Neunzehntes Kapitel - Man hätte es verhindern können

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Es dauerte lange, bis ich die richtige Antwort darauf gefunden hatte. Sehr lange. So lange, dass ich mich in der Zwischenzeit von der Tür löste und in mein Zimmer ging. Ich ließ die Rollläden ein Stück herunter, damit die Sonnen nicht länger in den Raum schien und ich mit viel Glück zu etwas Schlaf kommen konnte.

„Ich glaube nicht an die Liebe. Ich glaube, an Mitleid und die Gefühle, die Eltern nun mal für ihre Kinder haben."

Müde setzte ich mich auf mein Bett und stellte dabei fest, dass der Schmerz in meinem Arm verschwunden war. Trotzdem rieb ich noch einmal darüber, um auch ganz sicher zu gehen, dass ich ihn nicht mehr spürte. Walker stand kurz unschlüssig in meiner Tür, dann schloss er sie und kam zu mir. Er setzte sich nicht neben mich auf die Matratze, sondern blieb einfach vor mir stehen, so wie er es immer tat und vermittelte mir damit ein höchst unbehagliches Gefühl. Machte der Kerl das eigentlich mit Absicht? Wusste er, wie unwohl ich mich fühlte, wenn er immer auf mich herabsah? Mal abgesehen davon, dass es auch reichlich unhöflich war.

„Sie glauben nicht an die Liebe?", wollte er dann wissen und verschränkte dabei die Arme vor der breiten Brust. Ich schüttelte den Kopf.

„Wie könnte ich. Ich habe diese Träume nicht seit gestern. Mir ist bloß jetzt erst klar geworden, wie echt sie in Wirklichkeit sind. Können Sie noch an die Liebe glauben? Mit all dem, was Sie jeden Tag sehen und erleben?"

Er dachte darüber nach, während ich mich auf meinem Bett ausbreitete. Es war mir egal, wie das wirkte oder aussah, ich war müde und brauchte Kraft, wenn ich diese Nacht überstehen wollte. Der Entführer war niemand, den man leicht ausschalten konnte. Nicht nur weil er gerissen und dreist, sondern weil er auch jung und stark war. Und höchstwahrscheinlich gut trainiert. Eine Kombination die im schlimmsten Falle nicht nur gefährlich war. Sie konnte für alle Beteiligten tödlich enden. Keine allzu rosigen Aussichten, wenn man mich fragte.

„Ich ...", setzte der Detektiv an, aber ich sah, wie unwohl er sich bei dem Gedanken fühlte, mir auf meine Frage zu antworten.

„Schon okay. Es war mehr eine rhetorische Frage", murmelte ich.

„Ich glaube nicht an die Liebe, weil ich weiß, dass es sie gibt. Denn wenn es nicht so wäre, hätte es nicht so weh getan", fing er erneut an.

Dieses Mal unterbrach ich ihn nicht, sondern drehte mich auf die Seite, wobei ich meinen Kopf in eine Hand stützte. Scheinbar wurde ihm das Stehen zu ungemütlich und er setzte sich schließlich doch zu mir.

„Mein Partner starb vor drei Jahren. Er war mein bester Freund, ich war sogar auf seiner Hochzeit und hab eine dämliche Ansprache gehalten", erzählte er und aus welchem unerklärlichen Grund auch immer, legte ich ihm eine Hand auf den Unterarm.

Ein Fehler, wie ich wenige Sekunden später feststellen musste:

„Schätze das war's jetzt mein Freund. Keine Feierabendbiere mehr und verlängerte Schichten, um mich nicht hängen zu lassen. Jetzt musst du brav zu deiner Frau nach Hause gehen, wenn der Dienst offiziell vorbei ist", meinte Walker in ein Mikrofon, während die Braut ihren Mann angrinste.

„Sie waren großartig, aber leider nicht für immer. Eines Abends hat sie auf dem Revier angerufen und meinte, sie hätte einen Platten. Er fuhr sofort hin, um ihr zu helfen."

„10-53 Officer angeschossen, auf der Backmount Road. Möglicherweise ist ein Zivilist ins Kreuzfeuer geraten. Wir brauchen sofort Verstärkung. Verdächtiger flüchtet in Richtung Süden", kam es aus dem Funkgerät, in dem Polizeiwagen.

Walker griff panisch danach.

„Weiß man wer es ist? Pat wollte dorthin."

„Negativ", kam mit einem Knarzen die Antwort.

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now