Kapitel 93

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Taehyungs Sicht:

Die ganze Nacht habe ich durch das kleine Buch, welches mir Jane gegeben hat, durchgeblättert und kann immer noch nicht fassen, wie viele Adressen und Nummern in diesem standen. Ich hätte Jungkook niemals allein gefunden. Es wäre unmöglich gewesen. Darum bin ich Jane umso mehr dankbar, dass sie über ihren Schatten gesprungen ist und mir hilft. Heute Morgen habe ich mich direkt auf dem Weg gemacht, um ihn weiterzusuchen. Viel Erfolg hatte ich bei den ersten Adressen nicht, da keiner aufzufinden war oder die Personen nicht mit mir reden wollten. Ich konnte kein Auge vor laute Sorge zudrücken. Mir war zwar klar, dass Jungkook durchdrehen würde, aber dass er sich selbst verletzt, habe ich nicht erwartet. Immerhin ist er schon ausgerastet, wenn er an irgendeiner Körperstelle einen Kratzer hatte. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was er sich noch alles antun wird. Bei dem Gedanken läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken, sodass ich meinen Kopf heftig schüttle und das Einfamilienhaus vor mir betrachte. Anscheinend soll er dort mit seinen Brüdern wohnen. Ich bezweifle, dass ich ihn hier finde. Aber einen Versuch ist es wert.

Tief atme ich ein und schöpfe neuen Mut, bevor ich die drei Treppenstufen hochsteige und anschließend auf die Klingel drücke. Ich straffe meine Schultern und schließe meine Augen vor Nervosität. Gefühlte Minuten vergehen und meine Hoffnung, dass jemand da ist, geht langsam flöten. Ich klingle nochmal und klopfe gegen die Haustür. Als sich nach mehreren Sekunden immer noch nichts tut, möchte ich wieder gehen, da ich keine Zeit habe, auf irgendjemanden zu warten. Im selben Moment wird die Haustür dann geöffnet und ich drehe mich zu der Person, jedoch packt mich die Wut, weil Myunghee im Türrahmen steht und mich überrascht anschaut.

"Taehyung? Was machst du hier?", fragt sie mich lächelnd.

"Wegen dir ist das alles passiert!", knurre ich wütend und schubse die Ältere zurück ins Haus, um hinter uns die Haustür zu schließen.

"Was denn? Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst", gibt sie unschuldig von sich und erinnert mich so sehr an Jungkook, dass ich mich zurückhalten muss, nicht auszurasten.

"Jungkook hat mich verlassen, weil du mich dazu getrieben hast, Sungjin umzubringen! Wenn du nicht an diesem Tag aufgetaucht wärst, dann hätte ich ihm niemals etwas angetan! Jetzt denkt dein Sohn, dass ich ihm alles vorgespielt habe und dreht jetzt komplett durch!", rufe ich sauer.

Myunghee verdreht bei meinen Worten die Augen und hört mir nicht mal richtig zu. Was ist das für eine Bitch? Interessiert es sie nicht, dass ihr Sohn darunter leidet oder glaubt sie mir einfach nicht? Egal, was es ist. In meinen Augen ist sie eine blöde egoistische Hure, die sich keine Gedanken darüber macht, wie es anderen durch ihre Taten gehen würde.

"Das ist nicht mein Problem, dass Jungkook dich verlassen hat. Ich bin auch nicht schuld daran, dass du dem Kind etwas angetan hast. Ich wollte Sungjin bei seiner Mutter im Zimmer einsperren und schauen, wie lange er braucht, um zu entkommen. Du hast mir die Tour versaut", erwidert sich abfällig und stellt mich als den Dummen da.

"Willst du mich eigentlich komplett VERARSCHEN? DU WOLLTEST SUNGJIN MIT DER LEICHER SEINER MUTTER EINSPERREN? Weißt du eigentlich, dass dein Sohn seinen Halbbruder vom Herzen geliebt hat? Ist dir das scheiß egal?", schreie ich sie an und mir wird heiß, weil sie mich so sehr aufregt.

Plötzlich kommen mehrere Personen die Treppen runtergestürmt und Myunghee wirft mir einen finsteren Blick zu, während ich sie hasserfüllt anschaue. Aus dem Augenwinkel sehe ich Namjoon, Jimin und Jin, die ruckartig stehen bleiben, als sie mich sehen.

"Taehyung? Was machst du hier?", fragt mich mein alter Kollege verwundert.

"Wie kannst du es eigentlich wagen? Sungjin ist nicht sein Bruder. Neben Jimin und Jin hat er keine anderen Geschwister. Das war ein fremdes Kind, was Unterhalt von meinem Geld bekommen hat. ALSO SAG NIEMALS WIEDER, DASS DIESE MISSGEBURT SEIN BRUDER UND DIESE SCHLAMPE SEINE STIEFMUTTER WAR!", brüllt sie mich an und schlägt mir volle Kanne in den Bauch.

Leicht krümme ich mich und presse meine Lippen zusammen, um keinen Laut von mir zu geben, obwohl der Schlag weh getan hat. Jimin und Jin ziehen scharf die Luft ein und schauen ihre Mutter wegen ihren Aussagen schockiert an.

"Nach Jungkooks Erzählungen zu urteilen, bist du eigentlich die Fremde in dieser Familie, du egoistische Hure. Nur weil du deinem Ex-Mann heimzahlen wolltest, dass er dich betrogen hat, hast du deine Kinder ebenfalls verletzt", fauche ich zurück.

"Warum sind die denn so traurig? Das Kind ist nur entstanden, weil diese Schlampe die Beine für Siwon breit gemacht hat, um einen Teil unseres Geldes zu bekommen. Wir sind doch schon eine Familie. Siwon, Jin, Jungkook, Jimin und ich. Es gibt niemand anderes in meinen Augen", lacht sie verächtlich auf und bestätigt ihren Söhnen, dass sie die Böse von uns beiden ist.

Jin stampft auf uns zu und packt sie fest am Oberarm, um sie gewaltsam zu ihm zu drehen. In seinen Augen haben sich Tränen gebildet und er schaut sie richtig sauer an. Jimin hat sich die Hände auf den Mund gelegt und weint still vor sich hin.

"Was fällt dir eigentlich so abfällig von Sungjin zu sprechen? Für dich ist das vielleicht nur ein fremdes Kind gewesen, aber er ist UNSER Bruder. Wir haben ihn aufwachsen sehen und er liebte uns genauso sehr wie wir ihn. Vor allem hing Jungkook an diesem Kind, weil Sungjin so verrückt nach ihm war und immer nach ihm gefragt hat. Du hast unseren kleinen Bruder auf dem Gewissen!", zischt der Ältere sie an, während ihm dicke Tränen über die Wangen fließen.

Als er Jungkook erwähnt, muss ich auch anfangen zu weinen und erinnere mich an seinen gebrochenen Gesichtsausdruck, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich an Sungjins Tod beteiligt war. Diese blöde Bitch starrt Jin nur monoton an und sieht nicht mal ein, dass sie etwas Falsches getan hat.

"Kennst du überhaupt sowas wie Reue? Deine Söhne weinen wegen dir. Du hast ihnen das Herz gebrochen! Steh nicht einfach so da und starr sie mit deinem dummen Blick an", mault Namjoon sie an und nimmt Jimin in den Arm, der sich bei ihm ausheult.

"Tut mir leid. Aber es interessiert mich überhaupt nicht, dass dieses Kind euch so wichtig war. Solange es meinen Söhnen gut geht, ist mir alles egal", bringt sie wirklich über ihre Lippen und das Fass zum Überlaufen.

"DAS IST ES JA! DEINEN FUCKING SÖHNEN GEHT ES NICHT GUT! Seitdem du dumme Fotze aufgetaucht bist, geht alles den Bach runter. Jungkook war bei Jane und Woosung und hat sich diese Finger geritzt, weil er denkt, dass ich ihm alles vorgespielt habe und hat den Glauben an die Menschheit verloren. Er dreht sicherlich schon komplett durch und tut Dinge, die seiner Psyche überhaupt nicht guttun. Er nimmt nicht mal seine Tabletten, wenn er diese ekelhaften Kopfschmerzen bekommt. Mit jeder Minute, die vergeht, verliere ich den Verstand, weil ich mir Sorgen um Jungkook mache. Ihr kennt ihn alle nicht. Er hat keine vorlaute Klappe, sondern ist ein kompletter Psychopath. Ein Psycho, den ich vom ganzen Herzen liebe", schreie ich sie an und fange verzweifelt an zu lachen.

Meine Tränen brennen auf meinen Wangen und ich raufe mir gestresst durch die Haare. Ich sterbe innerlich. Das ganze Blut in Janes Tattoo Studio lässt mich nicht mehr in Ruhe. Wenn wir ihn nicht so schnell wie möglich finden, dann kann sonst was passieren.

Auf einmal schließt jemand die Haustür hinter mir auf und alle im Raum ziehen scharf die Luft ein. Zögerlich schaue ich zu der Person und muss etwas hochschauen, um ihm ins Gesicht zu schauen. Mir rutscht augenblicklich das Herz in die Hose, weil Jungkooks Vater vor mir steht. Ich erstarre und schaue ihn nur mit aufgerissenen Augen an. Es ist so lange her, dass er vor mir stand, aber irgendwie fühle ich rein gar nichts. Keine Wut. Keine Angst. Einfach nichts. Ich mustere sein Gesicht etwas genauer und stelle fest, dass er ebenfalls geweint hat. Seine Tränensäcke sind angeschwollen und er ist ganz blass um die Nase.

"Kim Taehyung, es ist lange her, dass ich dich gesehen habe. Ich denke, dass wir mal miteinander reden müssen", durchbricht er die Stille und legt seine Hand auf meine Schulter.

"Ja, das müssen wir wirklich", stimme ich ihm zu.

Es wird Zeit mit der Vergangenheit abzuschließen und in Ruhe weiterzuleben. Das Einzige, was ich gerade möchte, ist Jungkook und wenn dieser Mann mir hilft, dann kriege ich ihn zu 90 Prozent zurück. 

Revenge | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt