6. Hey, I'm here

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/Überarbeitet/

"Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist."

- Christian Morgenstern

Yannik PoV:


Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wälzte ich mich verkatert im Bett hin und her. Ich hatte zwar nicht zu tief ins Glas geschaut, aber leider beglückte mich der Morgen dennoch mit einem fiesen Kater und flauen Gefühl im Magen. Dazu kamen diese dämlichen Schmetterlinge im Bauch. Allein bei dem Gedanken an gestern Abend, spürte ich die Röte in meinem Gesicht. Hatte ich mich verliebt? In Leo? Dem Leo Hartweg, der der beliebteste Typ der Schule war und zu dem ich immer aufgesehen hatte? Ich wollte nicht aufstehen, nein... viel lieber wollte ich weiter vor mich hin träumen und in Erinnerungen schwelgen... 

"Yannik! Das Essen ist fertig!", hörte ich meine Mum von unten rufen. Genervt seufzte ich vor mich hin, um mich dann doch aus meinem Bett zu erheben. Langsam ging ich die Stufen nach unten, ignorierte dabei, dass ich noch immer im Schlafanzug war.

"Du hast schon nicht zu Frühstück gegessen, also brauchst du zumindest jetzt etwas im Magen. Ich hab eine Suppe gekocht, ...und ja ich weiß, du magst keine Suppen, aber du bist auch nicht der Suppen-Kasper, also wirst du essen was ich gemacht habe, ohne zu meckern.", quasselte sie vor sich hin, ohne mich überhaupt anzuschauen und brachte zwei volle Schüsseln zum Esstisch. Ich setzte mich auf meinen Stammplatz am Tisch und wartete darauf, dass auch meine Mum sich setzte, damit wir gemeinsam essen konnten. Ehrlich gesagt, drehte sich mir der Magen schon allein beim Gedanken ans Essen um. Aber ich wollte ihr nicht zu sehr zeigen, dass ich gestern zu viel getrunken hatte, daher versuchte ich mir tapfer einen Löffel nach den anderen zu Mund zu führen. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mitbekam, was genau sie mir erzählte, während wir die Suppe vor uns hin schlürften.

"...Yannik, ich rede mit dir!", forderte meine Mum mich empört auf, "Hörst du mir etwa gar nicht zu?"

"T'schuldige.", schmatzte ich mit vollem Mund.

"Das sieht dir gar nicht ähnlich. Seit wann liegst du den ganzen Tag im Bett? Bist du etwa krank?", fragte sie mich besorgt.

"Nein, keine Ahnung. Tut mir leid, Mum.", ich hatte echt keine Lust ihr alles zu erklären. Was sollte ich ihr auch sagen? 'Ich hab zu viel getrunken und jetzt geht's mir schlecht, ach ja... und ich steh auf den Jungen, der mich gestern abgeholt hatte!?'...Nee, lieber nicht.

"Wann bist du denn gestern nach Hause gekommen? Du hättest anrufen können, dann hätte ich dich auch abgeholt. Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du alleine heim gehst. Ich hole dich jederzeit ab, egal von wo, dass weißt du, oder?"

"Ich weiß nicht wann genau das war, ziemlich spät. Du hattest ja schon geschlafen. Leo hatte mich nach Hause gebracht.", erklärte ich ihr.

"Oh, na dein neuer Freund scheint ja ein lieber Junge zu sein. Und er ist älter als du, oder? Vielleicht kann er dir ja auch bei der Schule helfen? Er wirkt sehr höflich und anständig..."

"Mum! Darf ich bitte in Ruhe essen? Bitte.", unterbrach ich sie. Es war mir peinlich, dass sie ihn so lobte und sofort davon ausging, dass wir zu besten Freunden werden würden. Wenn sie wüsste, dass er mich gestern geküsst hatte, dann würde sie sicher nicht so denken.

"Du wirst ja ganz rot, hach Gott bist du süß. Du schämst dich immer gleich für alles. Ist doch toll, wenn du neue Freunde kennen lernst.", lachte sie beherzt auf und lächelte fröhlich vor sich hin. Ich seufzte laut auf und verdrehte die Augen. Ein kleines Lächeln konnte ich mir dennoch nicht ganz verkneifen. Meine Mum war immer so, viel zu herzlich gegenüber jeden und eine totale Plaudertante. Nicht um sonst kamen ständig die Nachbarsweiber rüber zum Tratschen und Lästern. Nach dem Essen half ich ihr noch mit dem Abräumen und ging dann wieder hoch, um doch duschen zu gehen. Als ich das Wasser aufdrehte und mich unter den warmen Wasserstrahl stellte, fühlte ich mich schon wieder viel besser und genoss die kleine Entspannung. Meine Gedanken schweiften wieder zu gestern Abend. An den Kuss den Leo mir gab. Es war nicht nur ein harmloser freundschaftlicher Kuss, nein... er war viel intensiver, leidenschaftlicher und einfach nur atemberaubend. Zwar war das mein erster richtiger Kuss, aber soviel wusste ich schon. Ich legte meine Finger auf meine Lippen, um den Druck nach zu empfinden, als er seine Lippen auf meine presste. Mit der anderen Hand wanderte ich über meinen Oberkörper und armte die Berührungen nach, welche seine Hände auf meinem Körper hinterließen, als er unter mein T-Shirt fuhr. Bis zu der Stelle, an der ich ihn von mir stoß, ließ ich meine Hände gleiten. Ein Schauer durchzog meinen Körper, als ich daran dachte, wie er meine Hüften berührte und mich an sich drückte. Schnell öffnete ich meine Augen und drehte das Wasser auf kalt, um mich wieder abzukühlen, bevor es zu spät gewesen wäre und Klein Yannik selbstständig werden würde. Als ich mich abgetrocknet hatte und fertig angekleidet, klingelte wie auf Kommando mein Handy los. 

"Hallo?", fragte ich den Anrufer.

"Hey Yannik! Wie gehts dir? Du warst gestern plötzlich weg.", hörte ich Melissa in den Hörer rufen.

"Ja tut mir leid. Mir geht's gut und selbst?"

"Auch. Hast du Zeit? Soll ich was mitbringen?", fragte sie mich.

"Klar, komm gerne vorbei. Was willst du denn mitbringen?", fragte ich sie zurück. An sich brauchte ich ja nichts.

"Okay, ich geh mir noch schnell im Café ein Machiatto holen. Bin grad in der Nähe und komm dann vorbei.", klärte sie mich auf, "Soll ich dir auch was von dort mitbringen?".

"Ja, ich würd auch einen nehmen. Bis gleich."

Ich wollte gerade auflegen, da hielt sie mich schnell davon ab, durch ein "Oh!".

"Du glaubst nicht, wen ich grad im Café entdecke...!"

"Und wer? Sag schon."

"Leo und seine Clique...", flüstert sie nun ins Handy, so dass ich sie kaum noch verstehen konnte. In diesem Moment veränderte sich auch die Geräuschkulisse im Hintergrund. Wahrscheinlich hatte sie gerade das Café betreten. 

"Du,... ich komm dann gleich zu dir.", sagte sie noch knapp und schon hörte ich ein Tuten am anderen Ende. Ich legte mich auf mein Bett und schnappte mir das Buch, welches noch auf meinem Nachttisch lag. Nico hatte mir schon vor Wochen das Buch 'Metro 2033' geliehen und ich hatte es immer noch nicht zu Ende gelesen. Es wurde Zeit, dies mal in Angriff zu nehmen. Und es war eine willkommene Ablenkung. Ich durfte jetzt nämlich nicht an Leo denken, nicht schon wieder. Sonst würde ich noch verrückt werden! Ich schlug das Buch zu der Seite auf, in welcher ich ein Eselsohr hinterlassen hatte. Zunächst war ich so abgelenkt von meinen eigenen Gedanken, dass ich jeden Satz gefühlt dreimal lesen musste, bis ich den Inhalt verstand. Doch nach und nach versank ich immer tiefer in die Welt des Buches und verschlang eine Seite nach der anderen. Ich war total in die Geschichte vertieft, als es unten an der Tür klingelte. Wie lange hatte ich denn gelesen? Schnell ging ich runter und schob mich an meiner Mutter vorbei.

"Ist für mich.", nuschelte ich ihr zu und öffnete die Tür. Melissa stand dort an der Hauswand gelehnt und hielt mir den Becher, mit Kaffee drin, hin. Ihr Blick jedoch war alles andere als freundlich. Sie schaute wütend und irgendwie traurig. 

"Kann ich rein kommen?", fragte sie mich.

Ich nickte ihr zu und lotste sie hoch in mein Zimmer.

"Was ist denn los? Du wirkst schlecht gelaunt...", fragte ich sie etwas schüchtern. Hatte ich etwas falsch gemacht? War sie auf mich sauer? Oder bedrückte sie etwas? Vorhin am Telefon klang sie noch gut gelaunt und wirkte alles andere als traurig. 

"Was haben Leo und du gestern gemacht?", fragte sie mich nun und ihr Gesichtsausdruck wurde ernster.

"Ähm... ähh... nichts... äh wie kommst du denn j-jetzt darauf?"

"Weil er dich nur verarscht."

"W-wie bitte?", fragte ich überrumpelt. Nun wurde ich doch etwas skeptisch. Wie kam sie denn darauf? Hatte sie vorhin mit ihm im Café gesprochen? 

"Ich konnte nicht alles verstehen, aber Leo und seine Leute hatten vorhin über dich geredet. Irgendwas von einer Wette konnte ich hören.", Dabei legte sie ihre Hand auf meinen Rücken. Eine Wette? Was für eine Wette? Ich wusste nichts von einer Wette. 

"Was meinst du damit?!", fragte ich sie nun etwas zu laut. Ich war nicht auf sie sauer, aber ich wollte das am liebsten gar nicht hören.

"Irgendeine Wette um dich. Dieser Leo verarscht dich nur, Yannik. Lass das nicht zu, okay?"

"Ja, aber..."

"Da gibt es kein 'Aber'!"

"Aber du hattest doch selbst gesagt, dass du nicht alles mit anhören konntest. Außerdem wissen wir doch gar nichts. Vielleicht ist das ein Missverständnis.", versuchte ich alles was ich eben gehört hatte irgendwie zu ordnen. Ich verstand gar nichts mehr. 

"Wie ich schon sagte, da gibt es kein 'Aber'! Ich habe genug gehört, um zu wissen, dass es kein Missverständnis ist und... dass er sich einen Spaß daraus macht, dich zu verarschen. Er hat Geld auf dich gewettet."

Und ich konnte regelrecht hören, wie etwas in mir zerbrach... da war nichts mehr, von dem überwältigendem Gefühl, welches ich bis eben noch hatte, wenn ich an Leo dachte. Jetzt tat es weh... so richtig...



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