Elftes Kapitel - Die unangenehme Wahrheit

2.4K 162 24
                                    

Gegen sechs Uhr abends hatten die Clarks das Krankenhaus verlassen. Amandas Mum war noch immer nicht darüber hinweg, dass ihre Tochter sie geohrfeigt hatte, dass konnte ich deutlich erkennen, selbst von meinem sicheren Beobachtungsposten, der hintersten Ecke des Wartebereiches aus. Auf der Intensivstation ging es meist recht laut und hektisch zu, weshalb ich mir die Ecke auserkoren hatte, die mir am stillsten erschien. Jack entdeckte mich, als sie vorüber gingen und hob kurz unauffällig die Hand. Schwach lächelte ich ihn an. Wenn er wüsste, dass seine Schwester noch immer in größerer Gefahr war, als man annahm, er würde mich vermutlich umbringen weil ich es niemandem erzählte. Natürlich war es dumm und gefährlich, aber meine Angst davor was den Menschen geschehen würde die davon erfuhren, war größer. Und so saß ich alleine und verloren in meiner Ecke, kämpfte gegen die Schmerzen an, die sich bereits zum dritten Mal an diesem Tag in meinem ganzen Körper ausbreiteten und versuchte eine Lösung für das Problem zu finden. Vorzugsweise eine, die keine Toten oder Verletzten beinhaltete.

„Miss Water? Amanda fragt nach Ihnen", riss mich eine Krankenschwester aus meinem Versuch.

Ich erhob mich, hielt jedoch dann stutzig inne.

„Was meinen Sie damit, sie fragt nach mir?"

„Sie spricht wieder. Nicht viel und scheinbar will sie auch nur mit Ihnen reden, aber es ist ein Anfang, meinen Sie nicht auch?", verkündete sie erfreut.

Verdenken konnte ich es ihr nicht. Es war immerhin ein Fortschritt. Ein recht großer in sehr knapper Zeit, wenn man mich fragte, doch mir schien als brannte Amanda etwas auf der Seele, dass sie unbedingt loswerden wollte. Also machte ich mich unverzüglich auf den Weg zu ihr. Vor ihrem Zimmer blieb ich kurz stehen und beobachtete, wie sie nervös auf ihren ohnehin schon kurzen Fingernägeln kaute. Als ich den Raum betrat, schaute sie mich mit einer Mischung aus Freude und Angst an. Mein Magen zog sich zusammen und ich hätte befürchtet mich zu übergeben, wenn ich etwas gegessen hätte, außer meinem Frühstück.

„Sally", flüsterte sie zitternd.

„Du erinnerst dich an meinen Namen?", fragte ich zaghaft und setzte mich auf einen Stuhl neben ihrem Bett.

Amanda sah noch immer schlimm aus, aber die Schwellungen in ihrem Gesicht gingen zurück und sie hatte es geschafft sich etwas aufzurichten.

„Natürlich. Du hast mich befreit. Warst die ganze Zeit über bei mir. Ich bin dir wirklich sehr dankbar", meinte sie, doch in ihrer Stimme schwang eine Traurigkeit mit, die mich innerlich zerriss.

Es war mehr als deutlich, dass ich Recht gehabt hatte, als ich zu Jack sagte, sie sei eine gebrochene Frau und wollte lieber tot sein, als in diesem Zimmer, wo man alles daran setzte dass es ihr bald besser ginge.

„Wie ... wie hast du mich gefunden?", fragte sie nach einer Weile.

Mir war klar gewesen, dass sie diese Frage irgendwann stellen würde, nur hatte ich gehofft, dass ich dann nicht da war, um sie ihr zu beantworten. Ich rang mit mir und entschied mich dafür ihr einen Handel vorzuschlagen:

„Wie wäre es damit? Du erzählst mir alles woran du dich erinnern kannst und ich erzähle dir wie ich dich gefunden habe."

Amanda zögerte. Sie war noch nicht bereit. Vermutlich würde sie es nie sein, trotzdem, sie wollte wissen wer ich war und woher ich wusste wie ich sie finden konnte. Außerdem war ihr klar, dass sie irgendwann darüber sprechen werden müsste, wenn sie wollte, dass der Mistkerl, der ihr das angetan hatte, bestraft werden sollte.

„Okay", stimmte sie schließlich zu.

„Ist es für dich in Ordnung, wenn ich das aufnehme? Dann musst du es auch nicht noch einmal vor Detektiv Walker wiederholen", fragte ich sie und holte dabei mein Handy hervor.

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now