Einundzwanzigstes Kapitel - Der Preis für Leichtsinn

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„Aufwachen Liebes. Die Sonne geht bald auf."

Die Stimme drang an meinen Geist, aber nicht an meine Gefühle. Denn da war nichts mehr, was hätte erreicht werden können. Mein Inneres war taub, tot genau wie er. Walker war gestorben. Einfach davon geglitten. Nein, er war verblutet, weil er ihn abgestochen hatte.

„Warum haben Sie das getan?", flüsterte ich mit geschlossenen Augen, in die tröstliche Dunkelheit der Ungewissheit, über meinen Aufenthaltsort. Denn wenn ich an einem Ort war, der auch nur annähernd dem Gefängnis von Amanda glich, wollte ich es lieber gar nicht wissen.

Meinen Entführer Siezte ich nicht aus Höflichkeit, sondern um keine ungewollte Nähe zu schaffen. Denn das Wort Du, impliziert eine Vertrautheit, die man nur mit Menschen hat, die man mag und denen man vertraut.

„Wie hätte ich es nicht tun können?", stellte er die Gegenfrage, was mich schlagartig die Augen öffnen ließ.

Es dauerte eine Weile, ehe ich etwas erkennen konnte. Aber ich sah nicht sofort wo ich war, denn das Monster saß direkt vor mir und starrte mich fasziniert an. Ein unheimlicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Es war als blickte man direkt in die Augen eines Jägers oder vielmehr des Teufels höchstpersönlich. Mir war klar gewesen, dass ich wahrscheinlich nicht lebend aus dieser Geschichte rauskommen würde, sobald er mit Walker gekämpft hatte. Aber ihn jetzt so zu sehen, verschaffte mir die grausame Gewissheit: Ich war ihm vollkommen ausgeliefert. Es gab nichts was ich tun konnte. Dieser Mann, dieses Monster wusste was es tat und wie er damit durchkommen konnte. Er hatte Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte lange Übung darin. Ich würde meine Eltern nicht mehr wiedersehen, nie wieder draußen in der Sonne sitzen. Nie mehr das weiche Fell eines Tieres zwischen meinen Fingern spüren. Ich konnte Amanda nie sagen, dass sie frei war, denn solange er lebte, würde sie immer in Gefahr schweben. Ich hatte versagt. Mein dummer Plan war nach hinten losgegangen und hatte Walker das Leben gekostet. Vielleicht sogar die beiden Cops, die vor der Tür postiert gewesen waren.

„Er war eine Bedrohung und noch viel Schlimmer als das, er half dir Amanda von mir zu stehlen. Sein Wunsch sie und dich zu beschützen war gefährlich, aber jetzt ist das ja alles kein Problem mehr. Er ist kein Problem mehr."

Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr dabei langsam meinen Hals herunter. Angewidert drehte ich meinen Kopf von ihm weg, so weit es mir eben möglich war. Wütend schnaubte er, stand langsam auf und schritt um mich herum. Ich wusste nicht, was er tat, konnte ihn auch nicht länger sehen, was mich dazu brachte, mir endlich meiner Umgebung bewusst zu werden.

Wir waren nicht in der Scheune. Natürlich nicht. So weit ich wusste, war diese nach wie vor ein Tat- und Fundort von Leichen. Stattdessen befanden wir uns in einer Art Bunker. Vermutlich ein Keller. Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Um uns herum standen Unmengen an Schrott und Trödel. Es war eiskalt, feucht und dunkel, da bloß eine nackte Glühbirne von der Decke hing, die immer wieder flackerte. Entweder war die Stromzufuhr nicht gut genug, oder sie würde bald den Geist aufgeben. In allen Ecken tummelten sich Spinnen, eine davon war nicht unweit von meinem Fuß entfernt. So gut es ging, zog ich ihm zu mir ran, da ich alles was mehr als vier Beine hatte zutiefst verabscheute.

Es viel mir schwer mich zu bewegen, da ich mehr oder weniger auf einer ranzigen Matratze lag. Meine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Nicht mit Seilen, wie er es bei Amanda getan hatte, sondern mit Draht. Es tat weh und brannte, was mich vermuten ließ, dass ich mich im Schlaf zu viel bewegt hatte und deshalb mit Sicherheit blutete. Kalte Angst stieg in mir hoch. Was wenn der Draht zu tief schnitt und ich meine Hände nie wieder gebrauchen könnte? Nie wieder zeichnen, schrieben oder nur ein Messer halten?

Ich schüttelte leicht den Kopf. Bloß nicht in Panik geraten. Ich musste unter allen Umständen ruhig bleiben. Mein Augenmerk wanderte von meinen Händen, auf den Rest meines körperlichen Zustandes:

Meine Haare klebten an meinem Gesicht und dem Hals. Tränen wirkten manchmal wie Patafix. Meine Lippen taten weh, was auch nicht durch die Tatsache verbessert wurde, dass ich auf ihnen herumkaute. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer und mein ganzer Körper glich einem einzigen Schmerz. Außerdem war ich erschöpfter als zu vor. Alles keine guten Voraussetzungen für einen möglichen Fluchtversuch.

„Ich habe Großes mit dir vor, musst du wissen. Und du brauchst nicht auf Hilfe zu hoffen. Niemand weiß, dass dieser Ort überhaupt existiert. Und niemand sonst ist wie du", sprach er weiter, wobei ich spürte, dass er mit einem Messer zwischen meinen Schulterblättern entlangfuhr.

Die Spitze kratzte leicht über meine Haut, ritzte sie an, so dass es brannte aber nicht blutete.

„Niemand kann sehen, was du siehst. Hab' ich nicht Recht?"

„Sie sind verrückt. Ich sehe mit meinen Augen genauso viel wie jeder Andere auch", flüsterte ich.

Blitzschnell wanderte die Klinge an meinen Hals. Erschrocken hielt ich die Luft an. Mir war klar, dass ein falscher Atemzug dazu führen konnte, dass ich die Radieschen von unten betrachtete.

„Lüg mich nicht an! Ich kenne Leute wie dich. Leider seid ihr äußerst selten. Doch das macht euch so faszinierend. Eure ... Einzigartigkeit."

Seine Lippen berührten beim Sprechen mein Hals und als er das Messer bewegte, schnitt er mir am Unterkiefer entlang. Brennender Schmerz fuhr durch meine rechte Gesichtshälfte, schoss mir in den Kopf, gemeinsam mit einigen Tränen in meine Augen. Ich schrie in meinem Inneren, blieb nach Außen hin aber still. Auch die Tränen hielt ich zurück. Denn ich wusste genau, dass jedes noch so kleines Zeichen von Schwäche mich töten würde. Menschen wie er verabscheuten jegliches Verhalten, dass an der Stärke in einem zweifeln ließ.

„So tapfer. Aber das waren die Anderen anfangs auch. Du wirst noch schreien und wenn es so weit ist, werde ich bereit sein."

Mit diesen Worten, wandte er sich endgültig von mir ab. Das Messer nahm er zu meinem Bedauern mit, als er mich alleine zurückließ.

Kaum das die Tür ins Schloss fiel und abgeschlossen wurde, atmete ich tief durch und schaute mich erneut um. Leider stellte ich dabei fest, dass dieser Ort weder Fenster noch weitere Türen hatte. Es gab nur diese eine. Und die bewachte er vermutlich sehr genau.

Wo auch immer ich war. Ich war in der Hölle. Einer Hölle, aus der es kein Entkommen gab, ebenso wenig wie nahende Hilfe. Ich war ganz allein. Und da ich Realistin war, war mir bereits da klar, dass ich zu leichtsinnig gewesen war und jetzt den Preis dafür zahlte. Einen Preis, den ich nicht bereit war zu zahlen. Denn mir wurde mit einem Mal klar, wie sehr ich leben wollte. Ganz gleich wie oft ich zusammenbrach, oder wie groß die Schmerzen auch waren. Ich war bereit es zu ertragen, wenn ich dafür nur etwas mehr Zeit bekommen würde.

„Mehr Zeit", flüsterte ich in den kalten Raum.

‚Mehr Zeit für was?', fragte eine leise Stimme in meinem Unterbewusstsein.

Für Familie, für die Arbeit, meine Kollegen und Freunde. Mehr Zeit für mich. Zum Reisen, Dinge erleben, die nicht mit Schmerzen verbunden waren. Einfach für mehr ... Leben.

‚Ich komme hier nie mehr raus', dachte ich still bei mir, bevor ich zusammensackte und in einen unruhigen Schlaf davon driftete.

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now