Fünfunddreißigstes Kapitel - Sich selbst zu befreien

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Die Sonne brennt heiß auf alle Menschen nieder. Eine junge Frau schiebt sich durch die Menge einer Einkaufszeile. Sie weint, versucht sich vor jemandem zu verstecken. Immer wieder sieht sie sich hektisch um, doch in dieser Masse an Menschen kann sie niemanden ausmachen, egal wie sehr sie es versucht. Leichtsinnig wie sie ist, rennt sie in eine Seitengasse, in der sich so gut wie niemand aufhält. Ein dunkler Schatten folgt ihr, ruft schreckliche Dinge. Beleidigt sie zutiefst, deutet auf ihr blau und violett geschlagenes Gesicht. Sie beginnt zu rennen, aber er tut es ihr gleich und hat sie schnell eingeholt. Er drängt sie in einen Hauseingang, schlägt ihr mit der geballten Faust so hart er kann ins Gesicht. Blut spritzt, als ihre Lippe aufplatzt und ihre Nase bricht. Ein Wimmern kommt aus ihrem Mund, gefolgt von einem Schrei um Hilfe, den niemand hört, weil er von seiner Hand gedämpft wird.

Ich riss die Augen auf und starrte an dieselbe Decke wie immer. Die vom Krankenhaus. Und wie sonst auch, spürte ich dass jemand meine Hand hielt. Seine Seele war präsent, aber nicht erdrückend. Eher angenehm, vermutlich würde ich sogar etwas vermissen, sobald ich wieder zu Hause alleine in meinem Zimmer schlafen würde. Vermutlich würde ich ihn vermissen. Vermissen das er da war um mich zu beschützen, vermissen das er meine Hand hielt und mich nur verließ um einige Stunden zu schlafen und zu duschen. Dass er nicht mehr arbeiten ging machte mir eine Zeit lang Sorgen, bis er mir erklärte, das es sein Job war auf mich zuachten und darauf das mir nichts passierte. Was genau mir jetzt noch passieren sollte, fragte ich mich aber schon. Nach einer solchen Hölle, glaubte ich nicht dass mich etwas noch Schlimmeres erwarten könnte. Wie sehr ich mich da täusche, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen. Allerdings hatte ich noch nie in meine eigene Zukunft sehen können, also warum sollte das plötzlich anders sein?

„Walker?", murmelte ich mit leiser Stimme, in dem Versuch ihn zu wecken.

Es hatte keine Wirkung. Er schlief einfach traumlos weiter, ohne mir oder meiner dünnen Stimme Beachtung zu schenken. Genau wie die Male zuvor reagierte er nicht mehr darauf, wenn ich ihn mit seinem Nachnamen ansprach. Ich fragte mich, woran das wohl lag.

„Aiden", sagte ich dieses Mal etwas lauter.

Langsam begann er sich zu regen. Während er sich reckte, ließ er meine Hand los. Augenblicklich fühlte ich mich kalt, verloren und einsam. Irgendwie ... unvollständig, was vollkommen albern war.

„Hey", flüsterte er beinah.

„Hey", erwiderte ich und atmete tief durch.

Aiden musterte mich genau, zog die Augenbrauen zusammen und fragte mich dann:

„Was hast du geträumt?"

Verwirrt sah ich ihn an. Er konnte unmöglich wissen, dass ich geträumt hatte. Er hatte selbst geschlafen, es also weder sehen noch hören können.

„Woher ...?", setzte ich an zu fragen, brach aber ab, als mir die Antwort darauf klar wurde: Er sah es mir an, genau wie damals nach meiner Vision.

Aiden meinte dazu nur:

„Schätze ich fange an dich zu kennen."

„Also?", hakte er nach.

Ich richtete mich auf, fuhr mir durch die Haare und versuchte es so gut wie möglich in meinen Gedanken zusammen zu bekommen, was gar nicht so einfach war, angesichts meiner dröhnenden Kopfschmerzen, die ich seit dem Aufwachen hatte.

„Da war eine Frau. Sie ist ... durch eine Einkaufszeile gerannt. Sie hatte Angst, wurde definitiv misshandelt und verfolgt. Als sie in eine Seitengasse gelaufen ist, kam ihr jemand nach. Er hat sie geschlagen. Ich glaube, er wird sie vielleicht nicht umbringen, aber zumindest dahin zurückbringen, wo er sie weiter so behandeln kann."

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt