Dreizehntes Kapitel - Kleine Mädchen weinen nicht

2.3K 161 26
                                    

Das wohl interessanteste an der Reaktion von Chief Stryder war, dass sich weder Ungläubigkeit noch Wut auf seinem Gesicht breitmachte, was doch recht verwirrend für mich war. Ich war Ablehnung gewohnt, sogar wüste Beschimpfungen und die Androhung einer Einweisung in die Nervenheilanstalt, aber die Art wie er auf meine Worte reagierte, ... das war definitiv neu für mich:

„Na schön. Und Sie waren mit Detektiv Walker draußen bei der Scheune? Im Krankenhaus hat man mir berichtet, dass als Amanda eingeliefert wurde, die ganze Zeit über eine junge Frau bei ihr war. Das waren doch Sie, oder?"

„Ja?", antwortete ich perplex und warf Walker einen Blick zu, der scheinbar genauso verwirrt war wie ich.

Wir waren uns ja nicht über viel einig, aber ein Maß an Ungläubigkeit teilten wir in diesem Moment auf jeden fall. Der Chief nickte unteressen und begann nachzudenken. Ich konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. In meinem regte sich unterdessen ebenfalls etwas. Etwas sehr Schmerzhaftes:

„Hörst du wohl auf damit! Kleine, brave Mädchen weinen nicht. Sonst werden sie bestraft", fuhr die Frau das Mädchen an.

Diese hatte panische Angst, welche mir das Herz zusammen zog. Sie weinte und schrie nach ihrer Mum. Der Arm tat ihr schon weh, von dem vielen Rumgezerre. Durch einen Schleier aus Tränen, schaute sie sich um. Sie standen vor einem Haus, das nicht unbedingt abgelegen war. Eher mitten in einer Vorstadtsiedlung. Alle waren aus roten Backsteinziegeln gebaut worden. Eine Seltenheit. Die Meisten ließen sich fertig Häuser errichten, weshalb viele Obdachlos wurden, wenn ein Tornado durch die Straßen fegte.

Doch auch wenn sie von Menschen umgeben waren, achtete niemand darauf, was vor dem Haus Nummer 9638 vor sich ging. Hatte denn keiner von ihnen Radio gehört oder die Nachrichten geschaut? Fanden sie es denn wirklich normal wenn ein Kind mitten auf der Straße schrie wie am Spieß und offensichtlich nicht zu der Person gehörte, die sie festhielt?

„Miss Waters?", drang undeutlich eine Stimme an mein Ohr.

Noch in meiner Vision gefangen, schaute ich in die Richtung, aus der sie gekommen war.

„Was ist los?", hörte ich Walker fragen.

Die Tür wurde geöffnet. Mit einem heftigen Ruck wurde die Kleine ins Innere befördert.

Ich verzog das Gesicht und hielt mir den Kopf. Verdammt tat das weh! Das Blut in meinen Adern brannte wie Säure und mein Gehirn schien die Quelle zu sein. Am Liebsten wäre ich in Ohnmacht gefallen, aber ich kämpfte dagegen an, dass Bewusstsein zu verlieren. Unter gar keinen Umständen durfte die Kleine verlieren.

„Es ist das Mädchen. Wo gibt es in Queens Backsteinhäuser? Es muss ein Haus mit der Nummer 9683 geben", fing ich an zu berichten, kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich auf das  Geschehen. Dumpf hörte ich, wie jemand an einem Laptop zu tippen begann.

„MUM!"

„Seit endlich still", zischte sie und schleifte das Kind zu einer Tür.

Sie führte zu einem Keller. Einem dunklen Keller, ohne Fenster oder Licht.

„Du wirst dich jetzt beruhigen", sagte die Frau und schubste das kleine Mädchen die Treppe herunter.

Die Tür wurde geschlossen, dann war sie alleine in der Dunkelheit, weinte vor Angst und Schmerz. Sie hatte sich durch den Sturz den Arm gebrochen.

„Ah", söhnte ich auf, als es mich aus der Vision riss.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht, kombiniert mit einem Boxhieb in den Magen. Ich rieb mir über die Arme, während ich mich mühsam erhob und hinter Walker stellte, der das Gebiet eingrenzte, in dem wir suchen mussten.

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now