Kapitel 85

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Jin und ich sprachen kein einziges Wort miteinander, als wir zur Lagerhalle fuhren. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich zwar, dass er mit den Tränen kämpfte, aber er schüttelte immer wieder voller Unglaubens den Kopf. Ich fasse es auch nicht, dass Taehyung Sungjin das angetan hat. Jedoch fühle ich überhaupt nichts mehr. Kein Herzrasen, keine Kopfschmerzen, kein beklemmendes Gefühl in mir. Nichts. Einfach nichts. Momentan sitzen wir alleine im Aufenthaltsraum und starren in die Leere. Ich liege auf dem Sofa und betrachte die weiße Decke über mir, während Jin auf dem Sessel neben dem Sofa sitzt.

"Also hat Taehyung unseren Bruder auf dem Gewissen?", fragt Jin mich mit belegter Stimme.

"Scheint so", zucke ich mit den Schultern.

"Ich habe dir gesagt, dass du dich ihm nicht nähern solltest. Siehst du, was passiert ist? Er hat Sungjin und Yunai umgebracht. Unser Babybruder ist durch seine Hand gestorben, weil du dich ihm Preis gegeben und ihm so vieles über uns verraten hast", macht er mich für diese ganze Scheiße verantwortlich, was mich auf 180 bringt.

Dennoch bleibe ich ruhig liegen und falte meine Hände auf meinem Bauch zusammen, ohne eine Reaktion von mir zu geben. Ich weiß, dass ich einen riesigen Fehler begangen habe und den kann ich nicht rückgängig machen. Aber ich sehe es nicht ein, dass er mir die ganze Schuld in Schuhe schiebt. Das wäre alles nie passiert, wenn mein Vater mich nie Taehyung zugeteilt hätte. Ich habe in Tae einen Seelenverwandten gesehen und wusste, dass er mich nicht für meine Persönlichkeit verurteilen würde und damit hatte ich als einziges Recht.

"Jeder macht Fehler. Vater hat haufenweise Fehler gemacht, z.B. hätte er Taehyung einfach umbringen oder nicht jede Frau, die nicht bei Drei auf dem Baum war, schwängern sollen. Dann wären wir nie zu diesem Punkt gekommen", meine ich irgendwann und höre Jin entgeistert aufschnaufen.

"Du musst jetzt Vater dafür nicht verantwortlich mach-", versucht er mich wieder anzumeckern, jedoch unterbreche ich ihn.

"Doch, Seokjin. Ich mache ihn und Mutter für alles verantwortlich. Das ist alles auf keiner Weise irgendwie noch normal. Diese zwei Gestörten hätten niemals Kinder bekommen sollen. Ich dürfte gar nicht hier sein. Wir sollten alle nicht hier sein und kleine Sklaven für sie spielen. Mutter hat sich vielleicht verpisst, aber sie und Vater bauten das Unternehmen zusammen auf. Die zeugen Kinder, damit ihr Geschäft für immer weiterläuft. Wie krank ist das bitte?", erwidere ich und sehe ihn ernst an, dabei setze ich mich auf und balle meine Hände zu Fäusten.

"Warum hast du jetzt so ein Problem damit? Du sagtest früher, dass du niemals ein normales Leben führen könntest, weil es so langweilig sei. Was ist mit dir los?", möchte er irritiert und wütend wissen.

"Mein Problem ist, dass ich geboren worden bin und mir selbst den Tod wünsche. Ich hasse meine Eltern, weil sie mich gezeugt haben. Ich werde niemals ein normales Leben führen können, da ich diese Ausgeburt von den Beiden bin. Vater hasst mich und missbraucht mich als Boxsack und Mutter liebt mich so wenig, dass sie mich mit ihm alleine gelassen hat. Kein Schwein liebt mich. Mich kann man nicht lieben. Wer kann so einen kranken Bastard wie mich lieben?", erkläre ich ihm emotionslos.

Jins Mund klappt auf und er sieht mich erst entsetzt an, bevor er beginnt zu lachen und mich mit einem zerknüllten Taschentuch abwirft. Er glaubt mir natürlich nicht. Er weiß ja nicht, dass Taehyung mein einziger Halt war, der mich noch bei Sinnen gehalten hat. Ich will jeden so leiden lassen, so wie sie mich leiden ließen. Sie sollen sich genauso beschissen fühlen.

"Gib doch nicht so einen Unsinn von dir. Vater, Mutter und ich lieben dich vom ganzen Herzen", lächelt er und wischt sich die restlichen Tränen vom Gesicht.

Stumm starre ich ihn an und fühle rein gar nichts bei diesen Worten. Nicht mal ein Fünkchen von Wärme in meiner Brust, weil das einfach erlogen ist. Ich liebe keinen von den Beiden. Weder Vater, noch Mutter. Ich kann Jin nicht mal glauben, wenn er sagt, dass er mich liebt, weil Jimin auch ständig sagte, dass er mich lieben würde und jetzt wünscht er mir den Tod. Ich vertraue niemanden mehr. Jane und Woosung würden mich ebenfalls verraten, wenn ich richtig scheiße baue. Darum brauche ich jemanden, der keine Ahnung hat, wer ich wirklich bin und den ich schön manipulieren kann.

Auf einmal geht die Tür der Lagerhalle auf und mehrere Leute betreten diese. Ich runzle die Stirn und werfe einen Blick auf Jin, der auf dem ganzen Gesicht strahlt und vom Sessel aufspringt. Ich drehe mich um und sehe auch schon, warum er so blöd lacht. Vater, Jimin, Chanyeol und irgendeine Frau kommen auf uns zu. Einen Moment... Ist das meine Mutter? Sie hält Jimins Hand und grinst über das ganze Gesicht, aber stoppt plötzlich in ihren Bewegungen als sie mich sieht.

"Oh, mein Gott. JUNGKOOKIE! Du bist so groß geworden!", quietscht sie los und lässt Jimins Hand los, um zu mir zu rennen.

"Ihr wollt mich doch alle verarschen. Was zur Hölle machst du hier?!", kommt es gereizt aus mir geschossen und ich stehe von der Couch auf, bevor sie mich erreicht.

Sie bleibt ruckartig stehen und sieht mich irritiert an. Jimin und Chanyeol werfen mir hasserfüllte Blicke zu, die ich komplett ignoriere.

"Was ist das denn für eine Frage? Ich bin wieder zurück, mein Schatz. Freust du dich etwa nicht?", fängt sie an zu schmollen und läuft mit offenen Armen auf mich zu.

"Nein, ich freue mich überhaupt nicht. Was wird das hier eigentlich? Seid ihr wieder eine fröhliche Familie oder was? Fass mich gefälligst nicht an", fauche ich sie an und schlage ihre Hände fest weg, sodass sie laut zischt und ihre Hände reibt.

"Was fällt dir ein deine Mutter zu schlagen?", knurrt mich Vater sofort an und macht einen Satz auf mich zu.

"Das nennst du Mutter? Die war mehr Jahre verschwunden, als dass sie sich um mich gekümmert hat, du dummer Hurensohn. So trauerst du also deinem toten Sohn hinterher, was? Erbärmlich", keife ich zurück.

"Ey, Jungkook! Krieg dich wieder ein!", brüllt mich Jin an und packt mich an der Schulter.

"Respektloses Stück Scheiße. Wenn ich du wäre, hätte ich ihn schon zusammengeschlagen", sagt Chanyeol zu meinem Vater, der mich richtig wütend anschaut und mit seinen Zähnen knirscht.

"Keiner fasst mein Baby an! Jungkook, ich verstehe, dass du wütend auf mich bist. Aber ich will es wieder gut machen", ruft Mutter und sieht mich anschließend sanftmütig an.

"Was willst du wieder gut machen? Es gibt rein gar nichts, was du für mich tun kannst... oder doch warte. Es gibt etwas", lache ich sie verächtlich aus und reiße mich von Jins Griff los.

"Was ist es? Ich werde es sofort tun", fragt sie nach.

"Ich möchte, dass du alles, was mit Kim Taehyung und den Tod seiner Eltern zu tun hat, sammelst, in einen Briefumschlag packst und zu ihm bringst", antworte ich ihr und grinse sie breit an.

Nach meinen Worten herrscht eine Stille in der Halle und ich spüre die verwirrten Blicke, die sich in meinen Körper bohren. Taehyung soll diesen Tag nochmal erleben müssen, aber diesmal weiß er die brutale Wahrheit über seine dummen Eltern. Er soll sich genauso ungeliebt und verlassen fühlen wie ich. Hoffentlich verfliegt dieses widerliche selbstgefällige Lächeln aus seiner Fresse.

"Okay, ich tue es!", nickt sie und schenkt mir ein kleines Lächeln. 


Revenge | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt