Sechsundzwanzigstes Kapitel - Traum oder Wirklichkeit

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Vollkommen fertig, schmiss ich meinen erschöpften Körper auf das alte Sofa. Am Liebsten hätte ich geschrien, die Einrichtung zertrümmert oder sonst etwas, Hauptsache etwas tun, das tatsächlich eine Wirkung zeigte. Einen Effekt, egal wie oder auf was. Denn was auch immer wir glaubten da den ganzen Tag lang zu machen, ich hatte nicht das Gefühl, dass wir in den letzten Tagen irgendwie weitergekommen waren. Price sah das anders, sie war aber auch noch voller Hoffnung. Ich nicht. Ich war deprimiert. Ich wollte nicht glauben, nicht einmal denken, dass Sally tot war, trotzdem befürchtete ich langsam aber sicher das Schlimmste. Vielleicht sollte ich auf meine Kollegen hören. Vielleicht mal wieder etwas essen und richtig schlafen. Vielleicht sogar...

„Aiden?", wisperte eine entfernte Stimme.

Zuckend schreckte ich hoch. Ich lag nach wie vor auf dem Sofa, musste jedoch in meinen Überlegungen eingeschlafen sein. Müde rieb ich mir die Augen und fuhr mir anschließend mit beiden Händen übers Gesicht.

„Aiden", erklang erneut mein Name auf angenehme Weise.

Diese Stimme ... suchend blickte ich mich um. In einem Top, langer Hose, jedoch Barfuss, stand sie nur wenige Meter von mir entfernt ...

„Sally", flüsterte ich.

Ein weicher Ausdruck legte sich auf ihre Züge.

„Aiden", sagte sie noch einmal und lächelte dabei leicht.

„Was ... wie ... ich träume oder?", fragte ich und erhob mich.

Sally legte den Kopf leicht auf die Seite und musterte mich unverhohlen.

„So etwas in der Art schätze ich. Ist das deine Wohnung?", wollte sie interessiert wissen und ließ ihren Blick einmal gründlich umherschweifen.

„Was?", wiederholte ich irritiert und schaute dabei vermutlich leicht dämlich, in ihr neugieriges Gesicht. Sie kam einige Schritte auf mich zu und blieb direkt vor dem Sofa stehen.

„Wohnst du hier?", sagte sie noch einmal.

„Ja, aber ... bist das du?", hakte ich unsicher nach. In meinem Kopf arbeitete es ununterbrochen. Das hier war eindeutlich sie, aber es konnte nicht sein. Sie war ... war vermutlich tot und selbst wenn nicht, wie konnte sie hier sein? Das war einfach absolut unmöglich. Das musste ein Traum sein.

„Wer sonst? Du siehst schlecht aus", erwiderte sie mit einem Hauch echter Sorge in ihrer Stimme.

„Ich ... ja, ich schlafe nicht viel. Ich weiß nicht", fuhr ich nach einer kurzen Pause fort.

„Vielleicht bist du auch nur mein Unterbewusstsein, das sich etwa zu sehr wünscht ...", murmelte ich.

Zu meiner Überraschung lachte sie auf. Ziemlich hell klang es und so wunderbar normal. Nicht nach der Dunkelheit, die mich langsam aber sicher umgab und aufzufressen drohte.

„Was solltest du dir wünschen, dass mich hier erscheinen lassen würde?"

Ich hätte auf ihre Frage geantwortete, aber sie ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. Oder auch nur Luft holen.

„Ich bin ich. Aber ich frage mich, was ich hier mache. Du bist schließlich ... und ich nicht. Definitiv nicht", redete sie weiter, ohne das ihre Worte für mich Sinn ergaben. Während sie gesprochen hatte, hatte sich ein finsterer Ausdruck auf ihre Züge gelegt und sie schien langsam aber sicher in ihren Gedanken zu versinken.

„Sally, wovon sprichst du?", forschte ich, da ich so langsam aber sicher nicht mehr mitkam.

Ich erhob mich vom Sofa und stellte mich vor sie, jedoch ohne ihr dabei zunahe zu kommen. Gerne hätte ich sie berührt, vielleicht sogar umarmt, aber ein Teil von mir fürchtete, dass sie sich dann in Luft auflösen könnte. Und das wollte ich auf keinen Fall. Nicht jetzt. Am Besten nie. Wenn ich sie schon nicht finden konnte, dann wollte ich sie wenigstens so in Erinnerung behalten. Nicht so, wie wir sie vermutlich bald finden würde.

Sally wandte sich von mir ab, hob eine Hand an die Stirn und sagte dann:

„Ich lebe noch. Aber du ... du bist gestorben. Also kann das hier ... das kann niemals echt sein", erklärte sie und blieb, mit dem Rücken zu mir gedreht, mitten im Raum stehen.

Verwirrt lief ich mit großen Schritten zu ihr und platzierte mich direkt vor ihr. Was war hier los? Lebte sie etwa doch noch? Oder fantasierte ich mir etwas zusammen, in meinem verwirrten, vollkommen verdrehten Hirn?

„Ich bin nicht tot. Ich suche dich. Seit Wochen. Aber um ehrlich zu sein, glaubte ich schon fast, das du ... Warum denkst du, ich sei tot?"

Vollkommen aus ihren Gedanken gerissen, starrte sie mich ungläubig an. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, als sie plötzlich einfach verschwand.

Mit einem Ruck fuhr ich hoch und fiel fast vom Sofa. Was zum Teufel ... Eilig sprang ich auf, schnappte mir meine Jacke, meine Schuhe hatten nie meine Füße verlassen, rannte aus der Tür und fuhr zum Revier.

„Detektiv, was machen Sie denn schon wieder hier?", fragte Price perplex, kaum dass ich in den Konferenzraum gestürmt war.

Statt ihr eine Antwort zu geben, ließ ich sie verwirrt beobachten wie ich an ihr vorbei ging und wie eine Raubkatze in einem Käfig unruhig durch den Raum streifte. Ich schaute mir einen Zettel, Notiz und Bild nach dem anderen an. Es war direkt vor meiner Nase. Das musste es sein. Warum sonst hätte ich von ihr träumen sollen? Mein Blick flog über die Zettel, welche fein säuberlich mit ihrer Handschrift übersäht waren, als ich mit einem Mal inne hielt. Mit zwei großen Schritten lief ich zu einem Post it und nahm ihn von der Wand. Ich las ihn einmal, zweimal, sogar ein drittes Mal, ehe es mir klar wurde.

„Das muss es sein", flüsterte ich.

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now