mir schwindelig wurde. An meiner Schläfe lief mein Blut in die Haare. Dennoch überlebte ich es.
Zischend sog ich die Luft ein. Der Schmerz drückte mich runter, denn alles, was ich wollte, war dass es aufhörte, doch mein Wille ließ mich aufstehen.
"Du hättest Adriens zufriedenes Gesicht sehen sollen als er mich markiert hatte", warf ich ein und Claire schlug mir ins Gesicht.
Der Schmerz war so überraschend heftig, dass ich nach hinten taumelte.
Mir floss Blut aus der Nase, das ich mir sofort wegwischte.
"Oder nachdem wir miteinander geschlafen hatten", fügte ich hinzu.
Das war der Punkt, der Claire zum ausrasten brachte.
Sie legte den Arm um meinen Hals und begann mich zu würgen.
Hilfesuchend sah ich mich um, doch keiner machte auch nur einen Schritt auf mich zu, um mir zur Hilfe zu kommen.
Stattdessen warf ich meinen Kopf in den Nacken und traf sie heftig an der Stirn, sodass sie zu bluten anfing.
Ich nutzte meine Chance und rannte einfach los. Irgendwo tief in den Wald hinein.
Kurz stütze ich mich an einem Baum um mich auszuruhen.
Ich hielt mir meine gebrochene Rippe, denn der Schmerz wurde von jeder  Minute zu Minute unerträglicher.
Stoßweise atmete ich aus und ein.
Claire schubste mich an der Schulter plötzlich nach hinten und zog mich zu Boden.
Sie fixierte meine Arme über dem Kopf, sodass der Schmerz mich an meiner Stelle meiner zertrümmerten Rippe durchflutete.
Ich schrie kurz auf, doch presste die Zähne zusammen. Ich konnte Claire nicht ihre Genugtuung geben.
"Du Miststück", fauchte ich sie an und sie grinste.
"Was hast du gesagt?"
Ihre Faust schlug gegen meine gebrochenen Knochen und ich wimmerte Schmerzen erstickt auf.
Das Einzige, was ich jetzt brauchte, war Ruhe.
"Ich habe 'Miststück' zu dir gesagt", wiederholte ich und schlug mit dem Knie gegen ihre Rippen.
Sie krümmte sich kurz vor Schmerz, doch das reichte aus, um sie von mir zu stoßen und mich auf sie zu rollen.
Meine Hände versuchten ihre Arme festzuhalten, allerdings war Claire so stark, dass sie mich wieder auf den Rücken warf.
Ich schnappte schmerzvoll nach Luft. Alles tat mir weh, doch ich musste so lange durchhalten wie es nötig war. Langsam und qualvoll robbt ich zu einem Baum rüber. Claire stand auf und lief auf mich zu.
"Sollen wir mal schauen, wie stark eure Bindung wirklich zueinander ist?", fragte sie rhetorisch und lächelte mich gehässig an.
Ich erschauderte bei ihrem Blick. Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, fasste sie an meinen linken Unterschenkel und drückte mit einer so heftigen Kraft auf mein Bein, dass ich spüren konnte, wie der Knochen in zwei Teile brach.
Ich schrie mit Tränen in den Augen auf.
Es war das Qualvollste, dass ich je physisch erlebt hatte. Ich konnte mein Leid nicht einmal mit Worten beschreiben, so sehr brannte sich der Schmerz in meinem Körper ein.
"Wieso", hauchte ich mit Tränen erstickter Stimme und wimmerte auf, "tust du das?"
Claire grinste. "Das war nur ein Bruchteil, den ich gespürt hatte, als Adrien mich für dich sitzen lassen hat."
Ich schluckte und atmete stoßweise ein.
"Du bist so auf ihn fixiert, dass du nicht einmal verstehst, dass ich nur dein Sündenbock bin", flüsterte ich und presste die Lippen aufeinander.
Claire sah mir in die Augen, denn sie wollte mich herausfordern. Ich hielt ihrem Blick stand.
"Ich bin nicht das Problem, sondern du selber. Und das weißt du auch."
Sie wirkte verunsichert, denn ihre Mimik änderte sich leicht.
Das war meine Chance, sie zu brechen. Und ich würde sie nutzen.
"Du liebst Adrien nicht, du liebst die Vorstellung in deinem Kopf", begann ich zu erzählen. "Du wusstest, dass du niemals Adrien für immer an deiner Seite haben konntest, weil du von Anfang an, nur an dich gedacht hast."
"Hör auf", murmelte Claire leise und schloss gequält die Augen.
"Du warst so egoistisch, dass du tatsächlich der Meinung warst, alles und jeder läge dir zu Füßen. Und nur, weil ich nicht nach deinem Muster spiele und du mich nicht kontrollieren kannst, greifst du mich an."
Ich spuckte die Worte förmlich aus.
Claire fing an nachzudenken, und dabei fiel ihr auf, dass jedes einzelne Wort stimmte.
"Du bist diejenige, die alles immer wieder kaputt ma-", fuhr ich fort, doch sie packte mich an der Kehle und drückte mich zu Boden. Ich blinzelte einzelne Tränen weg.
"Hör auf, oder ich reiß dir deine Stimmbänder raus!", fauchte sie mich an.
Auch wenn ich das vermutlich nicht überleben würde, blieb mir keine andere Wahl als weiterzumachen.
"Lüg' dich einmal nicht selber an, Claire. Du weißt, dass ich Recht habe."
Ich beobachtete sie dabei, wie sie sich innerlich gegen die Vorwürfe sträubte.
"Auch Adrien hat dieses narzisstische Verhalten in dir gesehen", hauchte ich nur noch, weil mir die Luft ausging.
Vor mir tanzten vereinzelt Sterne auf. Immer wieder wurde mir für einen kurzen Moment schwarz vor Augen, doch ich riss mich zusammen.
"Ich weiß, was du versuchst. Du willst mich verunsichern, mich brechen, aber du kannst es nicht, Sirina", entgegnete sie.
Ich konnte kein einziges Wort mehr herausbringen. Meine Kraft trübte vor sich hin. Zwar versuchte ich gegen den Drang, aufzugeben, anzukämpfen, doch mir schien die Lösung, loszulassen, immer einfacher.
Kurz bevor ich tatsächlich mein Bewusstsein verlor, strömte erneut Luft durch meine Lungen.
Ich brauchte einige Momente, um wieder etwas Energie tanken zu können.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie ein dunkler, fast schwarzer Wolf mit einem hellbraunen Wolf kämpfte.
Zuerst dachte ich, dass es Scàth sei, doch an der Haltung und seinem Verhalten erkannte ich, dass es wohl Claire sein musste.
Das andere Tier hatte ich noch nie zuvor gesehen. Möglich, dass es einer der Mitglieder von Adriens Rudel war, doch dafür kannte ich sie zu wenig.
Trotzdem war ich dem Wolf unendlich dankbar, immerhin rettete er mir vermutlich gerade das Leben.
Wirklich konzentrieren konnte ich mich auf den Kampf allerdings nicht. Meine Augen fielen mir andauernd zu. Vermutlich, weil mein Körper einfach nur nach Ruhe rief, aber ich konnte nicht aufgeben, noch nicht.
Ich beobachtete die beiden Tiere, und dabei vielen mir die grünlich schimmernden Augen auf, die der hellbraune Wolf hatte.
Sie strahlten so viel Vertrauen zu mir aus, dass ich ihn weiterhin betrachtete.
Diese Augen ...
Ich kannte sie, ich wusste nur nicht, wem ich sie zuordnen musste.
Und mit einem mal, machte es Klick.
"Joe?", flüsterte ich schwach und der Wolf drehte sich tatsächlich zu mir um.
Sein Blick war voller Empathie.
Der Kontakt brach ab, nachdem der dunkle Wolf ihn gegen einen Baum rammte.
Das Aufjaulen war ohrenbetäubend. Dann folgte Stille. Zuerst dachte ich, dass Claire den anderen Wolf so sehr verletzt hatte, dass er tot war, doch dann zuckte er kurz auf.
Erleichtert atmete ich aus.
Ich verlagerte meinen Körper auf die Seite und versuchte mich vorwärts zu robben.
Wenn es wirklich Joe war, dann wollte ich ihr unbedingt helfen.
Ein lautes Knurren ließ mich aufzucken. Ich hielt inne.
Langsam sah ich mich um, doch ich konnte den dunklen Wolf nirgendwo sehen.
Plötzlich durchflutete mich erneut ein stechender Schmerz.
Ich schrie auf und krümmte mich qualvoll.
Das Tier biss so stark in meinen gebrochenen Unterschenkel, dass ich fürchtete, der Knochen würde weiter zertrümmert werden.
Der Wolf ließ endlich los und platzierte sich über mich.
Angst durchflutete meine Adern. Mein Herz schlug mir so schnell gegen die Brust, dass man denke könnte, es würde herausspringen.
Meine Hand glitt von meiner zertrümmerten Rippe runter zu meiner Jackentasche. Fest schlossen sich meine Finger um das kleine kühle Glas.
Die Ampulle, die gefüllt mit dem Gift war, das mir das Leben retten könnte, war gottseidank nicht kaputt gegangen.
Ich war mehr als froh, dass ich das Gläschen immer bei mir hatte. Vielleicht auch nur, weil Adrien es wollte.
Die Schnauze des Tieres war geschmückt mit einem grauenvollen, rachsüchtigen Lächeln. Es fletschte seine Zähne.
Ich schluckte und drückte meinen Kopf so tief in den Boden, wie nur irgendwie möglich.
Im Angesicht des Todes konnte ich nur an Adrien denken.
Ich liebte ihn. Ich liebte diesen verdammten Jungen. Es war mir egal, ob es diese blöde Bindung zwischen uns war. Ich fühlte so viel Zuneigung ihm gegenüber, dass ich nicht einmal in Worte fassen konnte, was ich alles für ihn empfand.
Ich wünschte mir so sehr, dass er den Kampf überleben würde. Er musste einfach.
Wie könnte ich ohne ihn weiterleben? Wie sollte mein Leben dann weitergehen?
Mir schossen Tränen in die Augen, doch ich blinzelte sie sofort weg, da ich nicht wollte, dass Claire sie sah.
Als ich dachte, der Wolf würde mir in die Kehle beißen, hielt er inne.
Ich hörte ein leises Wimmern, das immer lauter wurde. Die Augen schloss sich kurz.
Perplex beobachtete ich ihr Verhalten. Einige Sekunden hielt ich inne, denn ich hatte keine Ahnung, warum Claire sich zurück hielt. Ihrem Blick nach zu urteilen, schien sie irgendwie zu ... leiden.
Mein Mund war staubtrocken und mein Körper zitterte vor Angst.
Und mit einem mal reagierte mein Überlebensinstinkt.
Ich zog die kleine, gläserne Ampulle aus meiner Jackentasche, stopfte sie zwischen die Zähne des Tieres und drückte die Schnauze wieder gewaltvoll zu.
Claire wehrte sich sofort, doch ich musste sicher gehen, dass sie das Gift auch wirklich schluckte.
Der Wolf schleifte mich gute zwei Meter über den Boden, doch dann hielten wir beide inne.
Kraftlos ließ ich meine Arme in die Erde sinken. Ich bekam nur halb mit, wie Claire einige Male aufjaulte und dann zu Boden sank.
Sie schien sich nicht mehr zu bewegen.
Hatte sie das Gift nur betäubt, oder hatte sie es möglicherweise getötet?
Adrien hatte mir zwar erzählt, dass Wolfwurz für einen Wolf gefährlich war, doch was die Menge betraf, hatte ich keine Ahnung.
Kurz schloss ich meine Augen. Mein Körper fuhr langsam aber sicher runter.
Ich war am Ende meiner Kräfte. Ich konnte nicht mehr.
Dieser Kampf ließ mich bis an meine Grenzen gehen. Es kostete mich fast mein Leben, aber das war es wert. Auch, wenn ich nicht wusste, ob ich es damit geschafft hatte, war ich stolz auf mich. Und egal, ob ich das nun überleben würde, Adrien war zumindest vor Claire sicher.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt